Die affektive Grammatik des Autoritarismus: Das politisierte Unbewusste in der Spätmoderne

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Begleitmaterial


TEIL I — Krise der Demokratie, Erklärungslücken der Modelle

Nach 1989 setzte sich im Westen – populär gemacht durch Francis Fukuyamas Rede vom „Ende der Geschichte“ – die Erwartung durch, die liberale Demokratie sei auf lange Sicht ohne ernsthafte Alternative. Gemeint war nicht das Ende historischer Ereignisse, sondern das Ende der großen ideologischen Gegenspieler des Liberalismus. Drei Jahrzehnte später zeigen die besten Langzeitindikatoren jedoch ein anderes Bild: Der V‑Dem‑Bericht 2025 vermerkt, dass das Demokratie‑Niveau für den „durchschnittlichen Weltbürger“ auf das Niveau von 1985 zurückgefallen ist; zudem gibt es erstmals seit über 20 Jahren mehr Autokratien (91) als Demokratien (88), und rund 72 % der Weltbevölkerung leben in Autokratien. Freedom House spricht im Bericht 2025 vom 19. Rückgang der weltweiten Freiheit in Folge – ein persistent negativer Trend, der zufällige Schwankungen ausschließt. Diese Makrodaten entsprechen einer Stimmungsverschiebung: In Umfragen nimmt das Vertrauen in Institutionen ab, während die Bereitschaft zu „harten“ Führungsfiguren steigt; PRRI fand 2023, dass 38 % der Amerikaner „einen Führer wollen, der notfalls einige Regeln bricht, um die Dinge wieder in Ordnung zu bringen“. Zusammen ergibt sich ein Syndrom aus institutionellem Rückbau, erosiver Freiheitspraxis und affektiver Polarisierung, das rein ökonomische oder rein kulturelle Erklärungen nur teilweise erfassen.

Genau hier setzt der psychoanalytische Zugriff des Artikels an: Er fragt nicht nur warum Menschen unzufrieden sind, sondern wie diese Unzufriedenheit psychisch verarbeitet wird – und warum die Antwort so oft nicht nüchternes Problemlösen ist, sondern Regression, Spaltung, Projektion und die leidenschaftliche Bindung an einen starken Führer. Die Leitthese lautet: Die gegenwärtige autoritäre Konjunktur speist sich aus einer toxischen Resonanz zwischen Führungsstilen, die primitive Abwehrmechanismen instrumentalisieren, und einer spätmodernen Subjektlage, die von narzisstischer Kränkung und Suche nach exzessivem Genuss (Jouissance) geprägt ist.

TEIL II — Die psychoanalytische Werkzeugkiste in Kürze

Der Text entfaltet vier miteinander verschränkte Mechanismen. Erstens beschreibt Freud die Massenbindung als libidinöse Beziehung: In der Gruppe wird das eigene Ich‑Ideal nach außen auf den Führer verlagert; Kritik an ihm fühlt sich an wie Selbstkritik. Damit erklärt sich die Intensität und Irrationalität mancher Gefolgschaft. Zweitens löst Fromm das Paradox der „Freiheit“: Die moderne Autonomie erzeugt auch Isolation und Angst; der Autoritarismus bietet eine sado‑masochistische „Flucht aus der Freiheit“, die Sicherheit verspricht, aber Selbständigkeit kostet. Drittens zeigt Melanie Klein, wie Spaltung (Gut/Böse) und Projektion (das Unerträgliche wird Anderen zugeschrieben) in Krisen reaktiviert werden und die „Architektur der Feindschaft“ erzeugen. Viertens erweitert Bion dies um die Führungsfunktion des Containment: Reife Führung „hält“ kollektive Angst, ordnet sie und macht sie denk‑ und handhabbar; populistische Führung pervertiert dies, verstärkt Affekte und injiziert sie als Feindbilder in die Gruppe zurück. Ergänzend erklärt Lacans Jouissance die euphorische, bisweilen schadenfrohe Lust am Tabubruch, die autoritäre Politik affektiv auflädt und rationalen Einwänden trotzt.

TEIL III — Das Unbewusste in Aktion: Rhetorik, Fälle, Daten

Am Fall des Trumpismus wird das „pervertierte Containing“ besonders deutlich. Trumps Antrittsrede zeichnete das Bild eines „American carnage“ – keine ordnende Übersetzung realer Probleme, sondern eine emotionale Injektion von Untergangsbildern, die Abhängigkeit vom Retter erzeugt. Schon 2016 inszenierte er Allmacht („I alone can fix it“). Mediale Gegner deklarierte er als „Feinde des amerikanischen Volkes“, und am 6. Januar rief er vor dem Marsch aufs Kapitol „We fight like hell“. Diese Rhetorik bündelt Spaltung, Projektion und die Lizenz zur Transgression – genau jene affektive Grammatik, die der Artikel beschreibt.

In Deutschland zeigt die AfD, wie erinnerungspolitische Kränkungen politisiert werden: Alexander Gaulands Verharmlosung der NS‑Zeit als „Vogelschiss“ und Björn Höckes Angriff auf das Holocaust‑Mahnmal als „Denkmal der Schande“ markieren die symbolische Abspaltung des „schlechten“ Anteils der Geschichte zugunsten eines narzisstisch gereinigten Selbstbildes; der daraus gewonnene Groll wird auf neue Sündenböcke (etwa Muslime) projiziert.

Der Putinismus kanalisiert das Trauma des imperialen Verlusts in eine dauerhafte Paranoia der „belagerten Festung“. In Reden diffamiert Putin inneren Widerspruch als „Abschaum und Verräter“, die das „Volk ausspucken werde“ – ein klassischer Versuch, innere Aggression nach außen zu ventilieren und die Gruppe affektiv zu schließen.

Der Bolsonarismus organisiert Jouissance als körperlich‑aggressiven Tabubruch. Bolsonaro verharmloste COVID‑19 als „kleine Grippe“, und er adelte öffentlich den Folterer Ustra – eine demonstrative Identifikation mit dem Aggressor, die dem ohnmächtigen Publikum stellvertretend Stärke anbietet.

Und Modis Hindutva‑Projekt codiert die Spaltung rechtlich: Das Citizenship Amendment Act (CAA) privilegiert ausdrücklich nicht‑muslimische Zuwanderer und nährt so ein Mehrheitsressentiment, das auf die Ausgrenzung einer großen Minderheit zielt.

Im Brückenschlag zu Messinstrumenten der politischen Psychologie korrespondiert diese Tiefenlogik mit affektiver Polarisierung (Feindseligkeit statt Sachdifferenz), RWA‑Mustern (Unterwerfung/Aggression/Konventionalismus) und dem Need for Chaos, der die Lust an der Destabilisierung des Systems misst – der messbare Schatten der beschriebenen Jouissance. Die genannten Skalen machen die empirische Oberfläche sichtbar, die der psychoanalytische Teil als unbewusste Dynamik erklärt; PRRI’s 38 %‑Wert zur Regelbruchs‑Bereitschaft verortet diese Dispositionen im Mainstream.

TEIL IV — Der Nährboden: „Gekränkte Freiheit“ in der Spätmoderne

Soziologisch bündelt der Artikel den Resonanzraum der Affekte in der Diagnose der gekränkten Freiheit: Ein kultureller Imperativ zur Selbstoptimierung („sei autonom, flexibel, einzigartig“) kollidiert mit alltäglicher Ohnmachtserfahrung durch Prekarität, globale Komplexität und epistemische Überforderung. Aus der Diskrepanz zwischen grandiosem Ich‑Ideal und erlebter Abhängigkeit entsteht Scham; aus Scham wird Ressentiment – ein moralisierter Groll, der einfache Gegenspieler und „gestohlene“ Jouissance reklamiert. Der libertäre Autoritarismus antwortet darauf paradox: im Namen grenzenloser individueller Freiheit wendet er sich autoritär gegen Solidarität, Komplexität und ambivalente Realität – eine „Rebellion gegen die Realität“, die Verschwörungsdenken, Spaltungslogik und Abhängigkeitsabwehr koppelt. In diese Lücke stößt der populistische Führer mit einer destruktiv‑symbiotischen Passung: Er validiert Kränkungen, liefert Schuldige, bietet sich als externalisiertes Ich‑Ideal an – und organisiert die kollektive Lust am Tabubruch.

TEIL V — Konsequenzen: Demokratische Resilienz jenseits reiner Rationalität

Aus der Diagnose folgt kein moralischer Appell zur „Vernunft“, sondern eine dreifache Arbeit an der affektiven Infrastruktur der Demokratie. Erstens braucht es politisches Containment: Führung, die Angst anerkennt, ohne sie zu instrumentalisieren; Komplexität sortiert, ohne sie zu leugnen; und Handlungsfähigkeit zurückgibt, statt Abhängigkeit zu züchten. Zweitens braucht es institutionalisierte Ressentiment‑Arbeit: geschützte Räume, in denen Kränkungen ausgesprochen, strukturell umgedeutet und in faire, konkrete Politik übersetzt werden – Anerkennung plus materielle Gerechtigkeit. Drittens braucht es die Kultivierung psychischer Kompetenzen wie Ambiguitätstoleranz und Mentalisierung in Bildung und öffentlichem Diskurs. Das ist keine Psychologisierung politischer Konflikte, sondern die Einsicht, dass Demokratie psychische Fähigkeiten voraussetzt: Realität aushalten, Gegnerschaft verstehen, Unterschiede bearbeiten, ohne sie zu vernichten.

Kurz gesagt: Der Text entschlüsselt eine affektive Grammatik des Autoritarismus – Bindung, Feindschaft, pervertiertes Containment, Jouissance – und verankert sie in einer spätmodernen Subjektlage der gekränkten Freiheit. Wer demokratische Resilienz stärken will, muss nicht Gefühle aus der Politik verbannen, sondern die Art verändern, wie wir mit ihnen umgehen: haltend statt hetzend, verarbeitend statt projizierend, lustbewusst statt lustversessen. Die empirische Lage macht die Dringlichkeit sichtbar; die Fallbeispiele zeigen, wie die Mechanismen praktisch funktionieren; und die psychoanalytische Perspektive erklärt, warum sie so unwiderstehlich wirken.

Quellen (Auswahl, passend zu den zentralen Befunden und Zitaten):
V‑Dem, Democracy Report 2025 (Exekutivzusammenfassung mit LDI‑Rückgang; Autokratien > Demokratien; 72 % in Autokratien).
Freedom House, Freedom in the World 2025 („19th consecutive year of decline“).
PRRI, Threats to American Democracy (2023): 38 % befürworten „einen Führer, der einige Regeln bricht“.
Trump‑Zitate: „American carnage“ (Antrittsrede 2017); „I alone can fix it“ (RNC 2016); „enemy of the American people“; 6. Januar „We fight like hell“.
AfD‑Zitate: Gauland „Vogelschiss“; Höcke „Denkmal der Schande“.
Putin „Abschaum und Verräter“.
Bolsonaro „kleine Grippe“; Würdigung Ustra.
Zum Kontext „Ende der Geschichte“ (Einordnung der Erwartung nach 1989).

Worum geht es?

Dieser Text erklärt den neuen Erfolg starker Führer.
Er zeigt: Politik wird heute stark von Gefühlen bestimmt.
Nicht nur Fakten zählen. Gefühle lenken Entscheidungen.

Warum ist das wichtig?

Viele Demokratien geraten unter Druck.
Menschen verlieren Vertrauen in Politik und Medien.
Dann wirken einfache Antworten und harte Worte besonders stark.
Wer die Gefühle versteht, kann Demokratie besser schützen.

Kernaussagen in Kürze

Erstens: Menschen binden sich oft emotional an Führer.
Das heißt: Der Führer wird zum inneren Vorbild. Kritik tut dann weh.
Zweitens: Gruppen halten innen zusammen, wenn sie außen Feinde malen.
Das heißt: Eigene Probleme werden anderen zugeschrieben.
Drittens: Manche Führer beruhigen Angst nicht, sondern heizen sie an.
Viertens: Der Tabubruch macht Lust. Das nennt man Jouissance.
Fünftens: Hinter allem steht oft eine gekränkte Freiheit.
Das heißt: Hohe Ansprüche an Selbstständigkeit, aber viel Ohnmacht im Alltag.

TEIL I — Die Krise der Demokratie und die Erklärungslücke

Nach 1989 dachten viele: Die liberale Demokratie setzt sich weltweit durch.
Heute zeigen große Berichte jedoch Rückschritte.
Wahlen finden statt, aber Regeln werden ausgehöhlt.
Viele Menschen misstrauen Parlamenten, Gerichten und Medien.
Ein Teil wünscht sich einen starken Anführer „der einfach macht“.
Ökonomische Gründe erklären das nur teilweise.
Kulturelle Konflikte erklären es auch nur teilweise.
Beides sagt wenig über die Stärke der Gefühle.
Genau hier liegt die Lücke.

TEIL II — Die Werkzeuge: Wie Gefühle Politik formen

Bindung an den Führer:
Menschen suchen Halt. Ein Führer wird zum Ideal‑Bild.
Das heißt: „Er weiß, was richtig ist.“ So entsteht tiefe Loyalität.

Spaltung und Projektion:
In Krisen sehen viele die Welt nur noch als Gut oder Böse.
Eigene Angst und Wut schieben sie dann anderen zu.
Das schafft klare Feindbilder und starken Zusammenhalt nach innen.

Führung und Containment:
Gute Führung nimmt Angst auf, ordnet sie und erklärt Wege.
Schlechte, populistische Führung macht das Gegenteil.
Sie verstärkt Angst, zeigt Schuldige und hält die Menge in Alarm.

Jouissance (Lust am Tabubruch):
Grenzen zu überschreiten fühlt sich aufregend an.
Gemeinsames Lachen über Gegner schweißt zusammen.
So wird Politik zu einem emotionalen Event.

TEIL III — So zeigt sich das in der Wirklichkeit

In den USA sprach Donald Trump oft von Untergang und Verrat.
Er stellte sich als einziger Retter dar.
In Deutschland greift die AfD die Erinnerungskultur an.
Das senkt Scham und lenkt Wut auf Migranten.
In Russland erzählt Putin vom bedrohten Vaterland.
Innenkritik gilt schnell als Verrat.
In Brasilien feierte Bolsonaro Härte und Demütigung.
In Indien stärkt Modi einen religiösen Mehrheits‑Nationalismus.
Die Formen sind verschieden. Die Gefühls‑Logik ist ähnlich.
Forschende messen dazu feindselige Gefühle zwischen Lagern.
Sie messen auch Freude an Niederlagen der Gegenseite.
Manche wünschen sogar „Chaos“. Das zeigt die Lust am Zerstören.

TEIL IV — Der Nährboden: Die „gekränkte Freiheit“

Unsere Zeit verlangt viel Selbstständigkeit und Erfolg.
Viele erleben aber Prekarität, Komplexität und Kontrollverlust.
Zwischen Anspruch und Realität entsteht eine Wunde.
Das Gefühl dahinter ist oft Scham.
Scham wandelt sich leicht in Ressentiment.
Das heißt: Dauerhafter Groll gegen „die da oben“ oder „die Anderen“.
Daraus wächst eine harte Haltung:
„Für mich totale Freiheit, für andere strenge Regeln.“
Man lehnt Komplexität, Abhängigkeit und Ambivalenz ab.
Populistische Führung passt perfekt dazu.
Sie bestätigt die Kränkung, liefert Schuldige und verspricht Genuss.

TEIL V — Was hilft? Demokratische Resilienz mit Gefühl

Nur Fakten reichen nicht. Gefühle brauchen Halt.
Erstens: Gute Führung beruhigt und erklärt.
Sie sagt ehrlich, was unsicher ist.
Sie zeigt, was Bürger selbst tun können.
Zweitens: Gesellschaft braucht Räume für Anerkennung.
Menschen erzählen dort ihren Ärger.
Moderatorinnen ordnen Ursachen ohne Sündenböcke.
Beteiligung gibt Selbstwirksamkeit zurück.
Drittens: Bildung übt Ambiguität und Perspektivwechsel.
Das heißt: Mehrdeutigkeiten aushalten.
Die Sicht des Gegners verstehen, ohne zuzustimmen.
Wichtig ist auch: keine reine Psychologisierung.
Strukturelle Probleme müssen politisch gelöst werden.

Was Sie mitnehmen

Autoritäre Politik funktioniert über Gefühle: Bindung, Feindbilder, Angst, Lust.
Unsere Zeit macht Menschen verwundbar: hoher Druck, wenig Kontrolle.
Populisten nutzen das. Sie liefern einfache Feinde und starken Genuss.
Demokratie bleibt stabil, wenn Ängste gehalten, Ressentiments bearbeitet
und Komplexität verständlich gemacht werden.
Sie können darauf achten:
Wer beruhigt wirklich? Wer schürt Angst?
Wer erklärt Wege? Wer zeigt nur Schuldige?
So erkennen Sie, ob Politik reif führt oder regressiv verführt.


Table of Contents

Die Erklärungslücke – Die Krise der liberalen Demokratie und die Grenzen rationaler Modelle

Die demokratische Rezession

Mit dem Ende des Kalten Krieges schien die liberale Demokratie als das unangefochtene, universelle Modell politischer Organisation hervorgegangen zu sein. Francis Fukuyama (1992) prägte für diese Wahrnehmung in seiner einflussreichen These den Begriff vom „Ende der Geschichte“ und formulierte damit die dominante Erwartung einer ganzen Epoche: Die Verbindung von Marktwirtschaft und liberal-demokratischen Institutionen habe sich als das evolutionär überlegene, finale Modell erwiesen. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist diese Gewissheit jedoch einer tiefen und beunruhigenden Ernüchterung gewichen. Die liberale Demokratie befindet sich nicht auf einem unaufhaltsamen Siegeszug, sondern in einer tiefgreifenden, globalen Krise. Phänomene, die viele im Westen für historische Relikte hielten – autoritärer Nationalismus, Personenkult, offene Verachtung für rechtsstaatliche Prozeduren und minoritäre Rechte – sind mit neuer, virulenter Kraft auf die politische Weltbühne zurückgekehrt.

Die Diagnose einer globalen demokratischen Krise ist keine polemische Behauptung, sondern das konsistente Ergebnis der wichtigsten, methodisch unterschiedlichen Langzeitprojekte zur Messung von Demokratiequalität weltweit. Die Befunde von Institutionen wie dem Freedom House und dem V-Dem Institut konvergieren in einer alarmierenden Schlussfolgerung: Die seit dem Ende des Kalten Krieges beobachtete Expansionswelle der Demokratie ist nicht nur zum Stillstand gekommen, sondern hat sich in ihr Gegenteil verkehrt.

Das an der Universität Göteborg angesiedelte „Varieties of Democracy“ (V-Dem) Projekt zeichnet in seinem Democracy Report 2025 das wohl dramatischste Bild dieser Entwicklung. Das durchschnittliche Niveau der liberalen Demokratie in der Welt, gemessen am Liberal Democracy Index (LDI), ist auf den Stand von 1985 zurückgefallen. Damit sind die demokratischen Gewinne der letzten fast vierzig Jahre auf globaler Ebene zunichte gemacht. Noch drastischer wird das Bild, wenn man die Bevölkerung gewichtet: Der durchschnittliche Weltbürger erlebt heute ein Demokratieniveau, das zuletzt 1985 zu beobachten war. Diese Entwicklung manifestiert sich in einer fundamentalen Verschiebung der globalen Machtbalance. Im Jahr 2024 überstieg die Zahl der Autokratien (91) erstmals seit 2002 wieder die Zahl der Demokratien (88), wobei mittlerweile 72 % der Weltbevölkerung in Autokratien leben. Dieser Anstieg ist nicht primär auf klassische Militärputsche zurückzuführen, sondern auf den Aufstieg sogenannter elektorale Autokratien. Dies sind Regime, die zwar Wahlen abhalten, aber die rechtsstaatlichen und liberalen Institutionen – freie Medien, unabhängige Justiz, Schutz von Minderheitenrechten – systematisch aushöhlen, bis der Wahlakt selbst zu einer Fassade ohne echten Wettbewerb wird. Große und bevölkerungsreiche Staaten wie Indien unter Modi oder die Türkei unter Erdoğan sind Paradebeispiele für diesen schleichenden Prozess der „Autokratisierung ohne Putsch“. Die Krise betrifft dabei nicht nur junge oder fragile Demokratien. Auch in etablierten westlichen Demokratien misst V-Dem signifikante Rückgänge, und insbesondere EU-Mitgliedstaaten wie Ungarn haben den Status einer liberalen Demokratie vollständig verloren.

Dieses Bild wird durch die Analysen von Freedom House eindrücklich bestätigt. Der Bericht Freedom in the World 2025 markiert das 19. aufeinanderfolgende Jahr, in dem die Zahl der Länder mit Rückschritten bei politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten die Zahl derer mit Fortschritten übersteigt. Diese beispiellose Kontinuität über fast zwei Jahrzehnte schließt zufällige Schwankungen aus und belegt einen persistenten Negativtrend. Die globale Balance hat sich verschoben: Die Anzahl der als „Frei“ klassifizierten Länder ist stetig gesunken, während die Zahl der „Nicht Freien“ und „Teilweise Freien“ zugenommen hat. Die Titel der Berichte von Freedom House selbst erzählen die Geschichte einer eskalierenden Krise, von „Democracy in Crisis“ (2018) bis hin zu „The Uphill Battle to Safeguard Rights“ (2025), was eine wachsende Dringlichkeit widerspiegelt. Die methodologische Konvergenz der Befunde von V-Dem und Freedom House ist dabei bedeutsam. Obwohl die Projekte unterschiedliche Definitionen und Indikatoren verwenden, zeichnen sie dasselbe Bild und verleihen der Diagnose der „demokratischen Rezession“ eine außergewöhnliche Robustheit.

Dieser auf der Makroebene beobachtete institutionelle Verfall findet sein subjektives Echo in einer ebenso tiefgreifenden Verschiebung der öffentlichen Meinung. Daten aus großen internationalen Umfrageprojekten wie der World Values Survey (WVS) oder globalen Erhebungen des Pew Research Center belegen eine fortschreitende Erosion des Vertrauens in die Kerninstitutionen der liberalen Demokratie. In vielen Ländern sinkt das Vertrauen in Parlamente, Regierungen, Justiz und politische Parteien. Dieser Vertrauensverlust führt jedoch nicht zwangsläufig zu einem Ruf nach mehr demokratischer Partizipation, sondern oft zu dessen Gegenteil: der Sehnsucht nach autoritären Lösungen. Daten der WVS zeigen eine signifikante Zustimmung zu Aussagen wie: „Wir brauchen einen starken Führer, der sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss.“ Eine besonders alarmierende Studie des Public Religion Research Institute (PRRI) aus dem Jahr 2024 ergab, dass vier von zehn Amerikanern für autoritäre Tendenzen empfänglich sind; 38 % der Befragten stimmten der Aussage zu, sie bräuchten einen Führer, der bereit sei, „einige Regeln zu brechen“, um die Dinge in Ordnung zu bringen. Gleichzeitig manifestiert sich die Krise des Vertrauens in einer extremen affektiven Polarisierung. Hier geht es nicht mehr nur um unterschiedliche politische Meinungen, sondern um tiefen emotionalen Groll, bei dem der politische Gegner nicht mehr als legitimer Konkurrent, sondern als unmoralischer und existenzieller Feind wahrgenommen wird.

Ein erster Blick auf die Landschaft der gegenwärtigen Demokratien ergibt damit ein klares, dreifaches Krisensyndrom: ein fortschreitender institutioneller Verfall, eine spürbare Erosion der Freiheitsrechte und ein tiefgreifender Vertrauensverlust der Bürger, der sich in autoritären Sehnsüchten und affektiver Polarisierung niederschlägt. Diese empirische Realität wirft eine dringende Frage auf: Welche Triebkräfte liegen dieser globalen autoritären Wende zugrunde, und warum scheinen die etablierten Erklärungsmodelle angesichts ihrer affektiven Wucht an ihre Grenzen zu stoßen?

Das Rätsel der affektiven Bindung: Warum rationale Erklärungen zu kurz greifen

Die Politik- und Sozialwissenschaften haben zur Erklärung der demokratischen Rezession zwei dominante Erklärungsstränge entwickelt, die sich grob als ökonomische und kulturelle Thesen zusammenfassen lassen. Beide Ansätze liefern unbestreitbar wichtige Einblicke und erfassen wesentliche Korrelationen. Dennoch stoßen sie an eine entscheidende Grenze, wenn es darum geht, die spezifische affektive Qualität und die oft paradoxe, irrationale Logik zu erklären, die den Kern des heutigen Autoritarismus ausmachen. Sie beschreiben die Symptome der Krise, dringen aber nicht immer zu den tieferliegenden psychischen Mechanismen vor, die diese Symptome erst hervorbringen.

Die ökonomische Erklärung, oft unter dem Stichwort „economic anxiety“ diskutiert, postuliert, dass die Globalisierung, Deindustrialisierung und wachsende Ungleichheit eine Klasse von „Modernisierungsverlierern“ geschaffen haben. Diese von ökonomischer Prekarität und Statusverlust bedrohten Bevölkerungsgruppen wenden sich in ihrer Verzweiflung populistischen Akteuren zu, die einfache Lösungen, Protektionismus und die Benennung klarer Sündenböcke versprechen, seien es Migranten, Freihandelsabkommen oder eine abgehobene globale Elite. Dieser Ansatz ist plausibel und wird durch die Tatsache gestützt, dass populistische Wahlerfolge oft in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit und strukturellem Wandel besonders ausgeprägt sind. Dennoch bleiben entscheidende Anomalien bestehen. Zum einen rekrutieren sich die Anhänger autoritärer Bewegungen keineswegs nur aus ökonomisch Abgehängten; oft gehören auch wohlhabende Mittelschichten oder sogar Eliten zu ihrer treuesten Basis, deren Motivation kaum in materieller Not liegen kann. Zum anderen widerspricht das Wahlverhalten oft dem direkten ökonomischen Eigeninteresse, etwa wenn Arbeiter für Politiker stimmen, deren Programme Steuersenkungen für Reiche und den Abbau von Sozialleistungen vorsehen. Vor allem aber erklärt das ökonomische Modell zwar den Anlass für Wut und Frustration, nicht aber die spezifische Form und Intensität der politischen Reaktion: die quasi-religiöse Verehrung einer Führerfigur, die fast liebende Hingabe an eine Bewegung oder die tiefe, lustvolle Befriedigung, die aus der Demütigung des politischen Gegners gezogen wird.

Der zweite große Erklärungsansatz, bekannt als die These des „cultural backlash“ (Inglehart & Norris, 2019), verlagert den Fokus von ökonomischen auf kulturelle Faktoren. Er argumentiert, dass der rapide soziale Wandel der letzten Jahrzehnte – die zunehmende Akzeptanz von LGBTQ+-Rechten, die Stärkung von Frauenrechten, demografische Verschiebungen durch Migration und die Etablierung kosmopolitischer Werte – bei Bevölkerungsgruppen mit traditionellen Wertvorstellungen eine reaktionäre Gegenbewegung ausgelöst hat. Diese Gruppen empfinden den Wandel als eine existenzielle Bedrohung ihrer Lebensweise, ihrer Identität und ihres sozialen Status. Der Populismus wird hier zur Stimme jener, die sich kulturell an den Rand gedrängt fühlen und eine Rückkehr zu einer vermeintlich geordneteren, homogeneren Vergangenheit ersehnen. Auch dieser Ansatz ist empirisch stark untermauert, da kulturelle Einstellungen oft ein besserer Prädiktor für populistisches Wahlverhalten sind als die reine Einkommenssituation. Doch auch hier bleibt eine Erklärungslücke. Das Modell erklärt zwar, dass es einen Wertekonflikt gibt, aber nicht, warum dieser Konflikt eine so radikale, manichäische Form annimmt, in der der Gegner zum existenziellen Feind wird. Es erklärt auch nicht das Paradoxon, warum die Verteidiger traditioneller Werte sich oft hinter Führungsfiguren versammeln, die selbst jegliche traditionelle Moral mit Füßen treten. Die Anziehungskraft des transgressiven, normbrechenden Führers lässt sich nicht allein aus dem Wunsch nach Bewahrung von Tradition erklären.

Beide Erklärungsmodelle sind somit notwendig, aber nicht hinreichend. Was in ihren Analysen tendenziell unbeleuchtet bleibt, ist der psychologische Prozess, der objektive soziale und ökonomische Belastungen in eine spezifische, hochgradig affektgeladene politische Subjektivität transformiert. Es fehlt eine Theorie, die die innere, affektive Logik dieser Transformation erfasst. Genau hier setzt die Notwendigkeit einer psychoanalytischen Perspektive an. Sie stellt nicht die Frage, ob Menschen unzufrieden sind, sondern wie sie diese Unzufriedenheit psychisch verarbeiten. Warum ist die Reaktion auf Angst und Kontrollverlust nicht rationales Problemlösen, sondern oft eine Regression zu primitiven Abwehrmechanismen wie Spaltung und Projektion? Warum ist die Bindung an einen Führer so intensiv und unerschütterlich, dass sie eher einer libidinösen Bindung gleicht als einer politischen Übereinkunft? Und warum, vielleicht am provokantesten, scheint in der kollektiven Aggression und im Tabubruch ein unübersehbarer, lustvoller Genuss zu liegen? Diese Fragen nach der psychischen „Energie“, die diese Bewegungen antreibt, können nur durch eine Tiefenperspektive beantwortet werden. Die Psychoanalyse bietet mit ihrem Vokabular die entscheidenden Konzepte, um dieses politisierte Unbewusste zu analysieren und die verborgene Grammatik der scheinbar irrationalen Leidenschaften zu entschlüsseln, die die Politik der Gegenwart prägen.

These und Aufbau des Artikels: Das politisierte Unbewusste als Schlüssel

Genau an diesem Punkt, an der Grenze des rein rational Erklärbaren, setzt die Perspektive dieses Artikels an. Er argumentiert, dass die gegenwärtige Konjunktur autoritärer Politik nicht verstanden werden kann, ohne die unbewussten, affektiven Grundlagen zu beleuchten, die ihr zugrunde liegen. Es wird ein psychoanalytisches Modell des politischen Subjekts und der Gruppe vorgeschlagen, das sich auf die unbewusste Bewältigung von Angst, die Regulierung von Kränkungen, die Logik narzisstischer Bedürfnisse und die paradoxe Suche nach einem exzessiven Genuss, einer Jouissance, konzentriert. Diese Perspektive ermöglicht es, die verborgene affektive Grammatik zu entschlüsseln, die das scheinbar Irrationale im politischen Feld strukturiert. Das Ziel ist es, das Phänomen des „politisierten Unbewussten“ zu analysieren – jene Sphäre, in der private Ängste und unbewusste Phantasien zu kollektiver politischer Energie werden.

Die zentrale These dieses Artikels lautet daher, dass die autoritäre Wende von einem psycho-sozialen Syndrom angetrieben wird, das auf einer toxischen Resonanz zwischen zwei Polen beruht: einerseits destruktiven Führungsstilen, die gezielt primitive Abwehrmechanismen wie Spaltung, Projektion und ein „pervertiertes Containing“ instrumentalisieren; und andererseits einer spezifischen psychischen Disposition in Teilen der spätmodernen Gesellschaft, die sich aus einer tiefen narzisstischen Kränkung speist – der „gekränkten Freiheit“. Der populistische Führer bietet damit eine pathologische, aber affektiv hochwirksame Lösung für eine reale psychische Notlage an. Es entsteht eine „destruktiv-symbiotische Passung“, in der der Führer die Ängste seiner Anhänger nicht beruhigt, sondern instrumentalisiert, um eine unerschütterliche, libidinöse Bindung herzustellen.

Um diese These zu entfalten, folgt der Artikel einem systematischen Aufbau. Teil II wird zunächst die psychoanalytische Werkzeugkiste darlegen und die zentralen Mechanismen – von Freuds Theorie der Massenbindung über Kleins Konzepte der Spaltung und Projektion, Bions Modell des Containment bis hin zu Lacans Begriff der Jouissance – in ihrer politischen Anwendung definieren. Teil III wird anschließend die empirische Evidenz für diese Mechanismen im politischen Feld aufzeigen. Er wird anhand qualitativer Diskursanalysen exemplarischer Fallvignetten (u.a. Trumpismus, AfD, Putinismus) die affektive Grammatik des Autoritarismus in der Praxis demonstrieren und einen Brückenschlag zu quantitativen Korrelaten aus der politischen Sozialpsychologie (u.a. RWA, affektive Polarisierung) schlagen. Teil IV analysiert den spezifischen soziologischen Nährboden dieser Entwicklung und führt das Konzept der „gekränkten Freiheit“ als Kerndiagnose der spätmodernen Subjektivität ein. Abschließend wird Teil V die Schlussfolgerungen aus dieser Diagnose ziehen und Implikationen für eine Stärkung der demokratischen Resilienz diskutieren, die über rein rationale Appelle hinausgehen muss.

Die psychoanalytische Werkzeugkiste – Eine Grammatik unbewusster politischer Dynamiken

Die Logik der Bindung: Libido, Ich-Ideal und die Furcht vor der Freiheit

Die vielleicht fundamentalste und provokanteste Frage, die sich angesichts charismatischer autoritärer Bewegungen stellt, lautet: Warum unterwerfen sich Menschen freiwillig, oft enthusiastisch, einer Führung, die ihre Autonomie beschneidet und sie zu Handlungen treibt, die ihren rationalen Interessen zuwiderlaufen? Die Antwort, die die Psychoanalyse bietet, verlagert die Analyse von der Ebene des politischen Kalküls auf die der affektiven Ökonomie. Die Bindung an einen Führer, so die grundlegende Einsicht von Sigmund Freud, ist keine rationale Übereinkunft, sondern ein zutiefst libidinöser Prozess, eine Form der Liebe.

Freuds revolutionärer Schritt in Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921) bestand darin, die kohäsive Kraft von Gruppen nicht aus einem postulierten „Herdeninstinkt“ abzuleiten, sondern aus der Architektur des psychischen Apparats selbst. Er verstand die emotionalen Bindungen innerhalb einer Gruppe als „zielgehemmte“ libidinöse Triebe – also als Formen von Liebe, deren ursprüngliches sexuelles Ziel in zärtliche, kameradschaftliche oder verehrende Zuneigung umgewandelt wurde. Die zentrale Mechanik, die eine unstrukturierte Menge in eine psychologisch kohärente Masse verwandelt, ist eine doppelte Identifikation, die sich entlang einer vertikalen und einer horizontalen Achse entfaltet.

Die vertikale Achse dieser Struktur ist die entscheidende: Jedes Individuum in der Gruppe vollzieht einen folgenreichen psychischen Tausch, indem es ein und dasselbe Objekt – den Führer – an die Stelle seines eigenen Ich-Ideals setzt. Das Ich-Ideal ist jene Instanz in der Psyche, die aus den frühen Identifikationen mit den Eltern und anderen Autoritätsfiguren hervorgeht. Es repräsentiert die Summe der eigenen Aspirationen, Werte und moralischen Maßstäbe; es ist das idealisierte Bild dessen, was man sein möchte, und die Quelle der Selbstkritik, wenn man diesem Ideal nicht genügt. In der Masse wird diese zutiefst persönliche, innere Instanz nun externalisiert und auf eine äußere Figur projiziert. Der Führer wird zum gemeinsamen, externalisierten Gewissen und Ideal der Gruppe. Er wird nicht für das geliebt, was er realpolitisch leistet, sondern dafür, dass er die narzisstische Perfektion verkörpert, die das Individuum für sich selbst erstrebt. Die kritische Distanz zum Führer schwindet, denn ihn zu kritisieren, käme der Kritik am eigenen, nun ausgelagerten Ideal gleich. Freud vergleicht diesen Zustand der suggestiven Hörigkeit und des Realitätsverlustes mit dem der Hypnose: Das Individuum verhält sich, als sei es in Trance, seine autonome Urteilsfähigkeit ist suspendiert zugunsten der unhinterfragten Autorität des Führers.

Aus dieser primären, vertikalen Bindung ergibt sich die zweite, horizontale Achse der Gruppenkohäsion. Weil alle Mitglieder der Masse dasselbe Objekt lieben und an die Stelle ihres Ich-Ideals gesetzt haben, werden sie einander gleich. In diesem einen Punkt sind sie identisch. Sie identifizieren sich nun untereinander auf der Basis dieser gemeinsamen, geteilten Liebe. Freud beschreibt dies als eine symbolische Wiederholung und Überwindung der ursprünglichen Rivalität der „Brüder“ um die Gunst des Urvaters. In der Masse herrscht eine Art erzwungene Gleichheit und Kameradschaft, die jedoch nur um den Preis der gemeinsamen Unterwerfung unter denselben Herrn zu haben ist. Dieses Modell erklärt schlüssig die oft beobachteten Phänomene in autoritären Gruppen: den Verlust der individuellen Urteilsfähigkeit, die hohe Suggestibilität, die emotionale Ansteckung und die oft selbstaufopfernde Loyalität gegenüber dem Führer und der Gruppe.

Freuds Analyse lässt jedoch ein entscheidendes Paradoxon ungelöst. Einerseits ist das moderne Subjekt durch das Ideal der Autonomie und Selbstbestimmung geprägt – ein Streben, das nicht nur ein zentrales Versprechen der Aufklärung darstellt, sondern auch als fundamentales psychologisches Grundbedürfnis verstanden werden kann (vgl. Deci & Ryan, 2000). Selbst Freud, der die Macht der unbewussten Triebe betonte, beschrieb das Ich als eine Instanz, die unablässig um ihre relative Autonomie gegenüber den Ansprüchen des Es, den Geboten des Über-Ichs und den Forderungen der Außenwelt ringt. Andererseits beschreibt sein Modell der Massenpsychologie genau die bereitwillige Aufgabe dieser so mühsam errungenen Autonomie. Wie lässt sich dieser Widerspruch auflösen?

An dieser Stelle setzt die Analyse von Erich Fromm in Die Furcht vor der Freiheit (1941) an. Fromm löst dieses Paradoxon auf, indem er die Freiheit selbst als eine dialektische, widersprüchliche Erfahrung beschreibt. Er argumentiert, dass der historische Prozess der Individuation, der den Menschen aus den primären Bindungen des Mittelalters (Familie, Stand, Kirche) befreite, ihm eine „Freiheit von“ äußerem Zwang gewährte. Doch dieser Prozess stieß den Einzelnen zugleich in eine existenzielle Isolation, Ohnmacht und Angst. Die Last, das eigene Leben ohne vorgegebene Strukturen und Gewissheiten allein gestalten zu müssen, wird für viele zu einer unerträglichen Bürde. Die „Freiheit von“ führt nicht automatisch zu einer „Freiheit zu“ – der Fähigkeit, das eigene Leben kreativ und in solidarischer Verbundenheit mit anderen zu gestalten.

Aus dieser „Furcht vor der Freiheit“, diesem unerträglichen Gefühl der Isoliertheit, entstehen psychische Fluchtmechanismen. Der für die politische Analyse relevanteste ist der Autoritarismus, den Fromm als eine sado-masochistische Charakterstruktur beschreibt. Der masochistische Aspekt ist der Drang, sich einer überwältigenden äußeren Macht – sei es ein Führer, der Staat oder die Nation – unterzuordnen, um die Last der eigenen isolierten Existenz loszuwerden. In dieser symbiotischen Verschmelzung findet das schwache Ich ein Gefühl von Stärke und Sicherheit, das es aus sich selbst nicht schöpfen kann. Der sadistische Aspekt ist die komplementäre Tendenz, Macht über andere, als schwächer wahrgenommene Wesen auszuüben, um das eigene Gefühl der Ohnmacht zu kompensieren.

Fromms Analyse liefert damit nicht nur eine Ergänzung zu Freud, sondern den Schlüssel zu dessen Aktualität. Freuds Modell beschreibt den psychischen Mechanismus des Tausches – die Aufgabe des Ich-Ideals gegen eine libidinöse Bindung. Fromms Analyse liefert die historisch-soziologische Begründung, warum dieser Tausch für das moderne Subjekt zu einem so verlockenden, wenn auch destruktiven, Angebot wird. Die scheinbar irrationale Hingabe an einen autoritären Führer ist aus dieser Perspektive eine psychologisch funktionale, wenn auch pathologische, Lösung für ein reales existenzielles Problem: Sie tauscht die schmerzhafte Freiheit des isolierten Individuums gegen die lustvolle Sicherheit der gebundenen Masse. Dieses grundlegende Modell der vertikalen Bindung und der damit verbundenen Unterwerfungssehnsucht ist der erste und wichtigste Baustein in der psychoanalytischen Werkzeugkiste.

Die Architektur der Feindschaft: Spaltung, Projektion und Aggressionsabfuhr

Nachdem die vertikale, libidinöse Bindung an eine Führerfigur als zentraler Mechanismus der Gruppenbildung etabliert wurde, muss die Analyse sich der horizontalen Dimension zuwenden: Wie konstituiert und stabilisiert sich die Gruppe als Gemeinschaft? Die Antwort der Psychoanalyse ist hier ebenso ernüchternd wie erhellend: Die Liebe nach innen erfordert und wird genährt durch den Hass nach außen. Die psychische Architektur populistischer und autoritärer Bewegungen ist fundamental eine Architektur der Feindschaft. Sie beruht auf primitiven Abwehrmechanismen, die in der frühen Kindheit wurzeln, aber in Zeiten kollektiver Angst und Regression mit verheerender Kraft reaktiviert werden können. Die zentralen Bausteine dieser Architektur sind die Spaltung, die Projektion und der daraus resultierende „Narzissmus der kleinen Differenzen“.

Die grundlegendste Operation ist die Spaltung, ein Konzept, das maßgeblich von der Psychoanalytikerin Melanie Klein in ihren Arbeiten zur frühen kindlichen Entwicklung  (Klein 1946), entwickelt wurde. Klein beobachtete, dass der Säugling, um mit der überwältigenden Erfahrung von Abhängigkeit und Frustration umzugehen, seine Welt in radikal getrennte, eindeutige Teile zerlegt. Das Objekt der Begierde und des Hasses – die Mutterbrust – ist nicht gleichzeitig gut (nährend) und schlecht (entziehend), sondern wird in ein idealisiertes, rein gutes Objekt und ein verfolgendes, rein böses Objekt gespalten. Dieser Mechanismus schützt das gute Objekt und das eigene gute Selbst vor den eigenen destruktiven, aggressiven Impulsen. Er schafft eine psychisch handhabbare, wenn auch verzerrte Realität, indem er die unerträgliche Komplexität und Ambivalenz der Welt eliminiert. In politischen Krisen, die durch Unsicherheit, Kontrollverlust und Angst gekennzeichnet sind, neigen Kollektive zur Regression in diesen von Klein als paranoid-schizoide Position bezeichneten Zustand. Die politische Realität wird nicht mehr in ihrer widersprüchlichen Komplexität wahrgenommen, sondern in einem manichäischen Schema gespalten: Es gibt nur noch ein idealisiertes „Wir“ (das reine, tugendhafte, leidende Volk) und ein dämonisiertes „Sie“ (die korrupte Elite, die gefährlichen Fremden, die verräterischen Medien). Kompromiss wird in dieser Logik zu Verrat, Nuancierung zu Schwäche und Empathie mit dem Gegner zu Kollaboration. Die Spaltung bietet eine immense psychische Entlastung; sie ersetzt die quälende Unsicherheit durch eine klare, moralisch eindeutige Gewissheit und schafft, wie es in einem Ihrer Texte heißt, ein „emotional verdauliches“ Problem.

Sobald die Welt gespalten ist, tritt der zweite Mechanismus in Kraft: die Projektion. Die abgespaltenen, unerwünschten und unerträglichen Anteile des eigenen Selbst oder der eigenen Gruppe – Aggression, Gier, Korruption, sexuelle Impulse, Schwäche, Dummheit – werden nicht einfach verleugnet, sondern aktiv nach außen verlagert und einem anderen Objekt zugeschrieben. Dieses äußere Objekt, der Sündenbock, wird nun zum Träger all dessen, was das „Wir“ nicht sein will. Politische Rhetorik ist voll von solchen Projektionen: Die korrupte Elite, die den gierigen Populisten anprangert; der aggressive Nationalist, der dem Pazifisten Kriegstreiberei vorwirft; die Bewegung, die Intoleranz predigt und sich als Opfer einer „Gesinnungsdiktatur“ inszeniert. Die Projektion dient der narzisstischen Reinigung: Indem das Böse draußen verortet wird, kann das Innere als rein und gut phantasiert werden.

Karyne Messina (2022) und andere zeitgenössische Analysten betonen hier die Weiterentwicklung des Konzepts zur projektiven Identifikation, ebenfalls ein von Klein (1946) eingeführter Begriff. Im Gegensatz zur einfachen Projektion, bei der der Andere lediglich als Leinwand für die eigenen Phantasien dient, ist die projektive Identifikation ein interpersonaler Prozess. Der Projizierende versucht unbewusst, den Empfänger der Projektion dazu zu bringen, sich tatsächlich entsprechend der Projektion zu fühlen und zu verhalten. Ein populistischer Führer, der seine eigene paranoide Angst vor Verrat und Verfolgung auf seine Anhänger projiziert, wird so kommunizieren, dass diese Anhänger tatsächlich Angst und Verfolgungswahn entwickeln. Ihre anschließende aggressive Reaktion auf vermeintliche Feinde (wie Journalisten) wird dann vom Führer als „Beweis“ für die ursprüngliche Bedrohung umgedeutet. Es entsteht eine selbsterfüllende Prophezeiung, eine toxische Interaktionsschleife, in der der Führer die Gefühle seiner Anhänger nicht nur spiegelt, sondern aktiv induziert und dann als Bestätigung seiner eigenen Weltsicht erntet. Dieser Mechanismus erklärt die oft beobachtete hermetische Geschlossenheit populistischer Echokammern, in denen die Realität nicht mehr von außen korrigiert, sondern von innen permanent neu erzeugt wird.

Die entscheidende Frage ist jedoch, welche Funktion diese nach außen gerichtete Aggression für die Gruppe selbst hat. Hier schließt sich der Kreis zurück zu Freud und seinem Konzept des „Narzissmus der kleinen Differenzen“ aus Das Unbehagen in der Kultur (1930). Freud beobachtete, dass die heftigsten Feindseligkeiten oft nicht zwischen radikal Fremden, sondern zwischen einander sehr ähnlichen, benachbarten Gemeinschaften ausbrechen. Er argumentiert, dass diese Aggression eine ökonomische Funktion für den libidinösen Haushalt der Gruppe hat. Die durch die horizontale Identifikation der Mitglieder entstehende brüderliche Liebe ist fragil; sie wird permanent von den unterdrückten, aber nicht verschwundenen Rivalitäten und aggressiven Impulsen zwischen den Individuen bedroht. Um die innere Kohäsion zu sichern, muss diese Aggression ein Ventil finden. Der benachbarte „Andere“, der einem so ähnlich ist, dass seine geringfügigen Abweichungen die eigene Identität besonders in Frage stellen, ist das perfekte Ziel. Indem die Gruppe ihre Aggression auf diesen äußeren Feind ablädt, befriedet sie sich im Inneren. Der gemeinsame Hass nach außen wird zum Kitt, der die Liebe nach innen zusammenhält. Freud formulierte dies unmissverständlich: „Es ist immer möglich, eine größere Menge von Menschen in Liebe aneinander zu binden, wenn nur andere für die Äußerung der Aggression übrig bleiben.“

Diese Architektur der Feindschaft bildet somit eine psychodynamisch stabile, wenn auch hochgradig destruktive Struktur. Die Spaltung liefert die binäre Logik (Gut vs. Böse). Die Projektion liefert den Inhalt (der Feind ist die Verkörperung unserer eigenen verleugneten Laster). Die projektive Identifikation sorgt für die dynamische Stabilisierung dieser Realitätsverzerrung. Und der Narzissmus der kleinen Differenzen erklärt die soziale Funktion dieses ganzen Manövers: die Aufrechterhaltung der Gruppenkohäsion durch kanalisierte Aggression. Diese Mechanismen sind nicht nur eine Beschreibung pathologischer Politik, sondern sie enthüllen die unbewusste, affektive Logik, die autoritäre und populistische Bewegungen für ihre Mitglieder so attraktiv und psychologisch „funktional“ macht. Sie bieten eine scheinbare Lösung für unerträgliche innere und äußere Spannungen, deren Preis jedoch die Zerstörung von Empathie, Realitätsprüfung und letztlich der Grundlagen des demokratischen Zusammenlebens ist. Nachdem wir nun die grundlegende psychische Grammatik der Bindung und der Feindschaft dargelegt haben, stellt sich die entscheidende Frage, welche Rolle die politische Führung bei der aktiven Orchestrierung und Aufrechterhaltung dieser destruktiven Architektur spielt.

Die Funktion der Führung: Containment und seine Perversion

Nachdem die grundlegenden Mechanismen der Bindung an eine Autorität und der Abgrenzung durch Feindschaft dargelegt wurden, rückt nun die aktive Rolle der politischen Führung ins Zentrum der Analyse. Wenn Kollektive von Angst, Unsicherheit und dem Gefühl des Kontrollverlustes erfasst werden, wird die psychologische Funktion der Führung zur entscheidenden Variable. Sie entscheidet darüber, ob eine Gesellschaft diese Belastungen konstruktiv verarbeitet und daraus lernt, oder ob sie in regressive, destruktive Muster zerfällt. Das Vokabular zur Beschreibung dieser entscheidenden Funktion liefert der britische Psychoanalytiker Wilfred Bion mit seinem Konzept des Containment.

In seinen Arbeiten, insbesondere in Experiences in Groups (1961) und Learning from Experience (1962), entwickelte Bion seine Theorie ursprünglich aus der Beobachtung der Mutter-Säugling-Dyade. Er verstand diesen Prozess als Prototyp für jede Form des psychischen Wachstums und Lernens. Der Säugling, so Bion, wird von rohen, unerträglichen Sinnes- und Gefühlseindrücken überwältigt, die er als Beta-Elemente bezeichnet. Dies sind keine Gedanken im eigentlichen Sinne, sondern ungedachte, unprozessierte Bruchstücke von Erfahrung – pure Angst, Wut, Schmerz, Verwirrung. Da der Säugling noch keinen eigenen Apparat besitzt, um diese Zustände zu verarbeiten, muss er sie evakuieren. Er projiziert sie in eine andere Person hinein: die Mutter, die als Container fungiert. Eine „hinreichend gute“ Mutter, so Bion, nimmt diese projizierten Beta-Elemente auf, ohne davon selbst überwältigt zu werden. Durch ihre Fähigkeit zur Rêverie – einer Art träumerischer, empathischer Empfänglichkeit – kann sie die rohen Affekte des Kindes halten, verdauen und ihnen einen Sinn verleihen. Dieser Transformationsprozess, den Bion die Alpha-Funktion nennt, wandelt die unerträglichen Beta-Elemente in Alpha-Elemente um: in verdaute, symbolisierte und somit denkbare, träumbare und kommunizierbare psychische Inhalte. Die Mutter gibt diese verarbeitete Erfahrung an das Kind zurück, das nun die Erfahrung machen kann, dass seine unerträglichen Gefühle nicht zerstörerisch sind, sondern gehalten und verstanden werden können. Durch unzählige Wiederholungen dieses Zyklus internalisiert das Kind die Alpha-Funktion der Mutter und entwickelt so seinen eigenen Denkapparat.

Übertragen auf die politische Ebene fungieren in einer gesunden Gesellschaft demokratische Institutionen, öffentliche Diskurse und insbesondere politische Führungskräfte als ein solcher Container für die kollektiven Ängste. In Krisenzeiten – sei es eine Pandemie, eine Wirtschaftskrise oder ein tiefgreifender sozialer Wandel – wird die Bevölkerung von Beta-Elementen überschwemmt: diffuse Zukunftsängste, Wut über wahrgenommene Ungerechtigkeit, Verwirrung angesichts komplexer Informationen. Eine „containende“ Führungskraft agiert hier wie der Bion’sche Container. Sie nimmt diese rohen Affekte auf, indem sie die Ängste der Bevölkerung offen anerkennt und validiert („Ich verstehe Ihre Sorgen“). Sie wehrt sie nicht ab und verspottet sie nicht, sondern bietet einen Rahmen, in dem diese Emotionen Platz haben. Anschließend wendet sie ihre Alpha-Funktion an: Sie sortiert die Komplexität, übersetzt verwirrende Informationen in eine kohärente Erzählung, benennt Ursachen, skizziert Handlungsoptionen und vermittelt ein Gefühl von rationaler Kontrolle und begründeter Hoffnung. Sie gibt die verarbeiteten Ängste in Form von klaren, handhabbaren Alpha-Elementen an die Gesellschaft zurück. Das Ergebnis ist eine Reduktion der kollektiven Panik und die Stärkung der Fähigkeit der Gesellschaft, als „Arbeitsgruppe“ an der realen Lösung des Problems zu kooperieren, anstatt in primitive Abwehrmechanismen zu regredieren.

Die zeitgenössische psychoanalytische Politikforschung, insbesondere die Arbeiten von Karin Zienert-Eilts (2020) und Michael Diamond (2023), hat jedoch auf eine pathologische Umkehrung dieses Prozesses hingewiesen, die für das Verständnis des modernen Populismus zentral ist: das „pervertierte Containing“. Der populistische oder autoritäre Führer agiert ebenfalls als Container, aber er pervertiert dessen Funktion. Anstatt die Beta-Elemente der Bevölkerung aufzunehmen, zu entgiften und verarbeitbar zurückzugeben, verstärkt, befeuert und injiziert er aktiv weitere Beta-Elemente in das Kollektiv. Der Prozess läuft in umgekehrter Richtung: Der Führer nimmt die diffusen Ängste und den Groll seiner Anhänger auf, aber anstatt sie durch seine Alpha-Funktion zu prozessieren, lädt er sie ideologisch auf, verstärkt ihre paranoide Qualität und projiziert sie in einer noch toxischeren, konzentrierteren Form auf klar definierte Sündenböcke zurück. Er sagt seiner Anhängerschaft im Grunde: „Eure schlimmsten, irrationalsten Ängste sind nicht nur berechtigt, sie sind die einzige Wahrheit. Euer Hass ist nicht nur verständlich, er ist eine moralische Pflicht.“

Dieser Mechanismus untergräbt systematisch die Fähigkeit der Gruppe zum Denken und zur Realitätsprüfung. Er zielt darauf ab, einen Zustand permanenter emotionaler Erregung und archaischer Abhängigkeit von der Führungsperson zu schaffen, die dieses Chaos orchestriert und sich gleichzeitig als einziger Retter inszeniert. Der Führer wird nicht zum haltenden Container, sondern zum Brandbeschleuniger. Dieser Prozess induziert einen kollektiven Rückfall in einen psychischen Zustand, den Bion als Grundannahmen-Gruppe (Basic Assumption Group) beschrieben hat. Anstatt als rationale Arbeitsgruppe zu fungieren, agiert die Gesellschaft nun nach einer unbewussten, emotionalen Logik. Vor allem die Grundannahme Kampf/Flucht (baF) wird aktiviert: Die gesamte Realität der Gruppe wird durch die Existenz eines Feindes oder einer existenziellen Bedrohung definiert. Alle Energie wird darauf verwendet, diesen Feind – der intern (die „korrupte Elite“, die „Verräter“) oder extern (Migranten, andere Nationen) sein kann – zu bekämpfen oder vor ihm zu fliehen. Jede Form von Komplexität, Diplomatie oder Empathie wird als Verrat an der Kampfgemeinschaft gewertet. Gleichzeitig wird die Grundannahme Abhängigkeit (baD) befeuert: Indem die Bedrohung permanent als existenziell und überwältigend dargestellt wird, wächst die Sehnsucht nach einem omnipotenten, idealisierten Führer, der als Einziger in der Lage scheint, die Gruppe zu retten („I alone can fix it“).

Es entsteht eine von Zienert-Eilts als „destruktiv-symbiotische Passung“ beschriebene Dynamik. Der Führer, oft selbst von einer narzisstischen oder paranoiden Struktur geprägt, braucht die ständige Bewunderung und die projizierte Aggression der Masse, um sein eigenes fragiles Selbst zu stabilisieren. Die Masse wiederum braucht den Führer, um ihre unerträglichen Ängste zu externalisieren und eine Lizenz für die Auslebung ihrer eigenen verdrängten Aggression zu erhalten. Dieses System kann nicht in einem Zustand der Ruhe existieren; es benötigt, wie Zienert-Eilts betont, eine „permanente Eskalation“. Es müssen ständig neue Krisen inszeniert, neue Feinde identifiziert und neue Tabus gebrochen werden, um das hohe Niveau der affektiven Erregung aufrechtzuerhalten, das die libidinöse Bindung zwischen Führer und Anhängerschaft zementiert.

Der Angriff auf die Alpha-Funktion der Gesellschaft ist somit ein Angriff auf die Demokratie selbst. Die Fähigkeit zum Denken, zur Reflexion und zur Toleranz von Ambiguität und widersprüchlichen Perspektiven sind die psychologischen Grundvoraussetzungen für einen funktionierenden demokratischen Diskurs. Das „pervertierte Containing“ attackiert diese Fähigkeiten systematisch, indem es Denken durch rohen Affekt, Komplexität durch falsche Gewissheit und Kooperation durch Spaltung ersetzt. Die Erosion demokratischer Normen ist somit nicht nur ein politischer Prozess, sondern das sichtbare Symptom eines tiefergehenden psycho-sozialen Angriffs auf die kollektive Denk- und Verarbeitungsfähigkeit einer Gesellschaft. Doch diese destruktive Dynamik wird nicht allein durch Angst und Abwehr angetrieben. Um ihre volle Wirkmacht zu verstehen, müssen wir uns nun ihrer verborgenen Lustquelle zuwenden.

Die Ökonomie des Genießens: Jouissance und die Lust an der Transgression

Die bisherige Analyse hat sich auf die Abwehrmechanismen konzentriert, die Gesellschaften in Krisenzeiten ergreifen: die libidinöse Flucht in die Unterwerfung, die Spaltung der Welt in Gut und Böse, die Projektion von Schuld und die Instrumentalisierung von Angst durch eine pervertierte Führungsfunktion. Diese Perspektive, die primär auf der Bewältigung von Unlust, Angst und narzisstischer Kränkung beruht, ist jedoch unvollständig. Sie erklärt die passive, reaktive Seite des Phänomens – die Flucht vor etwas –, aber sie erfasst nicht die aktive, energetische und oft euphorische Qualität, die diese Bewegungen für ihre Teilnehmer haben. Um die volle affektive Wucht und die fast süchtig machende Bindungskraft des Autoritarismus zu verstehen, müssen wir uns einem der provokantesten Konzepte der post-freudianischen Psychoanalyse zuwenden, das maßgeblich von Jacques Lacan geprägt und von Denkern wie Slavoj Žižek für die politische Theorie fruchtbar gemacht wurde: der Jouissance.

Der französische Begriff Jouissance wird in der Regel unübersetzt gelassen, da er mehr umfasst als die deutschen Begriffe „Genuss“ oder „Lust“. Um ihn zu verstehen, muss man ihn von Freuds Konzept des Lustprinzips abgrenzen. Das Lustprinzip ist ein homöostatisches, ökonomisches Prinzip. Es zielt darauf ab, psychische Spannung zu reduzieren und einen Zustand relativer Ruhe und Befriedigung herzustellen. Es operiert nach der Logik des Maßhaltens und der Selbsterhaltung. Jouissance hingegen ist das genaue Gegenteil: Es ist ein exzessiver, überschießender Genuss, der „jenseits des Lustprinzips“ angesiedelt ist. Es ist eine Lust, die so intensiv ist, dass sie in Schmerz umschlägt, eine Befriedigung, die mit Zerstörung und dem Todestrieb verbunden ist. Es ist der Genuss, den man im Exzess erfährt – im Überessen bis zur Übelkeit, im exzessiven Sport bis zur Erschöpfung, im zwanghaften Wiederholen einer traumatischen Erfahrung.

Entscheidend für die politische Anwendung ist Lacans Einsicht, dass Jouissance untrennbar mit dem Gesetz, dem Verbot und der symbolischen Ordnung verbunden ist. Das Gesetz verbietet nicht nur den Genuss, es schafft ihn paradoxerweise erst. Das Verbotene erhält durch das Verbot selbst eine besondere, lustvolle Aufladung. Die Jouissance liegt nicht im Erreichen des Objekts selbst, sondern im Akt der Transgression, in der lustvollen Überschreitung der Grenze, die das Gesetz markiert. Der populistische Führer, so die lacanianische Lesart, ist nicht primär eine Vaterfigur, die Schutz bietet (wie bei Freud), sondern ein Agent der Jouissance. Er ist eine Instanz, die seinen Anhängern eine Lizenz zur Transgression erteilt. Sein politischer Stil, der oft als vulgär, undiszipliniert oder „unpräsidial“ kritisiert wird, ist aus dieser Perspektive kein Makel, sondern seine zentrale Funktion. Seine ständigen Tabubrüche, seine Missachtung der „politischen Korrektheit“, seine offenen Angriffe auf die Normen des zivilisierten Diskurses sind eine performative Einladung an seine Anhänger, ebenfalls an diesem transgressiven Genuss teilzuhaben. Die Botschaft des autoritären Über-Ichs, so Žižek, ist nicht das prohibitive „Du sollst nicht!“, sondern der imperative Befehl: „Genieße!“.

Diese Organisation des Genießens erfolgt oft über die Phantasie der „gestohlenen Jouissance“. Das Kernnarrativ des Populismus lautet nicht nur „Die da oben sind korrupt“, sondern, auf einer tieferen, affektiven Ebene: „Sie (die Eliten, die Migranten, die Liberalen) haben uns unseren Genuss gestohlen.“ Sie haben uns unsere Lebensweise, unseren Wohlstand, unseren Stolz, unsere nationale Identität – kurz: unsere Jouissance – genommen und genießen sie nun an unserer Stelle. Der Andere, der Sündenbock, wird als eine Figur phantasiert, die exzessiv und unverdient genießt. Diese Erzählung verwandelt ökonomische oder kulturelle Konflikte in eine libidinale Ökonomie des Neides und des Grolls. Die politische Mobilisierung wird damit zu einem Kampf um die Wiedererlangung dieser gestohlenen Jouissance. Die Gewalt gegen den Anderen ist dann nicht mehr nur ein strategischer Akt, sondern eine Quelle intensiver, lustvoller Befriedigung, da sie als Akt der gerechten Rückeroberung des eigenen, verlorenen Genusses phantasiert wird.

Dieser Mechanismus erzeugt, was Žižek in Anlehnung an die Analyse von Witzen als „obszöne Solidarität“ bezeichnet. In jeder offiziellen, öffentlichen Gemeinschaft gibt es ungeschriebene, oft obszöne Regeln und geteilte Genüsse, die die Gruppe im Geheimen zusammenschweißen. Ein schmutziger Witz, der in der richtigen Runde erzählt wird, stiftet eine tiefere Komplizenschaft als jede formelle Übereinkunft, weil er signalisiert, dass man die ungeschriebenen, transgressiven Regeln des gemeinsamen Genusses teilt. Populistische Bewegungen bringen diese obszöne Unterseite der Politik an die Oberfläche. Die Massenkundgebung mit ihren hasserfüllten Sprechchören („Sperrt sie ein!“), die Online-Hetze in Echokammern, das gemeinsame Lachen über die Demütigung eines Gegners – all dies sind Rituale, die eine solche obszöne Solidarität herstellen. Die Teilnehmer genießen nicht nur ihre eigene Aggression, sondern vor allem das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein, die sich gemeinsam über die Normen des „anständigen“ Diskurses hinwegsetzt.

Das Konzept der Jouissance ist somit der entscheidende Baustein, um die affektive Energie und die extreme Bindungskraft autoritärer Bewegungen zu verstehen. Es erklärt, warum diese Bewegungen nicht nur als Flucht vor etwas (Angst), sondern auch als eine lustvolle Hinwendung zu etwas (Genuss) verstanden werden müssen. Die Jouissance ist die libidinale Belohnung für die Teilnahme am regressiven Prozess. Sie ist der Treibstoff, der die Motoren der Spaltung und Projektion am Laufen hält. Sie ist die euphorische Erfahrung, die das „pervertierte Containing“ so attraktiv macht, weil es nicht nur Angst kanalisiert, sondern auch Lust verspricht. Sie erklärt schließlich das Paradox der Selbstschädigung: Anhänger bleiben einem Führer oft selbst dann treu, wenn dessen Politik ihnen objektiv schadet, weil der psychische Gewinn – die Teilhabe an der kollektiven, transgressiven Jouissance – den materiellen Verlust kurzfristig überkompensiert. Ohne das Konzept der Jouissance bleibt die Analyse des Autoritarismus eine reine Pathologie der Angst; erst mit ihm wird sie zu einer vollständigen Theorie der unbewussten politischen Leidenschaften.

Das Unbewusste in Aktion – Evidenz aus Diskurs und Daten

Nachdem im vorangegangenen Teil das psychoanalytische Instrumentarium zur Analyse autoritärer Dynamiken dargelegt wurde, stellt sich die entscheidende Frage nach dessen empirischer Relevanz. Sind Konzepte wie Spaltung, pervertiertes Containing oder Jouissance mehr als nur suggestive Metaphern? Lassen sich ihre Spuren in der realen politischen Welt nachweisen? Dieser Abschnitt wird argumentieren, dass dies möglich ist. Er wird dies auf zwei Ebenen tun: erstens durch eine qualitative Diskursanalyse, die die „affektive Grammatik“ des Autoritarismus in der Rhetorik führender populistischer Bewegungen aufzeigt; und zweitens durch einen Brückenschlag zur quantitativen politischen Psychologie, der zeigt, wie diese unbewussten Mechanismen mit messbaren Einstellungen und Verhaltensweisen korrelieren.

Qualitative Evidenz: Die affektive Grammatik in der politischen Rhetorik

Die Sprache ist nicht nur ein Medium zur Übermittlung von Informationen; sie ist der primäre Schauplatz, auf dem unbewusste Phantasien, Abwehrmechanismen und affektive Bindungen inszeniert werden. Eine psychoanalytisch informierte Diskursanalyse kann diese latenten Strukturen im manifesten Text aufdecken. Die folgenden exemplarischen Vignetten illustrieren, wie die in Teil II beschriebenen Mechanismen in der politischen Praxis wirken.

Fallvignette Trumpismus

Der Aufstieg Donald Trumps und die von ihm geprägte Bewegung des Trumpismus stellen einen Paradigmenfall für die psycho-politische Analyse dar. Kaum eine andere politische Bewegung der jüngeren westlichen Geschichte hat so offen und systematisch auf primitive psychische Abwehrmechanismen gesetzt und eine so intensive, libidinöse Bindung zwischen einem Führer und seiner Basis erzeugt. Die Analyse dieser Bewegung ermöglicht es, die in Teil II dargelegten Mechanismen in ihrer reinsten und gleichzeitig komplexesten Form zu beobachten.

Ein zentraler Mechanismus ist das pervertierte Containing. Anstatt die diffusen Ängste vor wirtschaftlichem Abstieg, kultureller Veränderung und Statusverlust in der Bevölkerung zu beruhigen und in rationale Politik zu übersetzen, tat Trump systematisch das Gegenteil. Seine Antrittsrede vom 20. Januar 2017 ist hierfür exemplarisch. Anstatt eine versöhnliche Botschaft der Einheit und des Optimismus zu senden, malte er das Bild eines Landes am Rande des Abgrunds, geprägt von Verfall, Kriminalität und Hoffnungslosigkeit:

“Mothers and children trapped in poverty in our inner cities; rusted-out factories scattered like tombstones across the landscape of our nation… And the crime and the gangs and the drugs that have stolen too many lives… This American carnage stops right here and stops right now.” [Antrittsrede, 20. Januar 2017]

Die Metapher des „amerikanischen Gemetzels“ (American carnage) ist hierbei entscheidend. Sie nimmt reale soziale und ökonomische Probleme auf, aber sie transformiert sie nicht in lösbare politische Aufgaben. Stattdessen werden sie zu dem, was Bion als Beta-Elemente bezeichnet: rohe, unverdaute und angstauslösende Eindrücke. Die Bilder von „Grabsteinen“ und „Gemetzel“ sind keine rationale Analyse, sondern eine emotionale Injektion von Panik und Verzweiflung. Ein „containender“ Führer würde an dieser Stelle die Alpha-Funktion nutzen, um diese Ängste in einen rationalen Handlungsrahmen zu übersetzen. Trump hingegen befeuert die rohen Affekte, um einen Zustand permanenter Krise zu etablieren.

In diesem selbstgeschaffenen Chaos kann er sich dann als der alleinige, omnipotente Retter präsentieren. Dieses Muster findet sich in seiner wiederholten Behauptung, nur er könne die Probleme lösen, wie in seiner Nominierungsrede 2016: “I alone can fix it.” Diese Rhetorik schafft eine psychologische Abhängigkeit. Die Angst, die der Führer selbst schürt, kann scheinbar nur durch ihn selbst gebannt werden. Dies erzeugt, was Zienert-Eilts eine „destruktiv-symbiotische Passung“ nennt: Der Führer macht seine Anhänger von der Angst abhängig, die er selbst produziert, weil nur er die Erlösung verspricht.

Dieser Mechanismus wurde während der COVID-19-Pandemie besonders deutlich. Während „containende“ Führer wie Angela Merkel oder Jacinda Ardern versuchten, die reale Bedrohung durch das Virus rational zu erklären und gleichzeitig die Ängste der Bevölkerung durch Empathie und transparente Kommunikation zu beruhigen, tat Trump das Gegenteil. Er schwankte unberechenbar zwischen zwei Formen des pervertierten Containings:

  1. Die Verleugnung der Angst: Durch die wiederholte Verharmlosung des Virus (“It’s going to disappear. One day it’s like a miracle, it will disappear.” [zitiert in Holmes, 2020]) bot er eine magische Lösung an, die die mühsame Realitätsprüfung und Verhaltensänderung überflüssig machte. Dies ist eine Form des pervertierten Containments, weil es die reale Angst nicht verarbeitet, sondern durch eine omnipotente Phantasie verleugnet und so die Anhänger in einem Zustand infantiler Sorglosigkeit hält.
  2. Die Umleitung der Angst: Gleichzeitig lenkte er die Angst vor dem Virus auf externe und interne Feindbilder. Durch die ständige Verwendung von Begriffen wie “China Virus” oder “Kung Flu” wurde die Angst vor der Krankheit in eine paranoide Angst vor einem ausländischen Feind umgewandelt. Intern wurden Wissenschaftler wie Dr. Anthony Fauci oder demokratische Gouverneure, die auf Vorsichtsmaßnahmen drängten, als Teil einer Verschwörung dargestellt, die die Freiheit der Menschen einschränken wolle.

In beiden Fällen wird die reale Angst nicht „verdaut“, sondern entweder magisch abgewehrt oder in aggressive Paranoia umgewandelt. Das Ergebnis ist dasselbe: Die Fähigkeit der Gesellschaft, als rationale Arbeitsgruppe (Bion) an der Lösung des Problems zu arbeiten, wird systematisch untergraben. Stattdessen wird sie in einen Zustand der Grundannahme „Kampf/Flucht“ versetzt, in dem es nur noch darum geht, den vermeintlichen Feind (China, die Eliten, die Wissenschaftler) zu bekämpfen.

Diese Strategie des pervertierten Containings ist somit mehr als nur ein rhetorischer Stil. Sie ist ein psychopolitischer Mechanismus zur Machtbindung, der bewusst die Denk- und Verarbeitungsfähigkeit eines Kollektivs schwächt, um es in einem Zustand affektiver Abhängigkeit und permanenter Mobilisierung zu halten.

Der Aufstieg Donald Trumps und die von ihm geprägte Bewegung des Trumpismus stellen einen Paradigmenfall für die psycho-politische Analyse dar. Kaum eine andere politische Bewegung der jüngeren westlichen Geschichte hat so offen und systematisch auf primitive psychische Abwehrmechanismen gesetzt und eine so intensive, libidinöse Bindung zwischen einem Führer und seiner Basis erzeugt. Die Analyse dieser Bewegung ermöglicht es, die in Teil II dargelegten Mechanismen in ihrer reinsten und gleichzeitig komplexesten Form zu beobachten.

Ein zentraler Mechanismus ist das pervertierte Containing. Anstatt die diffusen Ängste vor wirtschaftlichem Abstieg, kultureller Veränderung und Statusverlust in der Bevölkerung zu beruhigen und in rationale Politik zu übersetzen, tat Trump systematisch das Gegenteil. Seine Antrittsrede vom 20. Januar 2017 ist hierfür exemplarisch. Anstatt mit einer versöhnlichen Botschaft an die Nation zu appellieren, malte er das Bild eines Landes am Rande des Abgrunds, geprägt von Verfall, Kriminalität und Hoffnungslosigkeit:

“Mothers and children trapped in poverty in our inner cities; rusted-out factories scattered like tombstones across the landscape of our nation… And the crime and the gangs and the drugs that have stolen too many lives… This American carnage stops right here and stops right now.” [Antrittsrede, 20. Januar 2017]

Die Metapher des „amerikanischen Gemetzels“ (American carnage) ist hierbei entscheidend. Sie nimmt reale soziale und ökonomische Probleme auf, aber sie transformiert sie nicht in lösbare politische Aufgaben. Stattdessen werden sie zu dem, was Bion als Beta-Elemente bezeichnet: rohe, unverdaute und angstauslösende Eindrücke. Die Bilder von „Grabsteinen“ und „Gemetzel“ sind keine rationale Analyse, sondern eine emotionale Injektion von Panik und Verzweiflung. Ein „containender“ Führer würde an dieser Stelle die Alpha-Funktion nutzen, um diese Ängste in einen rationalen Handlungsrahmen zu übersetzen. Trump hingegen befeuert die rohen Affekte, um einen Zustand permanenter Krise zu etablieren, in dem er sich dann als alleiniger, omnipotenter Retter präsentieren kann. Dieses Muster findet sich in seiner wiederholten Behauptung, nur er könne die Probleme lösen, wie in seiner Nominierungsrede 2016: “I alone can fix it.” Diese Rhetorik schafft eine psychologische Abhängigkeit. Die Angst, die der Führer selbst schürt, kann scheinbar nur durch ihn selbst gebannt werden. Dies erzeugt, was Zienert-Eilts eine „destruktiv-symbiotische Passung“ nennt: Der Führer macht seine Anhänger von der Angst abhängig, die er selbst produziert, weil nur er die Erlösung verspricht.

Dieses pervertierte Containing wird durch die grundlegenden Mechanismen der Spaltung und Projektion ermöglicht. Die komplexe Realität wird systematisch in eine manichäische Welt aus unschuldigen Opfern und dämonischen Tätern zerlegt. Die Ursache für das beschriebene „Gemetzel“ ist in Trumps Narrativ nicht eine komplexe sozioökonomische Entwicklung, sondern eine klar definierte, böswillige Entität: das „Establishment“, das „sich selbst schützte, aber nicht die Bürger unseres Landes“. Die Welt wird radikal gespalten in ein unschuldiges, leidendes „Volk“ – “the forgotten men and women of our country” (Antrittsrede, 2017) – und eine verräterische, korrupte „Elite“. Kritiker, Medien und politische Gegner werden nicht als Teil des demokratischen Diskurses, sondern als Feinde des Volkes gebrandmarkt. Eine seiner berüchtigtsten Äußerungen in diesem Zusammenhang war:

“The fake news media… is not my enemy, it is the enemy of the American people!” [Tweet, 17. Februar 2017]

Diese Rhetorik löscht jede Form von Ambivalenz aus und entlastet die Anhänger von der mühsamen Aufgabe, widersprüchliche Realitäten auszuhalten. Eng damit verknüpft ist die Projektion. Unerwünschte eigene Eigenschaften, Impulse und Handlungen werden systematisch auf den Gegner verlagert. Die Psychoanalytikerin Karyne Messina (2022) hat diesen Mechanismus als zentral für Trumps Kommunikationsstil des „blame-shifting“ identifiziert. Ein klassisches Beispiel ist seine Reaktion auf die Vorwürfe der Wahlmanipulation. Während er selbst und sein Team versuchten, das Wahlergebnis 2020 durch Druck auf Wahlbeamte und falsche Behauptungen zu kippen, projizierte er den Akt des „Stehlens“ vollständig auf seine Gegner. Seine Rede am 6. Januar 2021 ist ein Lehrbuchbeispiel für Projektion:

“We all know that our election was stolen from us… and from the fake news media… We will never give up. We will never concede… You don’t concede when there’s theft involved.” [Rede am 6. Januar 2021]

Hier wird der eigene, abgewehrte Impuls – die Weigerung, eine Niederlage anzuerkennen und damit die demokratische Spielregel zu „stehlen“ – dem Gegner zugeschrieben, der dann des „Diebstahls“ bezichtigt wird.

Über die reine Projektion hinaus nutzte Trump die projektive Identifikation, um seine eigenen Affekte in die Masse hineinzulegen und sie zum Handeln zu bewegen. Der Sturm auf das Kapitol war die Kulmination dieses Prozesses. Trumps wütende Anklage des „Diebstahls“ war nicht nur eine Behauptung, sondern eine emotionale Induktion. Er übertrug seine narzisstische Kränkung über die Wahlniederlage und seine aggressive Wut auf die versammelte Menge. Seine Worte waren eine direkte Einladung zur Identifikation und zum Ausagieren dieses Affekts:

“We fight like hell. And if you don’t fight like hell, you’re not going to have a country anymore!”

In diesem Satz überträgt er seine persönliche Verlustangst („wenn ihr nicht kämpft, habt ihr kein Land mehr“) und seinen aggressiven Impuls („Wir kämpfen wie die Hölle“) auf die Zuhörer. Die anschließende Handlung der Menge war das physische Ausagieren der vom Führer in sie hineingelegten Emotionen.

Schließlich erklärt das Konzept der Jouissance, warum diese Dynamiken nicht nur ertragen, sondern lustvoll erlebt werden. Die Massenkundgebungen von Trump waren keine reinen Informationsveranstaltungen, sondern hochgradig ritualisierte Räume zur Erzeugung kollektiver Erregung. Die Sprechchöre „Lock her up!“ sind hierfür das prägnanteste Beispiel. Sie sind keine politische Forderung im eigentlichen Sinne, sondern, psychoanalytisch gelesen, ein Ritual der gemeinsamen, transgressiven Lust. Die Menge genießt den gemeinsamen Bruch zivilisatorischer und rechtsstaatlicher Normen – die Forderung, eine politische Gegnerin ohne Prozess einzusperren. Es ist, in Žižeks Worten, eine „obszöne Solidarität“, die sich im gemeinsamen Tabubruch konstituiert. Die Jouissance liegt im Gefühl der Ermächtigung, endlich das tun und sagen zu dürfen, was die „politische Korrektheit“ verbietet.

All diese Mechanismen wurden von einem tief sitzenden Ressentiment angetrieben, das Trump meisterhaft artikulierte und kanalisierte. Sein Narrativ der „vergessenen Männer und Frauen“ sprach direkt ein Gefühl der Kränkung und Missachtung bei Teilen der Bevölkerung an, die sich von den kulturellen und ökonomischen Eliten abgewertet fühlten. Er gab diesem Groll eine Stimme und ein Ziel. Die Wut richtete sich nicht auf komplexe, strukturelle Ursachen, sondern auf klar identifizierbare Sündenböcke. In seiner Kandidaturankündigung 2015 wurde dies deutlich:

“When Mexico sends its people, they’re not sending their best… They’re bringing drugs. They’re bringing crime. They’re rapists. And some, I assume, are good people.”

Diese Rhetorik transformierte diffuse Abstiegsängste und Statusverlust in einen moralisierten Kampf gegen einen als unmoralisch und gefährlich dargestellten Feind. Der Trumpismus wurde so zur politischen Form eines kollektiven Ressentiments, das versprach, die erlittene Demütigung in triumphalen Stolz zu verkehren. In dieser toxischen Symbiose wird die Realitätsprüfung systematisch durch eine geschlossene, paranoide Phantasie ersetzt, die durch die ständige Zufuhr von Angst, Spaltung und dem Versprechen auf Jouissance am Leben erhalten wird.

Fallvignette AfD

Während der Trumpismus durch eine Politik der offenen, transgressiven Jouissance und des grandiosen Narzissmus geprägt ist, manifestieren sich dieselben psychodynamischen Mechanismen im deutschen Kontext auf eine subtilere, historisch ungleich aufgeladenere Weise. Die Analyse des Aufstiegs der Alternative für Deutschland (AfD) zeigt, wie eine Bewegung die unbewältigten Traumata und die spezifischen Kränkungen der nationalen Nachkriegsidentität in politische Energie umwandeln kann. Hier ist nicht die Figur eines einzelnen, übermächtigen Führers das Zentrum, sondern die Mobilisierung eines kollektiven, tief sitzenden Grolls.

Der zentrale affektive Motor, der die AfD antreibt und ihre Anhängerschaft bindet, ist ein tiefes Ressentiment gegen die Grundlagen der bundesrepublikanischen Nachkriegsidentität. Diese Identität wurde, wie Alexander und Margarete Mitscherlich in Die Unfähigkeit zu trauern (1967) analysierten, auf dem Fundament einer kritischen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit und der Übernahme von Verantwortung aufgebaut. Der Diskurs der AfD stellt einen frontalen Angriff auf diesen Gründungsmythos dar. Er inszeniert die Erinnerungskultur nicht als einen Akt moralischer Reife, sondern als eine Form der pathologischen Selbstkasteiung, einen „Schuldkult“, der die Nation lähmt und ihren legitimen Stolz untergräbt.

Die berüchtigten Äußerungen führender AfD-Politiker sind hier keine zufälligen Ausrutscher, sondern strategische Interventionen, die auf die Abwehr kollektiver Scham und die Umwertung historischer Schuld zielen. Wenn der damalige Parteivorsitzende Alexander Gauland die NS-Zeit als einen bloßen „Vogelschiss in über 1.000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ bezeichnet, ist dies ein klassischer Akt der Spaltung und Verleugnung. Der „schlechte“, unerträgliche Teil der nationalen Geschichte soll als unbedeutende Anomalie abgespalten werden, um ein reines, narzisstisch befriedigendes und „ruhmreiches“ nationales Selbstbild wiederherzustellen. Es ist der Versuch, eine narzisstische Wunde zu heilen, indem man die Verletzung für trivial erklärt.

Björn Höckes Forderung nach einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ und seine Bezeichnung des Berliner Holocaust-Mahnmals als „Denkmal der Schande“ gehen noch weiter. Sie greifen direkt das zentrale Symbol der Trauerarbeit an und deuten es in sein Gegenteil um: nicht als Mahnmal für die Opfer, sondern als Quelle der Schande für die Täter-Nachfahren. Dies ist die Logik des Ressentiments in Reinform: Die Unfähigkeit, einen schmerzhaften Verlust (den der moralischen Integrität) zu betrauern, führt zu einer aggressiven Umwertung, bei der die Trauer selbst als Ursache des Leidens dargestellt und attackiert wird.

Die psychische Energie, die durch diese Abwehr der historischen Schuld freigesetzt wird, benötigt ein neues Ziel. Hier kommt die Projektion ins Spiel. Die verleugnete eigene historische Aggression und die damit verbundenen Ängste vor nationaler Auflösung werden auf einen neuen Sündenbock projiziert: den Islam und die Migranten. Im Grundsatzprogramm der Partei heißt es unmissverständlich: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ Die Partei konstruiert die Einwanderung, insbesondere aus muslimischen Ländern, als eine existenzielle Bedrohung für die deutsche Identität, als eine feindliche „Invasion“, die die „Werteordnung“ des Landes untergräbt. Diese Rhetorik ist ein Akt des pervertierten Containments. Anstatt die realen Ängste vor sozialem Wandel und Globalisierung konstruktiv zu bearbeiten, werden sie zu einer paranoiden Phantasie von Überfremdung und nationalem Untergang verstärkt. Die Partei bietet sich dann als der einzige „Container“ an, der stark genug ist, diese selbst heraufbeschworene Flut aufzuhalten.

Schließlich findet auch die Jouissance in der Politik der AfD ihren Platz, wenn auch in einer weniger karnevalesken Form als im Trumpismus. Sie manifestiert sich in dem transgressiven Genuss am Tabubruch. In einer Gesellschaft, in der die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zur zivilgesellschaftlichen Norm geworden ist, bietet die öffentliche Relativierung dieser Geschichte eine lustvolle Provokation. Die stehenden Ovationen und „Wir sind das Volk“-Rufe, die Höckes Reden begleiten, speisen sich nicht nur aus politischer Zustimmung, sondern aus dem gemeinsamen Genuss, endlich das auszusprechen, was als unsagbar galt. Es ist die lustvolle Befreiung von der wahrgenommenen Last der „politischen Korrektheit“ und der kollektiven Schuld. Diese Jouissance ist der affektive Kitt, der die Bewegung auch dann zusammenhält, wenn ihre politischen Lösungen inkonsistent oder unrealistisch sind.

Die AfD illustriert somit, wie ein unbewältigtes nationales Trauma eine Quelle für chronisches Ressentiment werden kann. Die Abwehr der historischen Schuld durch Spaltung und Verleugnung führt zu einem tiefen Groll gegen die eigene Erinnerungskultur. Die daraus resultierende aggressive Energie wird auf neue Sündenböcke projiziert, während die Führung diese Dynamik durch ein pervertiertes Containing verstärkt. Die libidinöse Belohnung für die Teilnahme an diesem Prozess ist die Jouissance am gemeinsamen Tabubruch.

Fallvignette Putinismus

Während der Diskurs der AfD aus dem unbewältigten Trauma der NS-Zeit und einer daraus resultierenden Abwehr historischer Schuld schöpft, speist sich die affektive Logik des Putinismus in Russland aus einer anderen, aber strukturell ähnlichen narzisstischen Kränkung: dem Trauma des imperialen Kollapses und dem Gefühl nationaler Demütigung nach dem Ende des Kalten Krieges. Der Aufstieg und die langjährige Herrschaft Wladimir Putins lassen sich psychoanalytisch als ein großangelegtes Projekt zur psychischen Verarbeitung dieses kollektiven Traumas deuten – eine Verarbeitung, die jedoch nicht durch Trauerarbeit, sondern durch die Mechanismen des Ressentiments, der Projektion und der manischen Wiederherstellung einer phantasierten Größe erfolgt.

Der zentrale affektive Motor, der das politische System Putins antreibt und seine hohe Legitimität in der Bevölkerung über Jahrzehnte sicherte, ist ein tiefes und weit verbreitetes Ressentiment. Die 1990er Jahre unter Boris Jelzin werden im offiziellen Narrativ nicht als eine Phase der demokratischen Öffnung, sondern als eine Zeit des Chaos, der Armut, der Schwäche und vor allem der Demütigung durch einen triumphalistischen Westen dargestellt. Putins berühmte Aussage, der Zerfall der Sowjetunion sei die „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“, ist mehr als eine historische Einschätzung. Sie ist der zentrale Satz, der die kollektive narzisstische Kränkung benennt und sie zum Ausgangspunkt seiner politischen Mission macht. Dieses Gefühl der Ohnmacht und des Verlusts wird in einen moralisierten Groll gegen den Westen umgewandelt. Der Westen, insbesondere die USA, wird zum Akteur, der Russland in seiner Phase der Schwäche „getäuscht“, „übers Ohr gehauen“ und um seinen rechtmäßigen Platz in der Weltordnung betrogen habe.

Diese Rhetorik vollzieht eine klassische Projektion, um die eigene Aggression zu rechtfertigen. Die eigenen imperialen Ambitionen und der Wunsch nach Wiederherstellung einer Einflusssphäre werden verleugnet und auf die NATO projiziert, die als eine unaufhaltsam expansive, aggressive Kraft dargestellt wird. Russlands Handeln erscheint in diesem Narrativ konsequent als eine defensive, reaktive Notwendigkeit. Die Invasion der Ukraine im Jahr 2022 wurde dementsprechend nicht als Akt der Aggression gerahmt, sondern als ein präventiver Schlag zur Selbstverteidigung gegen eine angebliche „Nazi-Junta“ in Kiew und eine vorrückende NATO. In seiner Rede zur Ankündigung der Invasion formulierte Putin diese projektive Logik explizit, indem er behauptete, der Westen habe Russland „keine andere Option gelassen, Russland und unser Volk zu schützen“. Die Realität wird umgekehrt: Der Aggressor stilisiert sich zum Opfer, das zur Gewalt gezwungen wird.

Gleichzeitig wird die Welt durch eine radikale Spaltung strukturiert. Es existiert ein moralisch überlegenes, traditionalistisches, souveränes Russland, das für authentische Werte steht, und ein dekadenter, heuchlerischer und lügnerischer „kollektiver Westen“ oder, wie Putin es formulierte, ein „Reich der Lügen“. Diese Spaltung wird auch nach innen projiziert. Die russische Gesellschaft wird in „wahre Patrioten“ und eine „fünfte Kolonne“ von Verrätern und westlichen Agenten geteilt. In einer Rede im März 2022 machte Putin diese gewaltsame Ausstoßungsphantasie explizit:

“The Russian people will always be able to distinguish true patriots from scum and traitors and simply spit them out like a gnat that accidentally flew into their mouths.”

Die Funktion Putins als Führungsperson lässt sich hier als eine Form des pervertierten Containments beschreiben. Er trat Ende der 1990er Jahre an, um die realen Ängste vor dem Chaos und dem Zerfall des Staates zu „containen“. Er bot Stabilität, Ordnung und ein Ende der Demütigungen. Dieses anfängliche, legitime Containment wurde jedoch pervertiert, indem die innere Angst vor Chaos systematisch durch eine äußere, paranoide Angst vor Einkreisung und Angriff ersetzt wurde. Putin beruhigt die existenziellen Ängste seiner Bevölkerung nicht, er kanalisiert und verwaltet sie, indem er sie auf einen permanenten äußeren Feind fokussiert. Dies hält die Nation in einem Zustand der „Kampf-Flucht“-Grundannahme (Bion) und macht den starken, autoritären Führer als Beschützer der „belagerten Festung“ unverzichtbar.

Die affektive Belohnung für die Teilnahme an diesem Narrativ ist eine spezifische Form der Jouissance. Sie ist weniger der karnevaleske Tabubruch des Trumpismus als vielmehr ein feierlicher, fast sakraler Genuss an der Wiederherstellung nationaler Größe. Die massive, euphorische Zustimmung zur Annexion der Krim im Jahr 2014 war ein solcher Moment kollektiver Jouissance. Es war der lustvolle Akt der Umkehrung einer historischen Demütigung (der „Verlust“ der Krim an die Ukraine 1954) und eine offene Transgression gegen die vom Westen dominierte Nachkriegsordnung. Hinzu kommt eine sadistische Jouissance in Form von Schadenfreude, die in den staatlichen Medien kultiviert wird, wenn über die Krisen und Spaltungen im Westen berichtet wird.

Der Putinismus ist somit ein Lehrstück darin, wie ein tiefes, unverarbeitetes Trauma des imperialen Verlusts in ein chronisches Ressentiment umgewandelt werden kann. Dieses Ressentiment wird durch Projektion und Spaltung politisch operationalisiert. Die Führung pervertiert ihre Containment-Funktion, indem sie die Gesellschaft in einem permanenten Zustand der paranoiden Abwehr hält. Die libidinöse Bindung wird durch Momente triumphalen, nationalen Genusses zementiert.

Fallvignette Bolsonaro

Der Aufstieg von Jair Bolsonaro, einem langjährigen, als extremistisch geltenden Hinterbänkler, zum Präsidenten Brasiliens im Jahr 2018 kann als Ergebnis eines „perfekten Sturms“ (Hunter & Power, 2019) aus wirtschaftlicher Rezession, einem massiven Korruptionsskandal („Lava Jato“) und einer eskalierenden Kriminalitätsrate verstanden werden. Seine Bewegung, der Bolsonarismus, bietet ein weiteres eindringliches Beispiel dafür, wie psychoanalytische Mechanismen in einem Kontext post-autoritärer, fragiler Demokratie wirken. Im Zentrum seiner Anziehungskraft stand nicht nur ein politisches Programm, sondern die Verkörperung einer phantasierten, aggressiven Männlichkeit, die eine spezifische Form der Jouissance anbot.

Der Diskurs des Bolsonarismus ist von einer radikalen Spaltung geprägt, die die brasilianische Gesellschaft entlang moralischer, männlicher und religiöser Linien teilt. Auf der einen Seite steht der „cidadão de bem“ (der gute/anständige Bürger) – imaginiert als hart arbeitender, christlicher Familienvater, oft bewaffnet. Auf der anderen Seite stehen die Feinde dieser Ordnung: die „bandidos vermelhos“ (rote Banditen), die korrupte linke Politiker der Arbeiterpartei (PT), „Gender-Ideologen“, landlose Bauern („Gesindel“) und Kriminelle. Diese Spaltung ist absolut und entmenschlichend. Sein berüchtigter Slogan, der zum geflügelten Wort wurde, fasst diese Logik zusammen:

“Bandido bom é bandido morto.” (Ein guter Bandit ist ein toter Bandit.)

Diese Aussage ist mehr als nur eine Forderung nach harter Strafverfolgung; sie ist ein Akt der Spaltung, der eine ganze Bevölkerungsgruppe symbolisch aus der menschlichen Gemeinschaft ausschließt und zum Töten freigibt. Diese manichäische Logik erzeugt eine Welt, in der Kompromiss unmöglich und Gewalt zur notwendigen Säuberung wird.

Ein zentrales Merkmal des Bolsonarismus ist die offene Identifikation mit dem Aggressor. Bolsonaro glorifizierte konsequent die brasilianische Militärdiktatur (1964–1985) nicht als dunkles Kapitel der Geschichte, sondern als goldenes Zeitalter der Ordnung und des Patriotismus. Seine berüchtigte Widmung seiner Stimme bei der Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff, die selbst unter der Diktatur gefoltert wurde, an deren bekannten Folterer, Oberst Carlos Alberto Brilhante Ustra, den er als „den Schrecken von Dilma Rousseff“ bezeichnete, war ein schockierender, aber psychologisch aufschlussreicher Akt. Hier identifiziert sich der Sprecher nicht nur mit einer autoritären Vergangenheit, sondern explizit mit dem Akt der Folter selbst. Für seine Anhänger, die sich von Kriminalität und politischem Chaos ohnmächtig fühlen, bietet diese Identifikation eine paradoxe Form der Ermächtigung: Indem sie sich mit dem starken, rücksichtslosen Aggressor der Vergangenheit verbünden, überwinden sie symbolisch ihre eigene gegenwärtige Ohnmacht.

Die Anziehungskraft Bolsonaros speist sich maßgeblich aus der von ihm angebotenen Jouissance. Es ist ein Genuss, der aus der exzessiven und schamlosen Transgression von zivilisatorischen Normen entsteht. Seine Rhetorik war gespickt mit Obszönitäten, Frauenfeindlichkeit und Gewaltphantasien. Indem er das Undenkbare sagte und das Unsagbare tat, bot er seinen Anhängern eine stellvertretende, lustvolle Befreiung von den Zwängen der liberal-demokratischen „Heuchelei“. Wie im Fall des Trumpismus, aber vielleicht noch direkter und körperlicher, genossen seine Anhänger die Provokation und die Empörung der „politisch korrekten“ Eliten. Die Massenauftritte auf Motorrädern, die er anführte, waren keine politischen Kundgebungen, sondern Rituale kollektiver, phallischer Machtdemonstration – eine Inszenierung von Männlichkeit, Stärke und transgressiver Freiheit. Es ist die Jouissance einer Gemeinschaft, die sich im gemeinsamen Bruch mit den Regeln des Anstands und der politischen Mäßigung konstituiert.

Bolsonaros Umgang mit der COVID-19-Pandemie ist ein klares Beispiel für ein pervertiertes Containing. Er reagierte auf die massive Angst in der Bevölkerung, indem er das Virus als „gripezinha“ („kleine Grippe“) verharmloste und die Brasilianer aufforderte, ihm „wie ein Mann, nicht wie ein Junge“ zu begegnen. Anstatt die Angst zu „containen“, verspottete und verleugnete er sie. Er bot seinen Anhängern eine narzisstische Abwehr gegen die Realität der Verletzlichkeit: die Phantasie, durch männliche Stärke und Willenskraft über der biologischen Realität zu stehen. Gleichzeitig projizierte er die Schuld für die Katastrophe auf Gouverneure, die Medien und China. Er lieferte keine Sicherheit, sondern eine Lizenz zur Verleugnung und eine Absolution von der Verantwortung, was für viele eine psychisch entlastende, wenn auch tödliche, Funktion erfüllte.

Das Ressentiment, das den Bolsonarismus antreibt, ist vielschichtig. Es speist sich aus dem Groll der Mittelschichten über die Korruption der PT-Regierungen, dem Hass der Eliten auf linke Sozialprogramme und dem tiefen kulturellen Ressentiment sozialkonservativer und evangelikaler Gruppen gegen die progressiven Errungenschaften des Feminismus und der LGBTQ+-Bewegung. Bolsonaro bündelte all diese Stränge des Grolls und richtete sie auf ein gemeinsames Feindbild: den „Kulturmarxismus“ und die „Gender-Ideologie“, die als innere Feinde dargestellt wurden, die die traditionelle brasilianische Familie und die christlichen Werte zerstören wollten.

Der Bolsonarismus zeigt somit, wie in einem von Krisen geschüttelten Land die Phantasie einer Rückkehr zu einer autoritären, patriarchalen Ordnung eine immense mobilisierende Kraft entfalten kann. Seine Anziehungskraft beruhte weniger auf einem politischen Programm als auf der Verkörperung eines transgressiven, aggressiven Vater-Imagos, das eine psychische Befreiung von den Ängsten der nationalen Impotenz und des Chaos versprach und diese Befreiung in einer kollektiven, destruktiven Jouissance zelebrierte.

Fallbeispiel Modi

Der Aufstieg von Narendra Modi und seiner Bharatiya Janata Party (BJP) zur dominanten politischen Kraft in Indien, der weltgrößten Demokratie, illustriert eine weitere, historisch und kulturell spezifische Ausprägung populistischer Mechanismen. Während der Bolsonarismus die Nostalgie für eine militärische und der Putinismus für eine imperiale Vergangenheit mobilisiert, speist sich der von Modi verkörperte Hindu-Nationalismus (Hindutva) aus dem Ressentiment über eine jahrhundertelang wahrgenommene Unterwerfung der hinduistischen Mehrheitskultur – zunächst unter der Mogulherrschaft, dann unter britischer Kolonialherrschaft und schließlich unter dem, was als „Pseudo-Säkularismus“ der postkolonialen Kongresspartei denunziert wird.

Die zentrale Spaltung, die Modis Politik strukturiert, verläuft entlang ethno-religiöser Linien. Sie trennt das „wahre“, authentische Indien, das als inhärent hinduistisch definiert wird, von inneren und äußeren „Anderen“. Das primäre Ziel dieser Spaltung ist die muslimische Minderheit Indiens, die mit rund 200 Millionen Menschen eine der größten der Welt ist. Im Narrativ des Hindutva werden Muslime als Nachfahren von Invasoren oder als illoyale „fünfte Kolonne“ Pakistans dargestellt. Diese Spaltung wurde politisch institutionalisiert, beispielsweise durch den Citizenship Amendment Act (CAA) von 2019, der einen religionsbasierten Weg zur Staatsbürgerschaft für nicht-muslimische Migranten aus Nachbarländern schafft und damit Muslime explizit ausschließt. Dies ist die rechtliche Kodifizierung einer Spaltung in legitime und illegitime Angehörige der Nation.

Gleichzeitig wird die Schuld für die gegenwärtigen Probleme Indiens systematisch projiziert. Das Versagen, Arbeitsplätze zu schaffen oder die Armut nachhaltig zu bekämpfen, wird überschattet von einem Diskurs, der historische Ungerechtigkeiten in den Vordergrund rückt. Die Opposition, insbesondere die Kongresspartei, wird nicht als politischer Gegner, sondern als Verkörperung einer Ära der „Beschwichtigung“ (appeasement) von Minderheiten dargestellt, die auf Kosten der hinduistischen Mehrheit ging. Kritiker der Regierung werden routinemäßig als „anti-national“ diffamiert. So erklärte Innenminister Amit Shah, ein enger Vertrauter Modis, illegale Migranten (implizit Muslime) seien „Termiten“. Diese dehumanisierende Metaphorik ist ein klassischer Indikator für Projektion: Die eigenen aggressiven und ausgrenzenden Impulse werden auf den Anderen verlagert, der dann als Schädling dargestellt wird, dessen Eliminierung eine Notwendigkeit für die Gesundheit des „Volkskörpers“ ist.

Modis Führungsstil selbst bietet eine faszinierende Form des Containments, das sowohl authentische als auch pervertierte Züge trägt. Einerseits verkörpert er für viele Inder die Figur eines asketischen, unkorrumpierbaren und väterlichen Führers, der Stärke, Stabilität und nationalen Stolz verspricht. In einer von Armut und Unsicherheit geprägten Gesellschaft „containt“ er die Sehnsucht nach einem starken, verlässlichen Staat. Er spricht oft von einer inklusiven Entwicklung („Sabka Saath, Sabka Vikas“ – „Mit allen, für die Entwicklung aller“). Andererseits ist dieses Containing zutiefst ambivalent. Während er auf der einen Seite eine Sprache der Einheit spricht, ermöglicht und befeuert seine Regierung auf der anderen Seite eine aggressive, spaltende Politik. Er „containt“ die Ängste der Mehrheit, indem er sie gegen eine Minderheit kanalisiert. Er bietet Stabilität für die einen um den Preis der Unsicherheit für die anderen.

Die affektive Energie dieser Bewegung schöpft aus einer tiefen, kollektiven Jouissance, die aus der Wiederherstellung verletzter Ehre und der triumphalen Behauptung hinduistischer Vormachtstellung resultiert. Der vielleicht symbolträchtigste Akt war der Bau des Ram-Tempels in Ayodhya an der Stelle, an der 1992 von hinduistischen Nationalisten die Babri-Moschee zerstört wurde. Die Einweihung des Tempels durch Modi im Jahr 2024 war keine rein religiöse oder politische Zeremonie; sie war ein nationales Ritual der Jouissance. Es war der lustvolle Genuss an der sichtbaren Umkehrung eines Symbols historischer Demütigung und der triumphalen Etablierung der eigenen kulturellen Hegemonie. Dieser Akt war eine Form der „Reparation“ durch symbolische Gewalt, die eine immense narzisstische Befriedigung für Millionen von Anhängern bot.

Der Hindu-Nationalismus unter Modi ist somit ein Beispiel dafür, wie ein tiefes, historisch gewachsenes Ressentiment einer Mehrheitsgruppe politisch mobilisiert werden kann. Er nutzt die Mechanismen der Spaltung und Projektion, um eine ethnische Demokratie zu konstruieren, die Minderheiten zu Bürgern zweiter Klasse degradiert (Jaffrelot, 2021). Der Führer bietet ein ambivalentes Containment, das Stabilität verspricht, aber auf Ausgrenzung beruht. Die libidinale Bindung an die Bewegung wird durch die intensive Jouissance an der Wiederherstellung nationaler Ehre und der triumphalen Demütigung des „Anderen“ zementiert.

Gesamtsynthese und Vergleich der Fälle

Die vorangegangenen fünf Fallvignetten haben die Funktionsweise psychoanalytischer Mechanismen in unterschiedlichen politischen und kulturellen Kontexten beleuchtet. Obwohl jede dieser Bewegungen ihre spezifische historische und ideologische Ausprägung hat, zeigt die Analyse bemerkenswerte strukturelle Parallelen in ihrer affektiven Grammatik. Um diese Muster und die jeweiligen Besonderheiten systematisch zu erfassen, fasst die folgende Tabelle die zentralen Erkenntnisse zusammen. Sie bewertet die Ausprägung und beschreibt die spezifische Manifestation der fünf Kernmechanismen in jedem der untersuchten Fälle.

Tabelle F: Vergleichende Matrix der psychoanalytischen Mechanismen in populistischen Bewegungen

MechanismusUSA (Trump)Deutschland (AfD)Russland (Putin)Brasilien (Bolsonaro)Indien (Modi)
ProjektionStark (Systematische Schuldabwehr und Externalisierung eigenen Versagens auf Sündenböcke wie „Fake News“, „Deep State“ oder politische Gegner, um ein makelloses Selbstbild aufrechtzuerhalten.)Mittel (Fokus auf Opfer-Täter-Umkehr, bei der die eigene aggressive Rhetorik als defensive Reaktion auf die projizierte Intoleranz der „Altparteien“ und „Lügenpresse“ dargestellt wird.)Stark (Spiegelung der eigenen geopolitischen Aggression und imperialen Ambitionen auf den Westen/NATO, der als expansionistisch und bedrohlich dargestellt wird, um das eigene Handeln als defensiv zu legitimieren.)Mittel (Hauptsächlich Projektion von Korruption und Inkompetenz auf die politische Linke (PT), um von eigenen Skandalen und Regierungsversagen abzulenken.)Mittel (Projektion von Spaltungsabsichten auf die Opposition und Minderheiten, um die eigene hindu-nationalistische Agenda als einzig legitime, vereinende Kraft für die Nation darzustellen.)
SpaltungStark (Radikale moralische Dichotomie zwischen „Patrioten“ und „Feinden des Volkes“. Kompromisslosigkeit wird als Tugend, Ambivalenz als Verrat inszeniert, was die politische Landschaft in zwei unversöhnliche Lager teilt.)Stark (Primär ethnisch-kulturelle Spaltung zwischen dem homogenen, „wahren“ deutschen Volk und „kulturfremden“ Anderen (insb. Muslime), ergänzt durch die Spaltung in „Volk“ vs. „Systemparteien“.)Stark (Extreme geopolitische und zivilisatorische Spaltung in ein souveränes, traditionalistisches Russland und einen dekadenten, lügnerischen „kollektiven Westen“. Intern: Patrioten vs. „nationale Verräter“.)Stark (Tiefgreifende ideologisch-moralische Spaltung in „gute, anständige Bürger“ (christlich, konservativ, bewaffnet) und „rote Banditen“ (Linke, Kriminelle, „Gender-Ideologen“), die als zu eliminierende Bedrohung gelten.)Stark (Fundamentale religiös-nationalistische Spaltung, die „wahre Inder“ (Hindus) von „Anderen“ (insb. Muslime) trennt. Institutionalisiert durch Gesetze wie den CAA. Schafft eine ethnische Demokratie.)
Containment (pervertiert)Stark (Nimmt Ängste vor „American Carnage“ auf, verstärkt sie zu einer apokalyptischen Bedrohung und bietet sich als alleiniger, omnipotenter Retter an. Die Angst wird permanent angeheizt, nicht gelöst.)Mittel (Agit als „Kummerkasten“ für Sorgen vor Überfremdung und Statusverlust, kanalisiert diese Ängste aber direkt in Groll und Feindseligkeit, anstatt konstruktive Lösungen anzubieten.)Stark (Transformiert die diffuse Angst vor dem post-sowjetischen Chaos in eine kontrollierte, paranoide Angst vor externen Feinden. Bietet Stabilität um den Preis permanenter militarisierter Wachsamkeit.)Mittel (Nimmt die reale Angst vor Kriminalität und Korruption auf, pervertiert sie aber in eine Glorifizierung von Chaos und Gewalt, anstatt Ordnung zu schaffen. Bietet keine Sicherheit, sondern die Lizenz zur Aggression.)Stark (Fungiert als väterlicher Garant für Stärke und Sicherheit, der die Sehnsucht nach Ordnung „containt“, aber gleichzeitig die Spannungen gegenüber Minderheiten und Pakistan als Dauerbedrohung aufrechterhält.)
JouissanceStark (Der Rally-Kult als transgressives Ritual. Enormer Genuss am gemeinsamen Tabubruch, an der Demütigung von Gegnern und an der Inszenierung von Macht in einer karnevalesken, ekstatischen Atmosphäre.)Mittel (Eher ein intellektueller Genuss am Tabubruch, an der Provokation und der Verletzung der deutschen Erinnerungskultur. Weniger körperlich-ekstatisch, mehr die Freude an der „verbotenen“ Rede.)Mittel (Eher ein staatlich orchestrierter, patriotischer Pathos und Stolz. Der Genuss liegt im Gefühl der wiedererlangten nationalen Größe und der Schadenfreude über die Schwäche des Westens, weniger im individuellen Exzess.)Stark (Stark körperlich und aggressiv. Die Jouissance liegt in der offenen Zelebrierung von Männlichkeit, Waffen und Gewaltphantasien. Der Genuss an der rohen, unverblümten Aggression ist zentral.)Mittel (Primär ein triumphal-religiöser Genuss an der sichtbaren Wiederherstellung hinduistischer Hegemonie (z.B. Tempelbau). Weniger transgressiv, mehr ein Gefühl der historischen Genugtuung und kollektiven Erhebung.)
RessentimentStark (Treibstoff ist der Groll der weißen Mittel- und Arbeiterschicht über wahrgenommenen Status- und Kulturverlust, der auf Globalisierungseliten und Minderheiten projiziert wird.)Stark (Zentral ist der Groll gegen die als „Schuldkult“ empfundene Erinnerungskultur und gegen die „Altparteien“ und die EU, die als Verräter an nationalen Interessen gelten.)Stark (Fundament ist der revanchistische Groll über die als Demütigung erlebten 1990er Jahre und den Verlust des imperialen Status. Richtet sich primär gegen den Westen.)Stark (Hauptquelle ist der Hass auf die als korrupt und moralisch verkommen dargestellte linke Arbeiterpartei (PT) und die „kulturmarxistischen“ Eliten. Starker Anti-Eliten- und Anti-Korruptions-Fokus.)Stark (Tiefes historisch-religiöses Ressentiment der hinduistischen Mehrheit gegen eine wahrgenommene jahrhundertelange Unterdrückung durch Muslime und säkulare Eliten. Groll über „Minderheiten-Beschwichtigung“.)

Legende: Stark = Der Mechanismus ist explizit, dominant und konstitutiv für die Bewegung. Mittel = Der Mechanismus ist funktional wichtig und regelmäßig im Einsatz, teilt sich aber die Dominanz mit anderen Aspekten oder ist subtiler. Die kursiven Begriffe in Klammern charakterisieren die spezifische Ausprägung des Mechanismus im jeweiligen Kontext.

Quantitative Korrelate: Der Brückenschlag zur empirischen Sozialpsychologie

Die qualitative Analyse der politischen Rhetorik hat eindrücklich gezeigt, wie psychoanalytische Mechanismen wie Spaltung, Projektion, pervertiertes Containing und die Mobilisierung von Ressentiment und Jouissance die affektive Grammatik des Autoritarismus strukturieren. Ein legitimer Einwand könnte jedoch lauten, dass es sich hierbei um hermeneutische Interpretationen handelt, deren Verbindung zur tatsächlichen psychischen Verfassung der Bevölkerung spekulativ bleibt. Dieser Abschnitt tritt an, um genau diese Lücke zu schließen. Er schlägt einen methodologischen Brückenschlag von der psychoanalytischen Tiefenstruktur zur quantitativen politischen Psychologie vor.

Das Kernargument lautet, dass die unbewussten Mechanismen der Psychoanalyse zwar nicht direkt messbar sind, ihre Effekte sich jedoch in validierten und messbaren sozialpsychologischen Konstrukten niederschlagen. Es wird von einer funktionalen Äquivalenz ausgegangen: Eine messbare politische Einstellung oder ein beobachtbares Verhaltensmuster kann dieselbe psychologische Funktion erfüllen wie ein unbewusster Abwehrmechanismus. Der psychoanalytische Ansatz erklärt das „Warum“ der Motivation, während die Sozialpsychologie das „Was“ und „Wer“ der messbaren Korrelate liefert. Die Konvergenz der Befunde aus beiden Feldern verleiht der psychoanalytischen Diagnose eine robuste empirische Plausibilität.

Spaltung und die Messung affektiver Polarisierung

Der psychoanalytische Mechanismus der Spaltung, wie er von Melanie Klein (1946) beschrieben wurde, ist die grundlegendste Operation im Arsenal der populistischen Affektpolitik. Kurze Erinnerung: Er bezeichnet eine primitive psychische Abwehr, die die unerträgliche Komplexität und Ambivalenz der Realität bewältigt, indem sie die Welt, die Objekte und das eigene Selbst in radikal getrennte, eindeutige Teile zerlegt: in idealisiertes, rein Gutes und in dämonisiertes, rein Böses. Im politischen Feld, so haben es die vorangegangenen Vignetten gezeigt, manifestiert sich die Spaltung in einer manichäischen Weltsicht, die die Gesellschaft in ein tugendhaftes, viktimisiertes „Wir“ (das Volk) und eine korrupte, bösartige „Sie“-Gruppe (die Eliten, die Fremden) aufteilt.

Dieses unbewusste Phänomen findet seine direkte messbare Entsprechung in dem, was die moderne Politikforschung als affektive Polarisierung bezeichnet. Dieses Konzept, das von Forschern wie Iyengar, Sood und Lelkes (2012) popularisiert wurde, beschreibt eine entscheidende Verschiebung im Wesen politischer Konflikte: Es geht nicht mehr primär um eine wachsende inhaltliche Distanz in politischen Sachfragen, sondern um eine Zunahme der emotionalen Abneigung, des Misstrauens und des Hasses zwischen den Anhängern verschiedener politischer Lager. Der politische Gegner wird nicht mehr als legitimer Konkurrent wahrgenommen, sondern als moralisch minderwertig und bedrohlich.

Hier liegt die funktionale Äquivalenz zwischen dem psychoanalytischen und dem sozialpsychologischen Konzept. Die affektive Polarisierung ist exakt das, was man auf der Ebene bewusster Einstellungen erwarten würde, wenn der unbewusste Mechanismus der Spaltung kollektiv wirksam wird. Die psychische Funktion beider Phänomene ist identisch: die Stabilisierung der eigenen Gruppenidentität durch die radikale Abwertung der Außengruppe. Die Spaltung ist der unbewusste Prozess; die affektive Polarisierung ist sein messbares, manifestes Ergebnis im politischen Bewusstsein.

Die empirischen Befunde aus der quantitativen Forschung sind überwältigend und bestätigen die psychoanalytische Diagnose auf der Ebene der Massenphänomene. Langzeitstudien des Pew Research Center für die USA, die genau diese emotionale Kluft messen, zeigen, dass der Anteil der Republikaner und Demokraten, die eine „sehr negative“ Meinung von der gegnerischen Partei haben, in den letzten Jahrzehnten dramatisch angestiegen ist. Es geht nicht mehr nur um politische Differenzen; eine wachsende Zahl von Anhängern beider Parteien betrachtet die andere Seite als eine „Bedrohung für das Wohlergehen der Nation“.

Neuere Forschungsinstrumente untermauern diese qualitative Verschiebung noch präziser. Die von Campos und Federico (2025) entwickelte Affective Polarization Scale (APS) zeigt, dass es sich nicht nur um simple Abneigung handelt. Vielmehr setzt sich die Polarisierung aus der Überzeugung zusammen, der Gegner sei fundamental anders und fremd (Othering), sozial abstoßend (Aversion) und moralisch verwerflich (Moralisierung). Diese multidimensionale Messung liefert eine empirische Bestätigung für die Tiefe der Spaltung: Der politische Gegner wird nicht nur als falsch, sondern als substanziell böse und kontaminierend wahrgenommen – eine exakte Parallele zur kleinianischen Beschreibung des „bösen Objekts“.

Was die Psychoanalyse hier zur rein deskriptiven Messung der Sozialpsychologie hinzufügt, ist eine generative Theorie über die Dynamik und die Motivation hinter diesem Phänomen. Sie erklärt affektive Polarisierung nicht einfach als Ergebnis von Parteienwettbewerb oder negativer Medienberichterstattung. Sie deutet sie als regressiven Abwehrmechanismus gegen kollektive Angst. In Zeiten wahrgenommener Krisen und Unsicherheit, so die psychoanalytische Hypothese, greift die Gesellschaft auf primitive psychische Funktionsweisen zurück, um die unerträgliche Komplexität zu bewältigen. Die Spaltung ist die einfachste, wenn auch destruktivste, Form der Angstreduktion. Populistische Rhetorik, wie in den Vignetten analysiert, fungiert dabei als Katalysator: Sie bietet und legitimiert die Spaltung als Deutungsrahmen und verschärft so die affektive Polarisierung, deren Ausmaß dann empirisch präzise gemessen werden kann.

Der Brückenschlag ist somit klar und empirisch fundiert: Die psychoanalytische Theorie postuliert die Spaltung als unbewusste Abwehr gegen Angst. Die quantitative Sozialpsychologie misst die daraus resultierende affektive Polarisierung als bewusste (oder vorbewusste) Einstellung mit validierten Skalen. Die qualitative Diskursanalyse zeigt, wie politische Akteure diese Spaltung in ihrer Rhetorik aktiv fördern. Zusammen ergibt sich ein kohärentes, ebenenübergreifendes Bild, das die psychoanalytische Diagnose empirisch plausibilisiert.

Autoritäre Dispositionen und ihre Korrelate in RWA und SJT

Während die Spaltung die grundlegende Wahrnehmungsmatrix des autoritären Diskurses darstellt, liefert die psychoanalytische Theorie des autoritären Charakters die Erklärung für die motivationale Bereitschaft der Individuen, sich in diese gespaltene Welt einzufügen und sich einer höheren Macht unterzuordnen. Wie in Teil II dargelegt, postulierten Denker wie Erich Fromm und die Frankfurter Schule eine spezifische Persönlichkeitsstruktur – geprägt durch eine sado-masochistische Dynamik –, die aus der „Furcht vor der Freiheit“ entsteht und sich in der Sehnsucht nach einem starken Führer manifestiert. Anna Freuds Konzept der Identifikation mit dem Aggressor (1936) beleuchtet einen verwandten Mechanismus: In Situationen der Ohnmacht kann das Individuum seine Angst bewältigen, indem es die Eigenschaften und die Aggression des übermächtigen Anderen unbewusst übernimmt.

Diese psychoanalytischen Konzepte einer tiefsitzenden autoritären Disposition finden ihre empirische Validierung und Operationalisierung in den robusten Konstrukten der modernen Autoritarismusforschung, insbesondere im Rechtsautoritarismus (RWA) nach Bob Altemeyer (1981) und der System-Justification-Theorie (SJT) nach John Jost (2020). Wiederum liegt der Brückenschlag in einer funktionalen Äquivalenz: Die quantitativen Skalen messen die bewussten oder vorbewussten Einstellungen, die das logische Ergebnis der von der Psychoanalyse beschriebenen unbewussten Prozesse sind.

Das RWA-Konstrukt, das auf den Arbeiten der Frankfurter Schule aufbaut, aber deren psychoanalytische Sprache durch eine behavioristische ersetzt, misst eine Kovarianz von drei Einstellungsclustern: autoritäre Unterwerfung, autoritäre Aggression und Konventionalismus. Insbesondere die Subskala der „autoritären Unterwerfung“ – die hohe Bereitschaft, sich als legitim wahrgenommenen Autoritäten zu unterwerfen und deren Anweisungen zu befolgen – ist das exakte Einstellungskorrelat zu Freuds Beschreibung der Ich-Ideal-Substitution und Fromms Konzept der masochistischen Flucht in die Unterwerfung. Eine hohe Zustimmung zu Items wie „Was unser Land jetzt braucht, ist ein starker, entschlossener Führer, der Ordnung schafft“ misst auf der Einstellungsebene genau jene Sehnsucht, die die Psychoanalyse aus einer tiefen psychischen Notwendigkeit ableitet.

Die RWA-Forschung liefert zudem den empirischen Beleg für die sadistische Komponente des autoritären Charakters. Die Subskala „autoritäre Aggression“ misst die Bereitschaft, im Namen der Autorität hart gegen Abweichler und Sündenböcke vorzugehen. Empirische Studien zeigen konsistent, dass hohe RWA-Werte stark mit Vorurteilen gegenüber Minderheiten, dem Wunsch nach Bestrafung und der Unterstützung für aggressive Außenpolitik korrelieren. Dies bestätigt Freuds These von der Aggressionsabfuhr: Die Unterwerfung unter den Führer (Submission) geht Hand in Hand mit der lizenzierten Aggression gegen die von ihm definierten Feinde (Aggression). Die quantitative Forschung bestätigt damit die psychoanalytische Beschreibung einer psychischen Ökonomie, in der innere Unterwerfung die äußere Grausamkeit ermöglicht.

Die System-Justification-Theorie wiederum bietet eine brillante Operationalisierung des Mechanismus der Identifikation mit dem Aggressor auf der Ebene ganzer sozialer Systeme. Die Theorie erklärt das auf den ersten Blick paradoxe Phänomen, dass oft auch Mitglieder benachteiligter Gruppen dazu neigen, den Status quo – also das System, das sie benachteiligt – als fair, legitim und gerecht zu verteidigen. Psychoanalytisch lässt sich dies als Abwehrmanöver verstehen: Die Anerkennung der eigenen Unterdrückung würde zu unerträglichen Gefühlen von Ohnmacht, Scham und Wut führen. Indem man sich stattdessen mit der Ideologie des herrschenden Systems identifiziert, verwandelt man passive Ohnmacht in eine (stellvertretende) Teilnahme an der Macht und bewahrt ein Gefühl der Kohärenz und Vorhersehbarkeit. Skalen wie die General System Justification Scale (SJS), die die Zustimmung zu Aussagen wie „Im Großen und Ganzen ist das deutsche Gesellschaftssystem gerecht und fair“ messen, erfassen genau diese internalisierte Loyalität. Hohe SJS-Werte bei Mitgliedern marginalisierter Gruppen können als quantitativer Indikator für eine erfolgreiche Identifikation mit dem Aggressor auf systemischer Ebene gelesen werden.

Die Psychoanalyse liefert hier die entscheidende Tiefendimension. Sie erklärt, warum eine als ungerecht empfundene Welt psychisch so unerträglich sein kann, dass die Verleugnung dieser Ungerechtigkeit zu einer attraktiven Option wird. Sie verweist auf die unbewusste Angst vor Chaos und Desintegration, die Menschen dazu treibt, selbst einen unfairen Status quo zu verteidigen, solange er nur Ordnung verspricht. Die quantitative Forschung wiederum zeigt, wer besonders anfällig für diese Denkmuster ist und wie stark sie in der Bevölkerung verbreitet sind. Zusammengenommen kartieren diese quantitativen Instrumente die psychologische Landschaft, deren unterirdische Topographie die Psychoanalyse erstmals vermessen hat. Sie zeigen, dass die von Freud und Fromm beschriebene autoritäre Disposition keine bloße theoretische Fiktion ist, sondern eine messbare soziale Realität mit verheerenden politischen Konsequenzen.

Jouissance und die Messung von Schadenfreude und dem „Need for Chaos“

Die psychoanalytische Analyse der Abwehr von Unlust – durch Spaltung oder autoritäre Unterwerfung – greift zu kurz, wenn sie nicht die aktive, energetische und oft euphorische Dimension autoritärer Bewegungen berücksichtigt. Es geht nicht nur um die Vermeidung von Schmerz, sondern auch um die Erlangung einer spezifischen Form von Lust. Das psychoanalytische Konzept der Jouissance, wie es von Lacan geprägt und von Žižek für die Politik fruchtbar gemacht wurde, bietet hierfür den entscheidenden Schlüssel. Es beschreibt einen exzessiven, paradoxen Genuss, der in der Überschreitung von Normen und im Ausleben verbotener Impulse liegt. Dieses auf den ersten Blick abstrakte Konzept findet überraschend konkrete und messbare Korrelate in der sozialpsychologischen Forschung.

Ein erstes, gut erforschbares Korrelat ist die politische Schadenfreude, die Freude am Unglück des politischen Gegners. Sie operationalisiert die sadistische, auf ein klares Objekt gerichtete Komponente der Jouissance. In der quantitativen Forschung wird dieses Phänomen typischerweise mit szenariobasierten Umfrage-Items gemessen. Ein gängiges methodisches Vorgehen, wie es in Studien zur Intergruppen-Emotion (z.B. bei Webster et al., 2024) Anwendung findet, ist, den Befragten ein hypothetisches negatives Ereignis zu präsentieren, das einer gegnerischen politischen Figur oder Gruppe widerfährt. Anschließend wird die emotionale Reaktion auf einer Likert-Skala erfasst. Ein Item könnte lauten:

„Stellen Sie sich vor, ein führender Politiker der [gegnerischen Partei] verliert eine wichtige Wahl aufgrund eines persönlichen Fehlers. Inwieweit würden Sie die Emotion ‚Freude‘ oder ‚Genugtuung‘ empfinden?“

Eine hohe Zustimmung zu einem solchen Item ist ein direkter Indikator für Schadenfreude. Empirische Studien belegen konsistent, dass eine hohe affektive Polarisierung stark mit dieser Neigung korreliert. Psychoanalytisch interpretiert, ist diese messbare Schadenfreude die bewusste Spitze des Eisbergs einer unbewussten Jouissance: der Genuss, der aus der Aggressionsabfuhr gegen das als „böse“ gespaltene Objekt gewonnen wird. Die Demütigung des Gegners wird zur Quelle einer narzisstischen Befriedigung, die die eigene, als überlegen empfundene Gruppenidentität bestätigt.

Während Schadenfreude die Lust an der Niederlage des spezifischen Gegners misst, erfasst eine noch radikalere Form der Jouissance die Lust an der Zerstörung des gesamten Systems. Diese nihilistische Dimension wird durch ein neueres, aber äußerst aussagekräftiges Instrument der politischen Psychologie messbar gemacht: der Need for Chaos (NFC) Scale. In einer wegweisenden Serie von Studien haben Petersen, Osmundsen und Arceneaux (2021, 2023) dieses Konstrukt entwickelt und validiert. Es beschreibt eine Disposition, die nicht auf den Sieg der eigenen Partei, sondern auf den Wunsch abzielt, die bestehende politische und soziale Ordnung als solche zu zerstören. Die NFC-Skala operationalisiert diesen Impuls durch Items, die die Zustimmung zu antisystemischen, destruktiven Phantasien messen, wie zum Beispiel:

„I think society should be burned to the ground.“ (Ich denke, die Gesellschaft sollte bis auf die Grundmauern niedergebrannt werden.)

„When I think about our political and social institutions, I cannot help thinking ‚just let them all burn‘.“ (Wenn ich über unsere politischen und sozialen Institutionen nachdenke, kann ich nicht umhin zu denken: „Lasst sie einfach alle brennen“.)

Dieses Instrument operationalisiert auf verblüffende Weise die lacanianische Verbindung von Jouissance und dem Todestrieb. Es erfasst eine politische Motivation, die nicht mehr vom Lustprinzip (dem Streben nach Stabilität) geleitet wird, sondern von einem Genuss an der Zerstörung selbst. Die empirischen Befunde der Forscher sind hierbei von enormer Bedeutung für die psychoanalytische These: Personen mit hohen NFC-Werten teilen feindselige politische Gerüchte nicht primär, weil sie diese für wahr halten, sondern weil sie glauben, dass deren Verbreitung das verhasste System destabilisiert (Petersen et al., 2018). Das Teilen von Desinformation wird zu einem „instrumental act of mobilization“ in „pursuit of chaos“.

Die Konvergenz zwischen der psychoanalytischen Theorie und der quantitativen Forschung ist an dieser Stelle besonders deutlich. Die Psychoanalyse liefert mit dem Konzept der Jouissance die theoretische Erklärung für die paradoxe Lust an der Selbst- und Fremdschädigung im Politischen. Die quantitative Forschung wiederum liefert mit Instrumenten wie szenariobasierten Schadenfreude-Items und der Need for Chaos Scale die Werkzeuge, um die Verbreitung und die Korrelate dieser destruktiven Lust in der Bevölkerung zu messen. Zusammengenommen belegen diese beiden Perspektiven, dass die Bindung an autoritäre Bewegungen nicht nur eine negative Funktion der Angstabwehr hat, sondern auch eine positive, „energetisierende“ Funktion des gemeinsamen, transgressiven Genießens. Dies erklärt, warum solche Bewegungen für ihre Anhänger so affektiv befriedigend und gegenüber rationaler Kritik so resistent sein können.

Der Nährboden der autoritären Wende – Die „gekränkte Freiheit“ der Spätmoderne

Die Analyse der zeitlosen psychodynamischen „Grammatik“ des Autoritarismus in den vorangegangenen Teilen hat die grundlegenden Mechanismen offengelegt: die libidinöse Bindung an eine Führerfigur, die Abwehr von Angst durch Spaltung und Projektion und die lustvolle Energie der Jouissance, die in der gemeinsamen Transgression wurzelt. Diese Werkzeuge des Unbewussten sind transhistorische Potenziale des menschlichen psychischen Apparats. Dass sie jedoch in der Gegenwart mit einer derartigen Virulenz das politische Feld etablierter liberaler Demokratien erobern, ist kein Zufall und kann nicht allein durch die Mechanismen selbst erklärt werden. Eine rein mechanistische Anwendung der Psychoanalyse liefe Gefahr, die spezifischen historischen und sozialen Kontexte zu ignorieren, die diese Potenziale erst aktivieren.

Es stellt sich daher die entscheidende Frage: Was ist der spezifische Nährboden der Spätmoderne, der die Gesellschaften so anfällig für diese regressiven Tendenzen macht? Warum finden die Angebote autoritärer Demagogen heute eine derart massive Resonanz? Die Antwort, so wird dieser Abschnitt argumentieren, liegt in einer tiefgreifenden Transformation der Subjektivität selbst. Die Arbeiten von Soziologen und Sozialphilosophen, die sich mit den Pathologien der Gegenwart befassen, liefern hier eine entscheidende Diagnose, die perfekt an die psychoanalytische Analyse anschließt. Insbesondere das von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey (2022) entwickelte Konzept der „gekränkten Freiheit“ erweist sich als zentraler Schlüssel. Es beschreibt ein fundamentales, unauflösliches Paradox im Herzen der spätmodernen Gesellschaft, das eine spezifische Form der kollektiven narzisstischen Kränkung hervorbringt und damit den perfekten Nährboden für autoritäre Verführungen bereitet.

Die widersprüchliche Subjektivität der Spätmoderne

Um die psychische Verfasstheit des spätmodernen Individuums zu verstehen, muss man sich von dem Bild des unterdrückten Subjekts der industriellen Moderne lösen, auf das die klassische Kritische Theorie reagierte. Die zentrale Pathologie der Gesellschaft, wie sie Erich Fromm (1941) in seiner Analyse der „Furcht vor der Freiheit“ oder Wilhelm Reich (1933) in seiner „Massenpsychologie des Faschismus“ beschrieben, war die der Repression. Eine rigide Sexualmoral, eine autoritäre Familienstruktur und hierarchische Arbeitswelten zwangen das Individuum zur Unterdrückung seiner Triebe und zur konformistischen Anpassung. Die autoritäre Verführung bot hier eine paradoxe Befreiung durch noch radikalere Unterwerfung, eine Flucht vor der unerträglichen Last der individuellen Freiheit. Die heutige gesellschaftliche Logik operiert jedoch nach einem diametral entgegengesetzten Prinzip. Der zentrale Befehl, der das Subjekt konstituiert, lautet nicht mehr „Passe dich an!“, sondern „Sei du selbst!“.

Der Imperativ der Autonomie: Die gesellschaftliche Forderung nach permanenter Selbstoptimierung, Flexibilität und Einzigartigkeit

Die spätmoderne, neoliberal geprägte Gesellschaft ist durch einen allgegenwärtigen Imperativ zur Autonomie und Selbstverwirklichung gekennzeichnet. Dieser Imperativ ist keine bloße ideologische Fassade, sondern eine tief in die materiellen und kulturellen Praktiken des Alltags eingelassene Anforderung. Er speist sich aus einem Zusammenspiel dreier miteinander verwobener Entwicklungen.

Erstens hat die neoliberale Wende seit den 1980er Jahren die Verantwortung für Wohlergehen und soziale Sicherheit systematisch vom Kollektiv auf das Individuum verlagert. Der Sozialstaat, der in der Nachkriegszeit als zentraler gesellschaftlicher „Container“ (Bion, 1962) für Lebensrisiken wie Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alter fungierte, wurde schrittweise zurückgebaut. An seine Stelle trat die Doktrin der Eigenverantwortung. Das Individuum wird nun als „Unternehmer seiner selbst“ angeredet, das sein „Humankapital“ auf dem flexibilisierten Markt des Lebens permanent optimieren, verwalten und gewinnbringend einsetzen muss (Foucault, 2008). Prekarität und Scheitern sind in dieser Logik nicht mehr primär das Ergebnis sozialer Strukturen oder ökonomischer Krisen, sondern das Resultat eines persönlichen Versagens im Management der eigenen Ressourcen. Die Last, das eigene Leben gegen alle Widerstände zum Erfolg zu führen, liegt nun fast ausschließlich auf den Schultern des Einzelnen.

Zweitens hat die Konsum- und Medienkultur diesen ökonomischen Druck ästhetisch und affektiv aufgeladen und in ein Versprechen von Einzigartigkeit umgedeutet. Identität wird in der Spätmoderne nicht mehr primär durch Herkunft, Stand oder einen lebenslangen Beruf definiert, sondern durch einen kuratierten Lebensstil, durch Konsumentscheidungen und die performative Zurschaustellung von Authentizität und Besonderheit, insbesondere in den sozialen Medien. Der Druck, nicht nur erfolgreich, sondern auch interessant, kreativ und glücklich zu sein – und dies permanent zu dokumentieren –, ist enorm. Die digitale Sphäre fungiert hier als riesiger sozialer Spiegel, in dem das eigene, optimierte Selbst permanent mit den idealisierten Selbsten der anderen verglichen wird, was einen unendlichen Kreislauf der narzisstischen Bestätigung und Verunsicherung in Gang setzt.

Drittens hat eine fortschreitende Psychologisierung des Sozialen dazu geführt, dass gesellschaftliche Probleme zunehmend als individuelle psychische Defizite interpretiert und behandelt werden. Strukturelle Probleme wie Stress am Arbeitsplatz, Burnout durch permanente Erreichbarkeit oder Zukunftsangst angesichts globaler Krisen erscheinen nicht als legitime Reaktionen auf widersprüchliche und überfordernde Systemanforderungen. Stattdessen werden sie als persönliche Mängel in der eigenen Resilienz, Achtsamkeit oder emotionalen Intelligenz gerahmt. Die Lösung ist nicht politischer Wandel, sondern individuelle Therapie, Coaching oder die richtige Meditations-App. Das gesellschaftliche Problem wird privatisiert und dem Individuum zur Bearbeitung überantwortet.

Daraus ergibt sich ein unerbittlicher, tief internalisierter Anspruch: Das spätmoderne Subjekt soll souverän, selbstbestimmt, authentisch, flexibel, erfolgreich und psychisch stabil sein. Es ist allein für die Gestaltung seines Lebens und die Bewältigung seiner Probleme verantwortlich. Dieses Ideal der totalen Selbstverfügung ist, wie Amlinger und Nachtwey (2022) argumentieren, zum zentralen, säkularen Heilsversprechen der Spätmoderne und zum unhinterfragbaren Maßstab eines „gelungenen“ Lebens geworden. Die „Freiheit“, die hier versprochen wird, ist eine absolute, fast grenzenlose Freiheit zur Selbstgestaltung.

Die Erfahrung der Ohnmacht: Kontrollverlust durch Globalisierung, Komplexität und Prekarisierung

Gleichzeitig, und hier liegt das fundamentale Paradox der Spätmoderne, kollidiert dieser internalisierte Allmachtsanspruch mit einer ebenso fundamentalen, alltäglichen Erfahrung des Kontrollverlusts. Die Erfahrung der Ohnmacht ist ebenso prägend für die spätmoderne Subjektivität wie der Anspruch auf Allmacht. Auch diese Erfahrung speist sich aus mehreren, sich gegenseitig verstärkenden Dimensionen.

Auf ökonomischer Ebene erleben weite Teile der Bevölkerung die Realität prekärer Arbeitsverhältnisse, der „Gig Economy“, stagnierender Reallöhne und einer sich dramatisch verschärfenden Ungleichheit. Die Fähigkeit, das eigene Leben durch harte Arbeit langfristig zu planen und soziale Sicherheit zu erlangen – ein Haus zu kaufen, eine stabile Rente aufzubauen, den Kindern einen besseren Lebensstandard zu ermöglichen –, erodiert. Das „unternehmerische Selbst“, das souverän seine Chancen maximieren soll, entpuppt sich für viele als ein prekäres Selbst, das den Launen anonymer, globaler Märkte und undurchschaubarer Finanzströme hilflos ausgesetzt ist (Amlinger & Nachtwey, 2022). Die versprochene Autonomie kollidiert mit der brutalen Realität der Abhängigkeit.

Auf politischer Ebene verstärkt sich das Gefühl, von undurchschaubaren, supranationalen und oft als nicht-demokratisch empfundenen Kräften regiert zu werden. Entscheidungen, die das eigene Leben tiefgreifend beeinflussen – von Handelsabkommen über Klimapolitik bis hin zu den Regeln der digitalen Plattformen –, werden in den Vorstandsetagen globaler Konzerne, von Ratingagenturen, in den Gremien der Europäischen Union oder in den Serverfarmen des Silicon Valley getroffen. Die nationale, demokratische Politik erscheint angesichts dieser globalen Mächte oft als hilflos und ineffektiv, was zu einem tiefen Gefühl politischer Ohnmacht und Zynismus führt, wie es die Daten zum Vertrauensverlust (vgl. Pew Research Center, 2024; WVS) eindrücklich belegen. Das souveräne Subjekt der Demokratie, der Bürger, erlebt sich als Objekt globaler Prozesse, die es nicht beeinflussen kann.

Die tiefste und vielleicht schmerzhafteste Ebene des Kontrollverlustes ist jedoch eine ontologische oder epistemische. Amlinger und Nachtwey (2022) prägen hierfür den treffenden Begriff der „Wissenskränkung“. In einer Welt existenzieller Risiken – vom Klimawandel über Pandemien bis hin zu den unvorhersehbaren Folgen der künstlichen Intelligenz – ist das Individuum für seine Sicherheit und sein Überleben fundamental auf das Wissen von Experten und die Funktionsfähigkeit wissenschaftlicher und staatlicher Institutionen angewiesen. Gleichzeitig untergräbt die digitale Informationsflut, die von gezielter Desinformation, alternativen Fakten und unzähligen Verschwörungstheorien durchsetzt ist, das Vertrauen in genau diese Experten und Institutionen. Das Subjekt soll souverän über sein Leben entscheiden (z.B. über seine Gesundheit, seine Finanzen, seine politische Wahl), kann aber nicht mehr sicher wissen, welchen Informationen, welchen Fakten, welchen Autoritäten es noch trauen soll. Es ist zur Autonomie verdammt, ohne über die epistemische Grundlage für wirklich autonome Entscheidungen zu verfügen. Dieser Zustand erzeugt eine permanente, unerträgliche Unsicherheit und ein tiefes, oft paranoides Misstrauen gegenüber allen Formen von etabliertem Wissen und Autorität. Die Freiheit der Wahl wird zur Qual der Ungewissheit.

Die kollektive narzisstische Kränkung und die politische Ökonomie der Affekte

Die unauflösliche Spannung zwischen dem kulturellen Imperativ der Autonomie und der gelebten Erfahrung der Ohnmacht, die das spätmoderne Subjekt konstituiert, ist mehr als nur ein soziologischer Widerspruch. Sie muss als eine fundamentale und chronische narzisstische Kränkung auf der Ebene der Massenpsychologie verstanden werden. Psychoanalytisch betrachtet, ist Narzissmus nicht bloß Eitelkeit, sondern die libidinöse Besetzung des eigenen Selbst, das Ringen um ein stabiles und positives Selbstwertgefühl. Dieses Gefühl speist sich aus der fragilen Balance zwischen dem grandiosen Selbstbild, das wir von uns haben möchten (dem Ich-Ideal), und der Anerkennung, die wir von der Außenwelt dafür erhalten (Kohut, 1971). Die spätmoderne Gesellschaft bringt diese Balance systematisch ins Wanken. Sie erzeugt ein grandioses Ich-Ideal – das Ideal des souveränen, erfolgreichen, authentischen Individuums – und konfrontiert es gleichzeitig unablässig mit Erfahrungen des Scheiterns, der Abhängigkeit und der Bedeutungslosigkeit.

Das Versprechen der Gesellschaft, dass jeder seines Glückes Schmied sei, wird von vielen als gebrochen erlebt. Dieser Bruch ist die narzisstische Wunde der Gegenwart. In einer Kultur, die Erfolg und Scheitern konsequent individualisiert, kann diese Kränkung jedoch nur schwer als ein gesellschaftliches oder strukturelles Problem artikuliert werden. Sie wird als persönliches Versagen internalisiert. Das vorherrschende Gefühl, das aus dieser Kluft entsteht, ist daher nicht primär Schuld, die sich auf eine spezifische, reparable Tat bezieht („Ich habe etwas Falsches getan“). Vielmehr ist es tief sitzende Scham, ein lähmender Affekt, der das gesamte Selbst erfasst. Wie von Theoretikern wie Erik Erikson (1950) beschrieben, ist Scham die schmerzhafte Erfahrung der Bloßstellung, der Wertlosigkeit und der Machtlosigkeit angesichts eines unerreichbaren Ideals. Es ist das quälende Gefühl, als ganzes Selbst unzulänglich zu sein. Man fühlt sich klein, ignoriert und in seiner fundamentalen Würde missachtet.

Dieser Zustand aus latenter Angst (vor weiterem Statusverlust), tief sitzender Scham (über das eigene Versagen) und diffuser Wut (über die empfundene Ungerechtigkeit des Systems) ist psychisch auf Dauer unhaltbar. Er zwingt die Psyche zu mächtigen Abwehrmechanismen, um das bedrohte Selbst zu schützen. Die unerträglichen Gefühle der eigenen Unzulänglichkeit und Ohnmacht müssen externalisiert werden. Genau an diesem psychodynamischen Wendepunkt verwandelt sich die individuelle, internalisierte Kränkung in einen chronischen, politisierten und nach außen gerichteten Groll: das Ressentiment.

Die Analysen von Sozialtheoretikerinnen wie Eva Illouz (2023) und Cynthia Fleury (2020) sind hier von entscheidender Bedeutung, da sie die „emotionale Ökonomie des Populismus“ entschlüsseln. Sie zeigen, dass Ressentiment nicht einfach nur Wut oder Neid ist, sondern eine spezifische, hochgradig aufgeladene Affektstruktur. Es ist eine „moralisierte Kränkung“. Ausgehend von den philosophischen Grundlagen, die Friedrich Nietzsche in „Zur Genealogie der Moral“ (1887) legte, beschreibt Ressentiment die Emotion der Ohnmächtigen. Es ist der Groll jener, die eine erlittene Verletzung nicht direkt vergelten können und sie daher innerlich „wiederkäuen“. Diese wiederholte, hilflose Konfrontation mit der eigenen Kränkung führt zu einer „Umwertung aller Werte“: Die Stärke des Gegners wird als Bösartigkeit, die eigene Schwäche als moralische Überlegenheit umgedeutet. Das Ressentiment-Subjekt fühlt sich nicht nur verletzt, sondern es fühlt sich als moralisch überlegenes Opfer einer ungerechten, bösen Macht.

Genau diese Logik prägt die politische Landschaft der Gegenwart. Das Gefühl vieler Menschen, von den ökonomischen und kulturellen Eliten abgehängt und ignoriert zu werden, verwandelt sich in das Ressentiment, von einer als illegitim, korrupt und moralisch verkommen wahrgenommenen „Elite“ oder einem „System“ betrogen und in der eigenen Würde missachtet worden zu sein. Dieses Narrativ ist psychologisch hochgradig funktional. Es bietet eine immense Entlastung: Nicht mein persönliches Versagen oder meine Unzulänglichkeit ist das Problem, sondern der Verrat der Anderen. Es transformiert die lähmende Scham in eine selbstgerechte, energetisierende Wut und schafft eine neue, negative, aber stabile Identität als Angehöriger der „wahren“, „anständigen“, aber „vergessenen“ Mehrheit.

Dieses chronische Ressentiment wird zum zentralen Treibstoff der politischen Affektökonomie. Illouz (2023) zeigt in ihrer Analyse der israelischen Politik, wie rechte Populisten systematisch ein Bündel von vier Kernemotionen mobilisieren, die alle um das Ressentiment kreisen. Angst wird geschürt, indem der „Andere“ (Araber, Linke) als existenzielle Bedrohung für die nationale Identität dargestellt wird. Ekel wird mobilisiert, um eine moralische und physische Distanz zu den „unreinen“, „dekadenten“ Eliten und ihren kosmopolitischen Werten zu schaffen. Liebe wird als narzisstische Bindung an eine idealisierte, homogene In-Group (das „jüdische Volk“) zelebriert. All diese Affekte – Angst, Ekel, Liebe – werden jedoch durch das alles durchdringende Ressentiment gefärbt und kanalisiert. Die Angst ist die Angst vor weiterer Demütigung durch den Feind; der Ekel ist der Ekel vor jenen, die die Kränkung verursachen; und die Liebe ist die narzisstische Liebe einer Gemeinschaft, die sich in ihrem gemeinsamen Opferstatus zusammenschließt.

Diese Affektökonomie schafft einen geschlossenen, sich selbst bestätigenden Kreislauf. Jede politische Debatte wird zu einem Schauplatz, an dem die eigene Kränkung bestätigt und das Ressentiment neu entfacht werden kann. Fakten spielen eine untergeordnete Rolle, da es nicht um die Lösung eines Sachproblems geht, sondern um die emotionale Bewältigung einer narzisstischen Verletzung. Cynthia Fleury (2020) beschreibt diesen Zustand treffend als eine „Unfähigkeit zu handeln“. Das im Ressentiment gefangene Subjekt ist nicht in der Lage, konstruktive, zukunftsorientierte Lösungen zu entwickeln, weil seine gesamte psychische Energie in der retrospektiven, bitteren Abrechnung mit vergangenen Kränkungen gebunden ist. Es verharrt in einer „selbstvergiftenden“ (Nietzsche) Spirale aus Anklage und Selbstmitleid.

Dieser Zustand aus Angst, Scham und Ressentiment ist der psychologische Nährboden, auf dem die autoritäre Saat aufgehen kann. Er schafft eine Bevölkerung, die anfällig ist für politische Angebote, die nicht rationale Lösungen, sondern emotionale Entlastung versprechen. Die „gekränkte Freiheit“ sucht verzweifelt nach einem Ausweg aus ihrem unerträglichen inneren Widerspruch. Sie kann diesen Ausweg konstruktiv suchen, indem sie die Fiktion der totalen Autonomie aufgibt und die Realität der gegenseitigen Abhängigkeit und Verletzlichkeit anerkennt – was Amlinger und Nachtwey (2022) als den Weg zur „sozialen Freiheit“ beschreiben. Oder sie kann ihn destruktiv suchen, indem sie in regressive, autoritäre Abwehrmechanismen flieht, die eine scheinbare Heilung versprechen, aber die Pathologie nur vertiefen. Genau diese zweite, pathologische Verarbeitungsform wird im nächsten Abschnitt als „Rebellion gegen die Realität“ analysiert.

Die „Rebellion gegen die Realität“: Der libertäre Autoritarismus als Abwehrstrategie

Der psychische Zustand der gekränkten Freiheit, geprägt von einem unauflöslichen Widerspruch zwischen Autonomieanspruch und Ohnmachtserfahrung, führt nicht zwangsläufig zu politischer Apathie oder Resignation. Stattdessen kann er in eine aktive, wenn auch destruktive, politische Haltung münden, die als zentrale Abwehrstrategie gegen die unerträgliche Kränkung fungiert. Amlinger und Nachtwey (2022) haben für diesen paradoxen Charaktertypus den Begriff des „libertären Autoritarismus“ geprägt. Dieses Konzept ist entscheidend, um die spezifische Form des heutigen Autoritarismus von seinen historischen Vorläufern zu unterscheiden.

Der klassische autoritäre Charakter, wie ihn die Frankfurter Schule um Theodor W. Adorno et al. (1950) beschrieb, war durch die Sehnsucht nach Unterwerfung gekennzeichnet. Geprägt von einer repressiven Erziehung, fürchtete er die Freiheit und suchte Zuflucht in der bedingungslosen Loyalität gegenüber starken Autoritäten und starren Konventionen. Seine Aggression richtete sich konformistisch gegen jene, die von der Autorität als Feinde markiert wurden. Der zeitgenössische libertäre Autoritarismus operiert nach einer fast entgegengesetzten Logik. Sein zentrales Motiv ist nicht die Unterwerfung, sondern die radikale Verteidigung einer absolut gesetzten, narzisstischen Freiheit gegen jede Form von äußerer Autorität oder gesellschaftlicher Norm, die diese Freiheit zu beschränken droht. Seine Rebellion richtet sich nicht im Namen einer Autorität gegen Abweichler, sondern im Namen der eigenen, absoluten Souveränität gegen die Autorität selbst – sei es der Staat, die Wissenschaft, die Medien oder die „tyrannische“ Mehrheit.

Diese Haltung ist keine emanzipatorische Rebellion für eine freiere Gesellschaft, sondern eine regressive „Rebellion gegen die Realität“ selbst. Da die Realität in ihrer Komplexität, Ambivalenz und Widersprüchlichkeit die Quelle der narzisstischen Kränkung ist, wird die Realität selbst zum Feind erklärt. Dieser Kampf gegen die Realität manifestiert sich in drei zentralen Abwehrstrategien, die den Kern des libertär-autoritären Syndroms ausmachen:

Erstens, die Abwehr von Abhängigkeit. Die tiefste narzisstische Verletzung für das auf Souveränität getrimmte Subjekt ist die Konfrontation mit der eigenen, unaufhebbaren Abhängigkeit von anderen Menschen, von gesellschaftlichen Strukturen und von der materiellen Welt. Psychoanalytisch ist dies eine Abwehr gegen die Anerkennung der grundlegenden menschlichen Bedingung der Angewiesenheit, die in der infantilen Hilflosigkeit wurzelt. In der politischen Praxis wird jede Form von gesellschaftlicher Verpflichtung oder Solidarität als unerträglicher Angriff auf die eigene Autonomie empfunden und aggressiv abgewehrt. Die Maskenpflicht während einer Pandemie wird nicht als Akt der gegenseitigen Fürsorge verstanden, sondern als Symbol staatlicher Unterdrückung. Klimaschutzmaßnahmen werden nicht als Notwendigkeit zur Erhaltung der Lebensgrundlagen gesehen, sondern als Angriff auf den individuellen Lebensstil. Steuern sind kein Beitrag zum Gemeinwesen, sondern Diebstahl. Das Ideal ist ein Zustand der totalen Autarkie, eine regressive Phantasie der Unabhängigkeit von den als übergriffig und beschämend erlebten Anforderungen der Gemeinschaft. Diese Haltung ist „libertär“ in ihrer radikalen Betonung der individuellen Freiheit, aber „autoritär“ in ihrer intoleranten und aggressiven Abwehr jeder Form von sozialer Bindung.

Zweitens, die Abwehr von Komplexität durch die Flucht in die Verschwörung. Die komplexe und oft widersprüchliche Realität globalisierter Gesellschaften konfrontiert das Individuum permanent mit seiner kognitiven Ohnmacht und der „Wissenskränkung“ (Amlinger & Nachtwey, 2022). Man kann die Funktionsweise globaler Finanzmärkte, die Details der Klimaforschung oder die Virologie einer Pandemie nicht im Detail durchschauen; man ist auf das Vertrauen in Institutionen und Experten angewiesen. Diese Abhängigkeit ist eine weitere narzisstische Kränkung. Die Flucht in Verschwörungstheorien bietet hier eine psychologisch hochwirksame Lösung. Sie ersetzt die unerträgliche Komplexität durch eine simple, manichäische Erzählung mit klaren Feinden (eine geheime Elite, „Big Pharma“, „die Globalisten“) und einem klaren Plot. Vor allem aber kehrt sie die epistemische Hierarchie um: Der Verschwörungsgläubige ist nicht mehr der unwissende Laie, der den Experten vertrauen muss. Er ist der „Erwachte“, der als Einziger hinter die Kulissen der offiziellen Lügen blickt. Die „Wissenskränkung“ wird so in ein Gefühl narzisstischer Überlegenheit über die unwissenden „Schlafschafe“ transformiert. Die Verschwörungstheorie ist somit keine reine Fehlinformation, sondern eine Abwehrstrategie gegen eine als beschämend erlebte kognitive Ohnmacht.

Drittens, die Abwehr von Ambivalenz durch die Manichäisierung der Welt. Der libertär-autoritäre Charakter neigt zu einer extremen Form der Spaltung (Klein, 1946). Die Welt zerfällt unwiderruflich in ein idealisiertes, reines „Wir“ (das Volk, die Patrioten, die Freiheitskämpfer) und ein dämonisiertes, absolut böses „Sie“ (die korrupte Elite, die Globalisten, die Verräter). Diese Spaltung dient der Externalisierung aller eigenen widersprüchlichen und negativen Anteile. Die eigene Aggression, der eigene Hass und die eigene Intoleranz werden nicht als solche wahrgenommen, sondern als legitime und notwendige Notwehr gegen einen böswilligen Feind umgedeutet. Jede Kritik an der eigenen Position wird nicht als legitimer Einwand, sondern als weiterer Beweis für die Bösartigkeit des Gegners und die Existenz der Verschwörung gewertet. Es entsteht ein hermetisch geschlossenes, paranoides Weltbild, das immun ist gegen jede Korrektur durch die Realität.

Die Konsequenz dieser drei Abwehrstrategien ist eine zutiefst autoritäre Haltung, die sich paradoxerweise im Namen der Freiheit gegen die psychologischen und sozialen Grundlagen einer freiheitlichen, pluralistischen Gesellschaft richtet: Kompromissbereitschaft, Solidarität, die Anerkennung von Fakten und die Akzeptanz der eigenen Fehlbarkeit und gegenseitigen Abhängigkeit. Es ist der autoritäre Versuch, die verlorene Souveränität des Ichs durch einen Akt des reinen Willens gegen die als kränkend erlebte Realität wiederherzustellen. Der libertäre Autoritarismus ist somit das zentrale psycho-soziale Symptom der spätmodernen Krise. Er ist die pathologische Antwort auf eine reale Pathologie der Gesellschaft.

Die fatale Resonanz: Wie der populistische Führer die gekränkte Seele „heilt“

Die Entstehung des libertär-autoritären Charaktertypus als eine verbreitete Abwehrstrategie gegen die Kränkungen der Spätmoderne schafft eine tiefgreifende psycho-soziale Vulnerabilität innerhalb liberaler Gesellschaften. Es bildet sich ein Vakuum, eine latente, aber hochgradig aufgeladene affektive Nachfrage nach einer politischen Form, die diese Kränkungen nicht nur adressiert, sondern eine Form der psychischen Entlastung und narzisstischen Wiederherstellung verspricht. In genau diese Lücke tritt der populistische Führer. Sein Erfolg beruht nicht primär auf der Überzeugungskraft seiner politischen Programme, sondern auf seiner intuitiven, fast seismographischen Fähigkeit, die unbewussten Nöte seiner Anhänger zu erspüren und eine passgenaue, wenn auch pathologische, Lösung anzubieten. Es entsteht eine fatale Resonanz, eine von Karin Zienert-Eilts (2020) treffend als „destruktiv-symbiotische Passung“ beschriebene Dynamik. Hierbei greifen das affektive Angebot des Führers und die unbewussten Bedürfnisse des gekränkten Subjekts perfekt ineinander.

Diese Passung lässt sich als ein hochwirksamer psychopolitischer Prozess beschreiben, in dem der Führer die Funktion eines externen, charismatischen Psychotherapeuten für die gekränkte kollektive Seele übernimmt. Seine Methode ist jedoch nicht die der Heilung durch Einsicht, sondern die der Stabilisierung durch Abwehr. Er nutzt dabei exakt jene Mechanismen, die in den vorangegangenen Teilen dieses Artikels dargelegt wurden.

Der erste und entscheidende Schritt des Führers ist die Validierung der narzisstischen Kränkung. Wo demokratische Institutionen und etablierte politische Diskurse auf Nüchternheit, Komplexität und Kompromiss pochen – und damit die Erfahrung der Ohnmacht eher noch verstärken –, tut der populistische Führer das Gegenteil. Er spiegelt und verstärkt das Gefühl seiner Anhänger, Opfer zu sein. Seine Rhetorik ist eine einzige große Validierung der Kränkung. Er erkennt ihr Ressentiment an („Ihr wurdet betrogen, vergessen und verachtet!“), gibt ihm eine öffentliche Stimme und adelt es als legitime moralische Empörung. Für ein Subjekt, das seine Kränkung bisher als persönliches Versagen internalisiert und sich dafür geschämt hat, wirkt dieser Akt der öffentlichen Anerkennung wie eine immense psychische Entlastung. Endlich sagt jemand mit Autorität, dass das Problem nicht bei einem selbst, sondern im „System“ liegt. Diese Ansprache funktioniert als das, was Bion (1962) als Containment beschreibt, jedoch in einer hochgradig ambivalenten Form: Der Führer nimmt die rohen Affekte (Beta-Elemente) der Kränkung und der Wut auf. Er gibt ihnen einen Namen und eine Form (Alpha-Elemente), was zunächst eine beruhigende, strukturierende Wirkung hat.

Doch diese anfängliche Beruhigung kippt sofort in ihre Perversion. Der zweite Schritt ist die Externalisierung der Schuld durch Spaltung und Projektion. Nachdem die Kränkung validiert ist, liefert der Führer die Täter. Er kanalisiert den diffusen Groll, der sich aus der Scham speist, auf klar definierte, externalisierte Sündenböcke. Er greift damit direkt den von Melanie Klein (1946) beschriebenen Mechanismus der Spaltung auf. Die verwirrende und ambivalente Realität wird in eine simple, manichäische Ordnung überführt: auf der einen Seite das idealisierte, tugendhafte „Wir“ (das Volk), auf der anderen das dämonisierte, absolut böse „Sie“ (die Eliten, die Migranten, die Medien). Diese Spaltung ermöglicht den Prozess der Projektion: Alle eigenen negativen und widersprüchlichen Anteile – die eigene Schwäche, die eigene Aggression, die eigene Korrumpierbarkeit – werden abgespalten und vollständig auf den konstruierten Feind verlagert. Dieser Mechanismus, der wie bei Karyne Messina (2022) beschrieben als permanentes „blame-shifting“ den politischen Diskurs dominiert, reinigt das Selbstbild der Anhänger. Sie sind nun nicht mehr die frustrierten, ambivalenten Individuen der Spätmoderne, sondern die unschuldigen, reinen Mitglieder einer verfolgten, aber moralisch überlegenen Kampfgemeinschaft.

An diesem Punkt wird die Funktion des Führers als „pervertierter Container“ (Diamond, 2023; Zienert-Eilts, 2020) vollends sichtbar. Er hat die Ängste und die Wut nicht aufgenommen, um sie zu verdauen und zu neutralisieren. Er hat sie aufgenommen, um sie ideologisch aufzuladen, zu vergiften und in einer noch toxischeren Form auf die Feindbilder zurückzuprojizieren. Er beruhigt nicht, er hetzt.

Der dritte Schritt ist das Angebot eines neuen, grandiosen Ich-Ideals. An die Stelle des unerreichbaren und permanent frustrierenden gesellschaftlichen Ideals der perfekten Autonomie, an dem das Individuum gescheitert ist, setzt der Führer sich selbst als personifiziertes, erreichbares Ideal. Hier greift Freuds (1921) klassisches Modell der Massenbildung in seiner reinsten Form. Der Führer inszeniert sich als die Verkörperung genau jener Eigenschaften, deren Mangel die Anhänger in sich selbst so schmerzhaft spüren: absolute Souveränität, unerschütterliche Stärke, Reichtum, rücksichtsloser Wille und vor allem eine völlige Immunität gegenüber Scham und Kritik. Er ist derjenige, der sich nicht an die Regeln hält, der sagt, was er will, und der damit durchkommt. Durch die libidinöse Bindung an ihn, durch die Identifikation mit seiner Figur, können die Anhänger stellvertretend an seiner imaginierten Allmacht teilhaben und so ihre eigene Ohnmacht kompensieren. Die Unterwerfung unter den Führer wird so paradoxerweise zur höchsten Form der Selbstermächtigung. Man ist nicht mehr das isolierte, gescheiterte Individuum, sondern Teil eines mächtigen Kollektivs, das im Führer seine glorreiche Spitze findet.

Der vierte und vielleicht mächtigste Schritt ist die Lizenzierung und Organisation der Jouissance. Der Führer bietet nicht nur eine Abwehr gegen Unlust (Angst, Scham), sondern eine Quelle intensiver, exzessiver Lust. Er schafft rituelle Räume – die Massenkundgebung, die Online-Echokammer –, in denen die bisher verbotenen und mit Scham besetzten Affekte wie Hass, Rachsucht und Schadenfreude kollektiv und lustvoll ausgelebt werden dürfen. Hier wird die von Lacan (1973) und Žižek (1991) beschriebene Logik des transgressiven Genusses politisch wirksam. Die Transgression, der Bruch mit den als heuchlerisch und repressiv empfundenen Normen der „politischen Korrektheit“, wird selbst zur zentralen Quelle des Genusses. Die Jouissance, die aus dem gemeinsamen Hass, der Demütigung des Gegners und dem Gefühl der eigenen moralischen Enthemmung entsteht, ist der affektive Kitt, der die Gemeinschaft zusammenschweißt. Sie ist eine weit stärkere Bindung als jede rationale Übereinstimmung, weil sie eine tief sitzende, libidinöse Befriedigung bietet, die fast süchtig machen kann.

Daraus ergibt sich, dass der populistische Führer die narzisstische Wunde seiner Anhänger nicht heilt, indem er sie schließt – was eine schmerzhafte Auseinandersetzung mit den realen Widersprüchen der Spätmoderne und der eigenen Verletzlichkeit erfordern würde. Stattdessen instrumentalisiert er die Wunde. Er verwandelt sie in ein chronisches Geschwür der paranoiden Aggression, der grandiosen Abwehr und des lustvollen Ressentiments. Er macht die Kränkung selbst zur permanenten Grundlage einer neuen, negativen, aber hochgradig kohäsiven und affektiv befriedigenden Gruppenidentität. Das Ergebnis ist eine unerschütterliche libidinöse Bindung, die nicht auf rationaler Zustimmung beruht, sondern auf der gemeinsamen Abwehr einer unerträglichen psychischen Realität.

Die autoritäre Wende erscheint aus dieser Perspektive nicht mehr primär als das Ergebnis politischer Strategien oder ökonomischer Verwerfungen. Vielmehr erweist sie sich als das manifest gewordene Symptom einer tiefen Krise der Subjektivität in der Spätmoderne, die in der Figur des autoritären Populisten ihren ebenso charismatischen wie verheerenden Meister gefunden hat. Diese Diagnose der psycho-sozialen Pathologie der Gegenwart wirft jedoch eine entscheidende Frage auf: Wenn dies der Befund ist, welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Verteidigung und Stärkung der demokratischen Resilienz?

Teil V: Schlussfolgerungen – Von der psychoanalytischen Diagnose zur demokratischen Resilienz

Die vorangegangene Analyse hat die autoritäre Wende als ein tiefgreifendes psycho-soziales Symptom der Spätmoderne diagnostiziert. Sie ist das Ergebnis einer toxischen Resonanz zwischen den regressiven Angeboten populistischer Führer und der weit verbreiteten psychischen Notlage einer von Autonomieansprüchen und Ohnmachtserfahrungen zerrissenen Gesellschaft – der „gekränkten Freiheit“. Diese Diagnose kann jedoch nicht der Endpunkt der Untersuchung sein. Sie provoziert unweigerlich die Frage: Was folgt daraus? Wenn die Wurzeln der demokratischen Krise so tief in der unbewussten Affektökonomie der Gesellschaft liegen, welche Wege zur Stärkung der demokratischen Resilienz bleiben dann überhaupt?

Eine einfache Antwort gibt es nicht. Vielmehr erzwingt die Tiefe der Diagnose eine ebenso tiefgreifende Reflexion über mögliche Gegenstrategien. Im Folgenden wird dieser Reflexionsprozess in drei Schritten nachgezeichnet. Der erste Schritt formuliert, ausgehend von der psychoanalytischen Diagnose, einen pragmatischen, lösungsorientierten Ansatz (5.1). Der zweite Schritt unterzieht genau diesen Ansatz einer kritischen Selbstbefragung und beleuchtet seine inneren Widersprüche und Gefahren (5.2). Der dritte und letzte Schritt wagt, auf dieser komplexeren Basis, einen prognostischen Ausblick auf die möglichen Zukunftsszenarien, zwischen denen sich die liberalen Demokratien entscheiden müssen (5.3).

Der pragmatische Horizont: Ein Handbuch für demokratisches „Containment“

Synthese der Kerndiagnose: Die autoritäre Wende als psycho-soziales Symptom

Die Analyse hat ein komplexes, aber kohärentes Bild der psychodynamischen Architektur gezeichnet, die der gegenwärtigen autoritären Wende zugrunde liegt. Die zentrale These, die sich aus der Verknüpfung der verschiedenen theoretischen Stränge und der Analyse der Fallbeispiele ergibt, lautet: Die Krise der liberalen Demokratie ist fundamental das Symptom einer destruktiv-symbiotischen Passung zwischen einem spezifischen politischen Angebot und einer spezifischen gesellschaftlichen Nachfrage. Es ist das fatale Ineinandergreifen einer psychischen Notlage in der Bevölkerung und einer Führungsstrategie, die diese Notlage nicht heilt, sondern ausbeutet und vertieft.

Auf der Seite der Nachfrage steht das Phänomen der „gekränkten Freiheit“, wie es von Amlinger und Nachtwey (2022) beschrieben wurde. Die spätmoderne, neoliberal geprägte Gesellschaft erzeugt einen Subjekttypus, der durch einen unauflöslichen Widerspruch strukturiert ist: Einem internalisierten, kulturellen Imperativ zu radikaler Autonomie, Selbstverwirklichung und Souveränität steht die reale, alltägliche Erfahrung von Abhängigkeit, Kontrollverlust und Ohnmacht gegenüber globalisierten Märkten, undurchschaubaren Krisen und epistemischer Unsicherheit gegenüber. Diese permanente Diskrepanz zwischen dem grandiosen Ich-Ideal und der erlebten Realität führt zu einer tiefen narzisstischen Kränkung. Diese Kränkung wiederum wird psychisch nicht als soziales Problem, sondern als persönliches Versagen erlebt, was zu Gefühlen von Scham und Unzulänglichkeit führt. Um diese unerträglichen Affekte abzuwehren, werden sie in einen chronischen, moralisierten Groll umgewandelt: das Ressentiment. Dieses Ressentiment, analysiert von Illouz (2023) und Fleury (2020), ist der zentrale Affekt, der nach einem politischen Ventil sucht. Aus dieser Gemengelage entsteht der paradoxe Charaktertypus des „libertären Autoritarismus“: eine Haltung, die im Namen der absoluten, individuellen Freiheit jede Form von gesellschaftlicher Bindung, Norm oder komplexer Realität als feindlichen Angriff abwehrt und in eine regressive „Rebellion gegen die Realität“ flieht.

Auf der Seite des Angebots steht der populistische Führer, der eine passgenaue, wenn auch pathologische, Lösung für genau diese Notlage anbietet. Seine Funktionsweise lässt sich am präzisesten mit dem Konzept des „pervertierten Containing“ (Zienert-Eilts, 2020; Diamond, 2023) beschreiben. Im Gegensatz zu einer demokratischen Führung, die als „Container“ (Bion, 1962) fungiert, um kollektive Ängste zu beruhigen und zu verarbeiten, pervertiert der populistische Führer diese Funktion. Er nimmt die rohen Affekte seiner Anhänger – ihre Angst, ihre Scham, ihr Ressentiment – nicht auf, um sie zu entgiften. Stattdessen validiert er sie, lädt sie ideologisch auf und projiziert sie in einer noch toxischeren Form auf konstruierte Sündenböcke zurück. Er nutzt dabei die primitiven Abwehrmechanismen der Spaltung und Projektion (Klein, 1946), um die Welt in ein simples Drama aus unschuldigen Opfern (seinen Anhängern) und dämonischen Tätern (den Eliten, den Fremden) zu verwandeln. Er bietet sich selbst als externalisiertes Ich-Ideal (Freud, 1921) an – eine Figur narzisstischer Allmacht, mit der sich die ohnmächtigen Anhänger identifizieren können, um ihre eigene Schwäche zu kompensieren.

Diese destruktive Dynamik wird schließlich durch die Organisation einer kollektiven Jouissance (Lacan, 1973; Žižek, 1991) zementiert. Die Bindung an den Führer und die Bewegung ist keine rein negative Flucht vor der Angst, sondern eine positive, lustvolle Erfahrung. Der Führer lizenziert und inszeniert den gemeinsamen, transgressiven Genuss am Bruch von Normen, an der Demütigung des Gegners und an der aggressiven Entladung des aufgestauten Ressentiments. Diese Jouissance ist der libidinale Kitt, der die Gemeinschaft zusammenschweißt und sie gegen rationale Argumente immunisiert.

Das Hauptargument dieses Artikels lässt sich somit in einer einzigen Formel zusammenfassen: Die autoritäre Wende ist das Ergebnis einer toxischen Wechselwirkung, in der die psychische Disposition der „gekränkten Freiheit“ einen perfekten Resonanzboden für die Führungsstrategie des „pervertierten Containing“ bietet. Die eine Seite liefert die unbewusste Nachfrage nach narzisstischer Entlastung und Aggressionsabfuhr; die andere Seite liefert das politische Angebot, das genau diese Nachfrage bedient. Das Ergebnis ist ein sich selbst verstärkender, regressiver Kreislauf, der die psychischen Grundlagen der Demokratie – Realitätsprüfung, Empathie, Ambiguitätstoleranz – systematisch untergräbt. Diese Diagnose ist jedoch nicht nur eine Beschreibung eines pathologischen Zustands. Indem sie die spezifischen Mechanismen der Destruktion benennt, liefert sie zugleich die Blaupause für mögliche Gegenstrategien. Wenn der Kern des Problems in der Perversion von Containment, der Ausagierung von Ressentiment und der Erosion psychischer Kompetenzen liegt, dann müssen die Lösungsansätze genau dort ansetzen.

Die Logik des Antidots: Vom Problem zur Lösung

Eine psychoanalytische Diagnose, die im bloßen Aufzeigen der Pathologie verharrt, bliebe unvollständig und letztlich akademisch. Die Stärke des hier entwickelten Modells liegt jedoch darin, dass es durch die präzise Benennung der dysfunktionalen Mechanismen implizit bereits die Ansatzpunkte für eine mögliche Intervention aufzeigt. Wenn die autoritäre Wende als ein spezifisches psycho-soziales Syndrom verstanden wird, dann müssen wirksame Gegenstrategien auf einer Art „politischer Psychotherapie“ im weitesten Sinne beruhen: Sie müssen die pathologischen Kreisläufe gezielt unterbrechen und durch reifere, konstruktivere Modi der Verarbeitung ersetzen.

Die Logik des Antidots folgt direkt aus der Diagnose. Jedem zentralen Mechanismus der autoritären Dynamik lässt sich ein spezifisches, funktionales Gegenmittel zuordnen. Diese Gegenmittel sind nicht einfach nur Appelle an „mehr Vernunft“ oder „bessere Fakten“, da diese oft an der affektiven Logik der Kränkung und der Jouissance abprallen. Vielmehr handelt es sich um Strategien, die selbst auf einer tiefenpsychologischen Ebene ansetzen und versuchen, die affektive Ökonomie der Gesellschaft in eine demokratieförderliche Richtung zu lenken.

Aus der vorangegangenen Analyse ergibt sich erstens die Notwendigkeit, dem Mechanismus des pervertierten Containing, der Angst schürt und kanalisiert, die Praxis des politischen Containment entgegenzusetzen. Wenn die Wurzel des Problems eine unerträgliche kollektive Angst ist, kann die Antwort nicht darin liegen, diese Angst zu ignorieren oder zu verspotten. Vielmehr müssen demokratische Führungskräfte und Institutionen lernen, die Funktion des Bion’schen Containers (Bion, 1962) bewusst und kompetent auszuüben: die Fähigkeit, gesellschaftliche Ängste anzuerkennen, zu halten, zu verarbeiten und in konstruktives Handeln zu überführen.

Zweitens muss dem Mechanismus des ausagierten Ressentiments, der Kränkungen in Hass auf Sündenböcke verwandelt, die Institutionalisierung von „Ressentiment-Arbeit“ entgegengesetzt werden. Wenn die treibende Kraft der Bewegung ein tief sitzender Groll über wahrgenommene Missachtung und Ungerechtigkeit ist, kann die Antwort nicht in der moralischen Verurteilung dieses Grolls liegen. Vielmehr bedarf es, wie von Theoretikern wie Cynthia Fleury (2020) gefordert, der Schaffung von gesellschaftlichen Räumen, in denen diese Kränkungen artikuliert, anerkannt und in legitime politische Forderungen nach Gerechtigkeit und Teilhabe transformiert werden können, anstatt in destruktive Feindseligkeit zu münden.

Drittens muss dem Mechanismus der regressiven Abwehr, der Individuen in simple, manichäische Weltbilder und autoritäre Abhängigkeiten flüchten lässt, eine langfristige Strategie zur Stärkung psychischer Kompetenzen entgegengesetzt werden. Wenn die Anfälligkeit für autoritäre Verführungen in einer geschwächten Fähigkeit zur Verarbeitung von Komplexität, Ambivalenz und narzisstischer Kränkung wurzelt, muss die demokratische Bildung genau hier ansetzen. Das Ziel muss die Kultivierung jener „Ich-Funktionen“ sein, die für eine reife demokratische Bürgerschaft unerlässlich sind, wie Ambiguitätstoleranz und Mentalisierungsfähigkeit (Fonagy et al., 2002).

Diese drei Interventionsfelder bilden zusammen eine integrierte Strategie zur Förderung demokratischer Resilienz. Sie zielen nicht darauf ab, Emotionen aus der Politik zu verbannen, sondern darauf, die Art und Weise zu verändern, wie eine Gesellschaft mit ihren unvermeidlichen Ängsten, Kränkungen und Konflikten umgeht. Im Folgenden werden diese drei Interventionspfade nun im Detail ausgeführt.

Intervention 1: Die Praxis des politischen Containment

Die erste und unmittelbarste Implikation der psychoanalytischen Diagnose betrifft die Rolle und Praxis politischer Führung in Krisenzeiten. Wenn der Erfolg des Populismus zu einem wesentlichen Teil auf der Perversion der Containment-Funktion beruht, dann muss die Stärkung der Demokratie mit der Wiederherstellung eines gesunden, demokratischen Containments beginnen. Dies ist keine Frage des politischen Programms, sondern des politischen Stils und der kommunikativen Kompetenz. Es geht darum, die Kunst wiederzuerlernen, eine Gesellschaft durch Angst und Unsicherheit zu führen, ohne sie dabei in Regression und Spaltung zu treiben. Die Arbeiten von Wilfred Bion (1962) und deren Anwendung in der adaptiven Führungstheorie (Heifetz, 1994) und der Krisenkommunikationsforschung (vgl. Boin et al., 2005) liefern hierfür eine präzise Anleitung.

Die Kernaufgabe des demokratischen Containment besteht darin, ein „Holding Environment“ zu schaffen – einen psychologischen Raum, der, wie Heifetz es formuliert, „sicher genug ist, dass eine Person das Problem nicht vermeiden kann, aber unbequem genug, dass sie sich mit einer neuen Seinsweise auseinandersetzen muss“. Übertragen auf die Gesellschaft bedeutet dies: Eine Führungskraft muss in der Lage sein, den Grad an kollektivem Stress und Angst so zu regulieren, dass die Gesellschaft weder in panische, regressive Abwehr (zu viel Stress) noch in selbstgefällige Verleugnung (zu wenig Stress) verfällt. Das Ziel ist ein Zustand „produktiver Anspannung“, in dem die Gesellschaft fähig bleibt, als „Arbeitsgruppe“ (Bion, 1961) an der realen und oft schmerzhaften Bewältigung ihrer adaptiven Herausforderungen zu arbeiten.

Diese abstrakte Funktion lässt sich in konkrete, beobachtbare Kommunikationsstrategien übersetzen, die das direkte Gegenteil der populistischen Rhetorik darstellen:

  • Anerkennung statt Instrumentalisierung von Angst: Eine containende Führungskraft beginnt damit, die Ängste, die Wut und die Verunsicherung in der Bevölkerung offen und empathisch anzuerkennen. Sie validiert die Emotionen, ohne zwangsläufig die damit verbundenen Deutungen oder Schuldzuweisungen zu bestätigen. Eine Formulierung wie „Ich verstehe, dass viele Menschen angesichts dieser Veränderungen Angst um ihren Arbeitsplatz und ihre Zukunft haben“ signalisiert Empathie und Respekt. Sie „spiegelt“ den Affekt der Bevölkerung und signalisiert: „Ich sehe euren Schmerz.“ (vgl. „Containment Leadership“-Handbuch). Dieser erste Schritt ist entscheidend, um Vertrauen aufzubauen und den Boden für eine rationale Auseinandersetzung zu bereiten. Er nimmt dem Populisten das Monopol auf die Vertretung der „Besorgten“. Im Gegensatz dazu instrumentalisiert der „pervertierte Container“ die Angst, indem er sie verstärkt und auf Sündenböcke lenkt.
  • Sinnstiftung statt Sündenbock-Narrativ: Nachdem die Angst anerkannt wurde, besteht die zweite Aufgabe darin, die komplexe und verwirrende Realität in eine kohärente und sinnstiftende Erzählung zu übersetzen. Dies bedeutet, die Ursachen einer Krise ehrlich zu benennen, die damit verbundenen Zielkonflikte und schmerzhaften Kompromisse offenzulegen und einen klaren, realistischen Weg nach vorne aufzuzeigen. Es geht darum, die rohen Beta-Elemente (diffuse Angst, widersprüchliche Informationen) in verdauliche Alpha-Elemente zu transformieren. Eine solche Erzählung bietet Orientierung und reduziert die panische Unsicherheit, die den Nährboden für Verschwörungstheorien bildet. Sie ersetzt das simple, entlastende, aber destruktive Sündenbock-Narrativ („Die Migranten sind schuld!“) durch ein komplexeres, aber letztlich handlungsbefähigendes Realitätsprinzip.
  • Transparenz statt omnipotenter Verheißung: Ein zentrales Merkmal des Containment ist die Bereitschaft, Unsicherheit und die Grenzen des eigenen Wissens und der eigenen Macht einzugestehen. Während der populistische Führer eine Phantasie der Allmacht verkauft („I alone can fix it“), kommuniziert eine containende Führungskraft offen, was bekannt ist und was nicht, welche Maßnahmen ergriffen werden und welche Risiken bleiben. Dieses Eingeständnis von Fehlbarkeit und Unsicherheit ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Akt der Stärke. Es behandelt die Bürger als mündige Erwachsene, die in der Lage sind, die Realität auszuhalten. Es untergräbt die populistische Spaltung in einen allwissenden Führer und eine passive, abhängige Masse und stärkt stattdessen das Vertrauen in die Institutionen.
  • Handlungsbefähigung statt passiver Abhängigkeit: Schließlich zielt demokratisches Containment darauf ab, die Handlungsfähigkeit (Agency) der Bürger wiederherzustellen. Anstatt sie in einer passiven, abhängigen Position zu halten, in der sie auf die Erlösung durch den Führer warten (Bions Grundannahme „Abhängigkeit“), gibt eine containende Führung „die Arbeit an die Menschen zurück“ (Heifetz, 1994). Sie zeigt konkrete, sinnvolle Handlungsmöglichkeiten auf, wie Individuen und Gemeinschaften zur Bewältigung der Krise beitragen können. Ob es sich um Energiesparmaßnahmen in einer Energiekrise oder um zivilgesellschaftliches Engagement in der Flüchtlingshilfe handelt – die Botschaft ist: „Ihr seid nicht nur ohnmächtige Opfer, ihr seid aktive Gestalter.“ Dies wirkt der erlernten Hilflosigkeit entgegen, die ein zentraler Nährboden für autoritäre Sehnsüchte ist.

Die Praxis des politischen Containment ist somit das direkte, funktionale Antidot zur Logik des pervertierten Containment. Sie zielt darauf ab, die Ich-Funktionen der Gesellschaft – Realitätsprüfung, Affektregulierung, Denkfähigkeit – zu stärken, während der Populismus sie systematisch schwächt. Sie ist eine anspruchsvolle Form der Führung, weil sie den Bürgern zumutet, Angst, Komplexität und Verantwortung auszuhalten. Aber sie ist die einzige Form der Führung, die die psychologischen Grundlagen der demokratischen Resilienz nicht untergräbt, sondern aktiv kultiviert.

Intervention 2: Die Institutionalisierung von „Ressentiment-Arbeit“

Während politisches Containment primär darauf abzielt, akute kollektive Angst zu regulieren, adressiert es nicht zwangsläufig die chronische, tiefer liegende Wunde, die der autoritären Wende als Treibstoff dient: das Ressentiment. Wie die Analyse in Teil IV gezeigt hat, speist sich der Populismus aus einer moralisierten Kränkung, dem Gefühl, von einer als illegitim empfundenen Elite betrogen, missachtet und in der eigenen Identität entwertet worden zu sein. Dieser Groll ist nicht nur eine vorübergehende Wut; er verfestigt sich zu einer stabilen, identitätsstiftenden Haltung, die immun gegenüber Fakten ist, weil sie auf einer tiefen narzisstischen Verletzung beruht. Eine demokratische Gegenstrategie, die nur auf Aufklärung und Faktenchecks setzt, muss daher scheitern. Sie adressiert die kognitive Ebene, verfehlt aber die affektive Wurzel des Problems.

Eine wirksame Strategie muss daher die Bearbeitung des Ressentiments selbst ins Zentrum rücken. Sie muss anerkennen, dass hinter der oft hasserfüllten und paranoiden Rhetorik ein legitimes Bedürfnis nach Anerkennung und ein realer Schmerz über erlittene Kränkungen (seien sie materieller oder symbolischer Natur) stehen kann. Es bedarf, wie es die Philosophin Cynthia Fleury (2020) fordert, institutionalisierter Formen der „Ressentiment-Arbeit“. Dies bedeutet die Schaffung von geschützten sozialen und politischen Räumen, in denen die aus Kränkung entstandenen Affekte artikuliert, gehört und bearbeitet werden können, anstatt sie in Hass auf Sündenböcke ausagieren zu müssen.

Herkömmliche politische Formate wie Parlamentsdebatten oder Talkshows sind hierfür ungeeignet. Sie sind oft selbst Teil des Problems, da sie auf Konfrontation, strategische Positionierung und mediale Zuspitzung ausgelegt sind. Sie reproduzieren genau jene Dynamik der Missachtung und des Nicht-Zuhörens, die das Ressentiment nährt. Was benötigt wird, sind alternative, deliberative und therapeutische Formate, die bewusst andere psychodynamische Prinzipien aktivieren.

  • Anerkennung durch Zeugnisgeben: Der erste und wichtigste Schritt in jeder Form von Ressentiment-Arbeit ist die Schaffung einer Situation, in der die erlittene Kränkung ohne Abwehr und Gegenanklage zur Sprache gebracht werden kann. Formate wie Wahrheitskommissionen, wie sie nach traumatischen Konflikten (z.B. in Südafrika) eingesetzt wurden, oder moderierte Bürgerdialoge auf lokaler Ebene basieren auf diesem Prinzip. Hier geht es zunächst nicht um Lösungsfindung, sondern um das Zeugnisgeben und das Gehörtwerden. Indem das subjektive Leid als real und legitim anerkannt wird, wird die narzisstische Wunde adressiert. Dies ist die institutionelle Entsprechung des empathischen „Spiegelns“ aus dem Containment-Modell. Für Menschen, die das Gefühl haben, ihre Stimme sei wertlos und ihre Erfahrungen zählten nicht, kann diese Erfahrung der Anerkennung ein erster, entscheidender Schritt aus der verbitterten Isolation sein.
  • Depersonalisierung der Schuld: Der zweite Schritt besteht darin, die Schuldzuweisung von personalisierten Sündenböcken auf unpersönliche, strukturelle Ursachen umzulenken. In einem moderierten Dialog kann die Erzählung von „Die korrupten Eliten/die faulen Migranten sind schuld“ schrittweise in eine komplexere Analyse von strukturellem Wandel, globalen ökonomischen Kräften oder politischen Fehlentscheidungen überführt werden. Dies ist ein entscheidender psycho-politischer Schritt: Er entlastet die affektive Ökonomie, indem er den Hass von einem konkreten, personalisierten Objekt löst und in eine Auseinandersetzung mit abstrakten, aber realen Problemen überführt. Die Energie des Ressentiments wird so von einer destruktiven, feindseligen Haltung in eine potenziell konstruktive, politische Forderung nach systemischer Veränderung transformiert.
  • Herstellung von Handlungsfähigkeit (Agency): Der dritte und letzte Schritt ist die Wiederherstellung des Gefühls von Handlungsfähigkeit. Ressentiment gedeiht in der Ohnmacht. Daher müssen die geschaffenen Räume mehr sein als nur „Klagemauern“. Sie müssen den Teilnehmern reale, wenn auch begrenzte, Gestaltungsmacht geben. Instrumente wie Bürgerräte (Citizens‘ Assemblies), bei denen zufällig ausgewählte Bürger nach intensiver Beratung konkrete Politikempfehlungen erarbeiten, sind hierfür ein vielversprechendes Modell (Fishkin, 2018). Selbst wenn die Empfehlungen nicht eins zu eins umgesetzt werden, macht der Prozess selbst eine entscheidende psychologische Erfahrung möglich: Die eigene Meinung wird ernst genommen, man wird vom Objekt politischer Entscheidungen zum Subjekt des politischen Prozesses. Diese Erfahrung von Selbstwirksamkeit ist das direkteste Antidot gegen das lähmende Gefühl der Ohnmacht, das den Kern des Ressentiments ausmacht.

Die Institutionalisierung von Ressentiment-Arbeit ist somit eine entscheidende strukturelle Ergänzung zur kommunikativen Praxis des Containment. Sie schafft die notwendigen „sozialen Container“, in denen die toxischen Affekte, die die Gesellschaft spalten, nicht nur kurzfristig eingedämmt, sondern langfristig bearbeitet und transformiert werden können. Es ist der Versuch, auf gesellschaftlicher Ebene einen Prozess zu etablieren, der in der individuellen Therapie als „Durcharbeiten“ bekannt ist: die schmerzhafte, aber notwendige Konfrontation mit verletzten Gefühlen, um sich aus ihrer zwanghaften Wiederholung zu befreien.

Intervention 3: Die Kultivierung psychischer Kompetenzen

Die Praxis des politischen Containment und die Institutionalisierung von Ressentiment-Arbeit sind notwendige Reaktionen auf eine bereits eskalierte psycho-politische Krise. Sie sind Formen der Symptombekämpfung. Eine nachhaltige Stärkung der demokratischen Resilienz muss jedoch tiefer ansetzen: bei den zugrundeliegenden psychischen Dispositionen, die eine Gesellschaft überhaupt erst anfällig für die regressiven Angebote des Autoritarismus machen. Wenn, wie die Diagnose in Teil IV nahelegt, die autoritäre Wende auf einer geschwächten Fähigkeit des kollektiven Ichs beruht, mit den Belastungen der Spätmoderne – Komplexität, Ambivalenz, narzisstische Kränkung – umzugehen, dann muss eine langfristige Präventionsstrategie auf die Stärkung genau dieser „Ich-Funktionen“ der Bürgerschaft zielen. Dies ist primär eine Aufgabe der politischen Bildung, verstanden nicht nur als Wissensvermittlung, sondern als bewusste Kultivierung psychischer Kernkompetenzen.

Die traditionelle demokratische Bildung konzentriert sich oft auf die Vermittlung von institutionellem Wissen (Wie funktioniert das Parlament?) und normativen Werten (Freiheit, Gleichheit, Toleranz). Diese ist unerlässlich, aber unzureichend. Sie übersieht oft die affektive und unbewusste Dimension des Politischen. Sie geht davon aus, dass das Wissen um demokratische Werte automatisch zu demokratischem Verhalten führt, ignoriert aber die psychischen Bedingungen, die es einem Individuum überhaupt erst ermöglichen, diese Werte in Zeiten von Angst und Stress aufrechtzuerhalten. Eine psychoanalytisch informierte Bildungsperspektive würde daher den Fokus auf die Förderung von zwei zentralen, miteinander verbundenen psychischen Fähigkeiten legen:

Erstens, die Ambiguitätstoleranz. Dieses Konzept, das ursprünglich aus der psychoanalytischen Ich-Psychologie stammt (Frenkel-Brunswik, 1949), beschreibt die Fähigkeit eines Individuums, mehrdeutige, widersprüchliche oder unklare Situationen und Informationen wahrzunehmen und auszuhalten, ohne in vorschnelle, rigide Urteile oder simplifizierende Schwarz-Weiß-Schemata zu flüchten. Eine hohe Ambiguitätstoleranz ist die psychische Grundvoraussetzung für das Leben in einer liberalen, pluralistischen Demokratie. Demokratie ist der institutionalisierte Umgang mit unauflösbaren Widersprüchen: dem Konflikt zwischen Freiheit und Gleichheit, zwischen Individuum und Gemeinschaft, zwischen widerstreitenden Interessen und Werten. Eine Person mit geringer Ambiguitätstoleranz wird diesen Zustand permanenter Spannung und Ungewissheit als unerträglich empfinden. Sie sehnt sich nach Eindeutigkeit, Klarheit und endgültigen Lösungen. Genau dieses Bedürfnis bedient die autoritäre Rhetorik mit ihrer radikalen Spaltung der Welt in Gut und Böse. Die Förderung von Ambiguitätstoleranz in Bildungsprozessen – etwa durch die Analyse komplexer historischer Ereignisse aus multiplen Perspektiven, durch die Diskussion ethischer Dilemmata ohne einfache Lösung oder durch die Konfrontation mit widersprüchlichen wissenschaftlichen Befunden – ist somit ein direktes „Training“ des demokratischen Muskels. Es ist eine Immunisierung gegen die verführerische Simplizität autoritärer Narrative.

Zweitens, die Mentalisierungsfähigkeit. Dieses von Peter Fonagy und seinen Kollegen entwickelte Konzept (Fonagy et al., 2002) beschreibt die Fähigkeit, das eigene Verhalten und das Verhalten anderer auf der Basis von zugrundeliegenden mentalen Zuständen – also von Absichten, Gefühlen, Wünschen und Überzeugungen – zu interpretieren. Mentalisieren bedeutet, den Anderen als ein Subjekt mit einer eigenen, legitimen Innenwelt wahrzunehmen, selbst wenn man mit seinem Handeln nicht einverstanden ist. Ein Versagen der Mentalisierungsfähigkeit führt dazu, dass das Verhalten des Anderen nicht mehr verstanden, sondern nur noch als böswillig, irrational oder bedrohlich erlebt wird. Der politische Gegner hat keine anderen Gründe, er ist einfach nur „korrupt“, „dumm“ oder „böse“. Dies ist die psychische Grundlage für die Dehumanisierung des politischen Gegners und die Erosion jeder Form von Empathie. Die populistische Rhetorik, die den Gegner systematisch entmenschlicht und ihm jede legitime Motivation abspricht, ist ein permanenter Angriff auf die Mentalisierungsfähigkeit der Gesellschaft. Die gezielte Förderung dieser Kompetenz im Bildungssystem – durch Rollenspiele, Debattenformate, die zum Perspektivwechsel zwingen, oder die Analyse von Literatur und Geschichte aus der Perspektive verschiedener Akteure – ist daher von zentraler politischer Bedeutung. Sie ist die Grundlage für die Fähigkeit zum Dialog und zum Kompromiss. Eine Gesellschaft, die nicht mehr mentalisieren kann, kann nicht mehr deliberieren; sie kann nur noch kämpfen.

Die Stärkung dieser beiden psychischen Kompetenzen – Ambiguitätstoleranz und Mentalisierungsfähigkeit – ist die langfristigste, aber vielleicht nachhaltigste Form der demokratischen Resilienzbildung. Sie zielt darauf ab, ein kollektives Ich zu kultivieren, das stark genug ist, die Spannungen und Ängste der modernen Welt auszuhalten, ohne in die primitiven Abwehrmechanismen der Spaltung und Projektion zu regredieren. Sie rüstet die Bürger psychisch für die Realität der Demokratie, die kein Zustand der Harmonie ist, sondern ein permanenter, oft anstrengender Prozess der Aushandlung von Differenz. Eine solche Bildung wäre die ultimative Form des Containment: Sie würde die „Container“-Fähigkeit nicht nur bei der Führung, sondern in der Gesellschaft selbst verankern.

Der kritische Einwand: Die Dialektik der Gegenstrategien und die Grenzen der „Therapie“

Der in Abschnitt 5.1 skizzierte pragmatische Ansatz, der aus der psychoanalytischen Diagnose eine Art politisches Therapieprogramm ableitet, ist verlockend. Er suggeriert, dass es für die Pathologien der autoritären Wende auch passende Heilmittel gibt. Diese Perspektive ist notwendig, um dem Gefühl der Ohnmacht zu entgehen und konstruktive Handlungspfade aufzuzeigen. Dennoch birgt sie bei einer unkritischen Anwendung erhebliche Gefahren und innere Widersprüche. Eine Analyse, die sich selbst als tiefenpsychologisch versteht, muss sich auch der unbewussten Fallstricke und der dialektischen Kehrseiten ihrer eigenen Lösungsvorschläge bewusst sein. Die „Demokratie auf die Couch zu legen“ ist eine machtvolle Metapher, aber sie kann selbst zu einer problematischen Phantasie werden.

Die psychoanalytische Tradition, insbesondere in der Linie der Kritischen Theorie, war immer auch eine Tradition der radikalen Selbstkritik. Sie hat stets davor gewarnt, dass die Werkzeuge der Aufklärung selbst zu neuen Instrumenten der Herrschaft werden können. In diesem Sinne muss jede Diskussion über eine „therapeutische“ Politik für die Demokratie auch eine Diskussion über die potenziellen Pathologien dieser Therapie selbst sein. Im Folgenden werden die drei vorgeschlagenen Interventionsfelder – Containment, Ressentiment-Arbeit und psychische Bildung – einer solchen kritischen Prüfung unterzogen.

Die Ambivalenz des politischen Containment: Zwischen Beruhigung und Entpolitisierung

Das Konzept des politischen Containment erscheint auf den ersten Blick als das unzweideutige Gegenmodell zum destruktiven Populismus. Es verspricht eine reife, erwachsene Form der Führung, die Ängste beruhigt, anstatt sie zu schüren, und die Rationalität fördert, anstatt sie zu untergraben. Bei genauerer Betrachtung erweist sich das Konzept jedoch als zutiefst ambivalent. Seine Anwendung in der politischen Arena birgt die permanente Gefahr, von einem Instrument der Deeskalation in ein Instrument der Entpolitisierung und der Stabilisierung des Status quo umzuschlagen.

Die zentrale Gefahr des Containment liegt in seiner potenziell paternalistischen und beruhigenden Funktion. Wann wird die legitime und notwendige Beruhigung toxischer, panischer Affekte zu einer illegitimen Entpolitisierung von realen, strukturellen Konflikten? Die psychoanalytische Funktion des Containers besteht darin, rohe Beta-Elemente in denkbare Alpha-Elemente zu transformieren. Politisch übersetzt könnte dies jedoch bedeuten, dass die rohe, unartikulierte, aber legitime Wut über soziale Ungerechtigkeit (ein Beta-Element) in eine beruhigte, in den etablierten Diskurs integrierte und damit entschärfte Sorge (ein Alpha-Element) „übersetzt“ wird. Der „gute Container“ könnte so zu einer Figur werden, die zwar Empathie zeigt („Ich höre eure Wut“), aber letztlich nur darauf abzielt, die Systemstabilität zu wahren, indem sie disruptive Energien neutralisiert. Der Ruf nach „Containment“ kann so, bewusst oder unbewusst, zu einer konservativen Strategie werden, die radikalen, aber notwendigen Wandel verhindert unter dem Vorwand, die gesellschaftliche „Überhitzung“ zu vermeiden.

Hier zeigt sich die kritische Grenze des Konzepts: Es muss scharf unterschieden werden zwischen der Pathologisierung von Affekten und der Anerkennung von realen, Wut rechtfertigenden Antagonismen. Nicht jede Form von kollektiver Wut ist ein regressiver Ausbruch, der „contained“ werden muss. Oft ist sie eine angemessene und notwendige Reaktion auf reale Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Die feministische Wut auf das Patriarchat, die antirassistische Wut auf systemische Gewalt oder die Wut der Klimabewegung auf die Untätigkeit der Politik sind keine Beta-Elemente, die verdaut werden müssen, sondern der Motor emanzipatorischer Politik. Eine „Containment“-Rhetorik, die diese Wut nur „verstehen“ und „kanalisieren“ will, um die öffentliche Ordnung nicht zu gefährden, wird zu einem Instrument der Herrschaftssicherung. Sie verwechselt die Funktion eines Therapeuten, der einem Individuum hilft, mit seinen Affekten umzugehen, mit der eines Staates, der die Pflicht hat, auf legitime Forderungen nach Gerechtigkeit zu reagieren.

Die Anwendung des Containment-Konzepts in der Politik erfordert daher eine permanente, kritische Selbstbefragung: Wer definiert, welche Ängste „irrational“ sind und beruhigt werden müssen, und welche sind „legitim“ und müssen zu politischem Handeln führen? Werden die „richtigen“ Ängste contained (z.B. rassistische Panik) und die „falschen“ ignoriert (z.B. die Angst vor Polizeigewalt)? Die Gefahr besteht, dass „Containment“ zu einer selektiven affektiven Verwaltungstechnik wird, die systemkonforme Emotionen fördert und systemkritische Emotionen pathologisiert. Ohne diese kritische Dimension kann das gut gemeinte Konzept des Containment paradoxerweise genau das befördern, was es zu bekämpfen vorgibt: die Entmündigung der Bürger und die Zementierung einer ungerechten Ordnung unter dem Deckmantel der psychologischen Fürsorge.

Die Aporie der „Ressentiment-Arbeit“: Zwischen Anerkennung und Verfestigung

Auf den ersten Blick erscheint die Forderung nach institutionalisierter „Ressentiment-Arbeit“ als der humanistische Kern einer demokratischen Gegenstrategie. Anstatt den Groll der Abgehängten moralisch zu verurteilen oder rational zu ignorieren, soll ihm ein Raum der Anerkennung gegeben werden. Die Idee ist, dass durch das empathische Zuhören und Validieren der erlittenen Kränkung die toxische, verbitterte Energie des Ressentiments in eine konstruktive politische Kraft transformiert werden kann. Dieser Ansatz, der therapeutische Prinzipien in die politische Arena überträgt, ist jedoch bei genauerer Betrachtung mit einer tiefen Aporie behaftet: Er birgt die Gefahr, genau jenen pathologischen Zustand zu verfestigen, den er eigentlich zu überwinden sucht.

Das zentrale Problem liegt in der ambivalenten Natur der Anerkennung selbst. Ressentiment, wie es von Nietzsche (1887) analysiert wurde, ist eine Sklavenmoral, die ihre Identität und ihren Stolz negativ, aus der Abgrenzung und Abwertung des „Anderen“, bezieht. Die Identität als „Opfer“ einer böswilligen Macht ist nicht nur eine Beschreibung des Leids, sie ist zugleich eine Quelle narzisstischer Gratifikation. Sie verleiht moralische Überlegenheit, entbindet von Selbstkritik und schafft eine starke, negative Gemeinschaft der Leidenden. Was passiert nun, wenn diese Opferidentität durch wohlmeinende „Ressentiment-Arbeit“ offiziell anerkannt und validiert wird?

Im schlimmsten Fall kann dieser Akt der Anerkennung paradoxerweise dazu führen, den Opferstatus narzisstisch zu verfestigen, anstatt ihn aufzulösen. Wenn der einzige verbliebene Stolz darin besteht, ein moralisch überlegenes Opfer zu sein, kann das Angebot, diesen Status aufzugeben, als eine weitere Kränkung – als ein „Gaslighting“ – erlebt werden. Die institutionalisierte Thematisierung von Kränkungen kann zu einem endlosen Ritual der Selbstbestätigung werden, in dem die Gruppe sich in ihrem Leiden einrichtet. Jede Aufforderung, nun auch die Perspektive des „Täters“ zu sehen oder die eigenen Anteile am Konflikt zu reflektieren, wird als Verrat und als erneute Missachtung abgewehrt. Die „Ressentiment-Arbeit“ kann so zu einer „Echokammer des Leids“ werden, die die Spaltung vertieft, anstatt sie zu überbrücken. Sie läuft Gefahr, die Jouissance, den unbewussten Genuss am eigenen Opfersein und am Hass auf den Täter, weiter zu nähren, anstatt sie zu durchbrechen.

Diese Aporie wird noch deutlicher, wenn man die politische Ökonomie der Anerkennung betrachtet. Die psychoanalytische Diagnose des Ressentiments als Folge einer narzisstischen Kränkung muss immer im Kontext der realen, materiellen Ungleichheiten gesehen werden. Die Kränkung der „vergessenen Männer und Frauen“ im Rust Belt ist nicht nur eine symbolische, sondern eine sehr reale Erfahrung von ökonomischem Verlust und sozialer Deklassierung. Wenn „Ressentiment-Arbeit“ nun primär als ein symbolischer Akt der Anerkennung betrieben wird – durch Dialogforen und empathisches Zuhören –, während die zugrundeliegenden materiellen Ungerechtigkeiten bestehen bleiben, wirkt sie zynisch und unglaubwürdig.

Anerkennung ohne materielle Gerechtigkeit und Machtumverteilung ist leere Geste. Sie kann als Versuch der Eliten wahrgenommen werden, die Wut der Benachteiligten durch symbolische Zuwendung zu besänftigen, ohne die eigenen Privilegien antasten zu müssen. In diesem Fall würde die „Ressentiment-Arbeit“ das Ressentiment am Ende sogar noch verstärken. Sie würde den Verdacht bestätigen, dass „die da oben“ nicht an realen Lösungen, sondern nur an der pazifizierenden Verwaltung des Protests interessiert sind.

Wirksame „Ressentiment-Arbeit“ muss daher immer ein doppelter Prozess sein: Sie muss die psychische Ebene der Anerkennung mit der politischen Ebene der Gerechtigkeit verbinden. Das Zuhören muss in konkrete, materielle Politik münden, die die Ursachen des Grolls adressiert. Alles andere läuft Gefahr, eine Form des paternalistischen „Therapeutisierens“ zu werden, das die politische Auseinandersetzung um Macht und Ressourcen durch einen psychologischen Dialog ersetzt und damit letztlich die bestehenden Machtverhältnisse stabilisiert. Die große Herausforderung besteht darin, einen Weg zu finden, die Kränkung anzuerkennen, ohne die Opferidentität zu zementieren, und Empathie zu zeigen, ohne die Notwendigkeit von radikalen politischen Veränderungen zu leugnen.

Die Grenzen der Psycho-Politik: Die Warnung vor dem „Psychologismus“

Die dritte vorgeschlagene Interventionsstrategie – die Kultivierung psychischer Kompetenzen wie Ambiguitätstoleranz und Mentalisierungsfähigkeit – erscheint als der fundamentalste und langfristig ambitionierteste Ansatz. Er zielt darauf ab, die psychische „Software“ der Bürger so zu „upgraden“, dass sie gegen die „Viren“ populistischer Vereinfachung immun werden. So verlockend dieser Gedanke einer psychischen Aufrüstung der Demokratie auch sein mag, so sehr birgt er bei näherer Betrachtung die tiefgreifende Gefahr des „Psychologismus“: die Tendenz, strukturelle politische und ökonomische Probleme in individuelle oder kollektive psychische Defizite umzudeuten.

Die zentrale Gefahr liegt in einer subtilen, aber folgenreichen Verschiebung der Kausalität. Wenn die Unfähigkeit, mit den komplexen Folgen der Globalisierung umzugehen, primär als Mangel an „Ambiguitätstoleranz“ diagnostiziert wird, wird ein politisch-ökonomisches Problem zu einem psychologischen Charakterfehler. Die Wut über wachsende Ungleichheit und prekäre Arbeitsverhältnisse erscheint dann nicht mehr als legitime Reaktion auf systemische Ungerechtigkeit, sondern als Symptom einer unzureichend entwickelten „Mentalisierungsfähigkeit“, die es nicht erlaubt, die komplexe Perspektive der globalen Eliten zu verstehen.

Dieser psycho-politische Diskurs kann, selbst wenn er in bester Absicht geführt wird, eine zutiefst entpolitisierende und individualisierende Wirkung entfalten. Er läuft Gefahr, die Aufmerksamkeit von den äußeren, strukturellen Ursachen der Krise – von der Machtverteilung über die Steuerpolitik bis hin zu den Regeln des Welthandels – auf die innere Verfasstheit des Individuums abzulenken. Die Verantwortung für die Bewältigung der Krise wird damit paradoxerweise erneut auf das Individuum zurückverlagert, dessen Überforderung doch der Ausgangspunkt der Analyse war. Die implizite Botschaft lautet nicht mehr: „Das System ist ungerecht und muss geändert werden“, sondern: „Du musst an dir arbeiten, um resilienter, flexibler und ambiguitätstoleranter zu werden, damit du die Widersprüche des Systems besser aushalten kannst.“

Die Psychoanalyse wird hier, gegen ihre eigene kritische Intention, von einem Werkzeug der Herrschaftskritik zu einem Instrument der Herrschaftsstabilisierung. Sie liefert die psychotechnische Anleitung zur besseren Anpassung an pathologische Verhältnisse. Dieser Ansatz verkennt, dass Affekte wie Angst und Wut oft keine dysfunktionalen Störungen sind, die wegtherapiert werden müssen, sondern wichtige kognitive und motivationale Signale über einen Missstand in der Welt. Die Angst vor dem Klimawandel ist keine irrationale Phobie, sondern eine angemessene Reaktion auf eine reale Bedrohung. Die Wut über Korruption ist keine fehlgeleitete Aggression, sondern ein moralischer Impuls, der nach Gerechtigkeit verlangt. Eine Politik, die diese Affekte nur psychologisch „managen“ will, anstatt ihre realen Ursachen politisch zu bekämpfen, verrät den Kern demokratischer Auseinandersetzung.

Zudem muss die normative Dimension dieses Ansatzes kritisch hinterfragt werden. Wer definiert, was eine „reife“ oder „gesunde“ psychische Kompetenz ist? Könnte das Ideal des ambiguitätstoleranten, hoch-mentalisierenden Bürgers nicht selbst zur Ideologie einer kosmopolitischen, gebildeten Elite werden, die ihre eigene psychische Verfasstheit zum universellen Maßstab erklärt und die Affekte und Überzeugungen anderer als „regressiv“ oder „primitiv“ abwertet? Der Vorwurf, der politische Gegner sei „psychologisch unterentwickelt“, ist die subtilste, aber vielleicht verletzendste Form der Spaltung. Er ersetzt den politischen Kampf durch eine quasi-klinische Herabsetzung und macht einen echten Dialog unmöglich.

Die psychoanalytische Diagnose darf daher niemals die soziologische und politische Analyse ersetzen, sondern sie kann sie nur ergänzen. Ihre legitime Rolle ist die Analyse der psychischen Verarbeitung von sozialen Konflikten, nicht deren Ersetzung durch eine psychologische Diagnose. Sie kann aufzeigen, warum reale ökonomische Nöte oft in irrationale Sündenbock-Phantasien münden. Aber sie darf niemals vergessen, dass am Anfang dieser Kette die realen ökonomischen Nöte stehen. Ohne diese kritische Selbstbegrenzung wird die Psychoanalyse in der Politik zu genau dem, was ihre Kritiker ihr oft vorwerfen: ein elitärer Diskurs, der soziale Konflikte pathologisiert und damit letztlich die bestehenden Machtverhältnisse stabilisiert.

Der prognostische Ausblick: Regression oder Reife – Zwei mögliche Zukünfte der Demokratie

Die kritische Auseinandersetzung mit den vorgeschlagenen Gegenstrategien hat gezeigt, dass es keine einfachen Heilmittel für die psychischen Pathologien gibt, die die liberalen Demokratien heute heimsuchen. Jede Intervention birgt ihre eigenen dialektischen Fallstricke. Die autoritäre Wende ist ein tiefgreifendes Symptom der unauflösbaren Widersprüche der Spätmoderne. Die Psychoanalyse kann dieses Symptom deuten, aber sie kann den Widerspruch nicht auflösen.

Was sie jedoch leisten kann, ist, die Natur der Entscheidung zu beleuchten, vor der die Gesellschaften nun stehen. Aus der psychoanalytischen Diagnose ergibt sich daher keine sichere Vorhersage, aber sie erlaubt die Skizzierung zweier klarer, idealtypischer Zukunftsszenarien. Diese Szenarien sind keine deterministischen Endpunkte, sondern repräsentieren zwei unterschiedliche Modi des kollektiven Umgangs mit der Angst und der Kränkung, die unsere Zeit prägen. Die Zukunft der Demokratie wird davon abhängen, welchen dieser beiden psychischen Wege die Gesellschaften – bewusst oder unbewusst – einschlagen.

Prämisse: Die autoritäre Wende als „Wahl“ des psychischen Weges

Bevor diese Szenarien entfaltet werden, muss eine zentrale Prämisse geklärt werden, die der gesamten psychoanalytischen Perspektive zugrunde liegt: Die Hinwendung zu autoritären oder regressiven politischen Formen ist niemals ein rein passiver, mechanischer Vorgang. Sie ist, auf einer unbewussten Ebene, eine Form der Wahl. Es ist nicht die Wahl eines politischen Programms nach rationaler Abwägung, sondern die Wahl eines bestimmten Modus der psychischen Verarbeitung von Angst, Verlust und Komplexität.

Eine Gesellschaft, die mit einer unerträglichen Krise konfrontiert ist, steht vor einer fundamentalen psychischen Weggabelung. Sie kann den Weg der Realitätsprüfung und der Trauerarbeit wählen. Das bedeutet, die schmerzhaften Realitäten (Verluste, Bedrohungen, die eigene Fehlbarkeit) anzuerkennen, die damit verbundenen Affekte (Angst, Trauer, Scham) auszuhalten und durch einen mühsamen Prozess des „Durcharbeitens“ neue, an die veränderte Realität angepasste Identitäten und Handlungsstrategien zu entwickeln. Dies ist der Weg der psychischen Reife. Er ist anstrengend, schmerzhaft und erfordert ein hohes Maß an Ich-Stärke und Ambiguitätstoleranz.

Alternativ kann die Gesellschaft den Weg der regressiven Abwehr wählen. Anstatt die schmerzhafte Realität anzuerkennen, wird sie verleugnet, gespalten und auf Sündenböcke projiziert. Anstatt die Trauer über Verluste durchzuarbeiten, wird sie manisch in eine Phantasie der Wiederherstellung der verlorenen Größe umgewandelt. Anstatt Angst auszuhalten, wird sie in paranoide Aggression verkehrt. Dies ist der Weg der psychischen Regression. Er ist kurzfristig entlastend, schafft ein Gefühl der Stärke und Eindeutigkeit und bietet durch die Aggressionsabfuhr eine intensive, lustvolle Befriedigung (Jouissance). Sein Preis ist jedoch der Verlust der Realitätsprüfung und die Fixierung in einem destruktiven, sich selbst wiederholenden Kreislauf.

Die autoritäre Wende ist somit die politische Manifestation der kollektiven Wahl für den zweiten Weg. Der populistische Führer ist erfolgreich, weil er genau diesen regressiven Ausweg anbietet, ihn legitimiert und organisiert. Die entscheidende Frage für die Zukunft ist, ob die liberalen Demokratien die Kraft finden, diesen Weg zu verlassen und den anstrengenderen Pfad der psychischen Reife einzuschlagen. Aus dieser grundlegenden Alternative ergeben sich die beiden folgenden Szenarien.

Szenario A: Der Teufelskreis der permanenten Regression

Das erste und vielleicht wahrscheinlichere Szenario, das sich aus der psychoanalytischen Diagnose ergibt, ist das eines sich selbst verstärkenden, abwärts gerichteten Kreislaufs. Es beschreibt den Weg, den eine Gesellschaft einschlägt, wenn es ihren liberal-demokratischen Institutionen und ihrer Zivilgesellschaft nicht gelingt, die affektive Logik des Autoritarismus zu durchbrechen. In diesem Szenario verfestigt sich die „destruktiv-symbiotische Passung“ zwischen populistischen Führern und ihren gekränkten Anhängern zu einem stabilen, aber hochgradig dysfunktionalen politischen System. Die Gesellschaft gerät in einen Teufelskreis der permanenten Regression, in dem die pathologischen Mechanismen nicht mehr die Ausnahme, sondern die strukturelle Norm des politischen Betriebs werden.

Die treibende Kraft dieser Dynamik ist eine unaufhaltsame Eskalation. Das psycho-politische System des Populismus ist, wie dargelegt, fundamental instabil. Es basiert auf der kontinuierlichen Erzeugung und Kanalisierung negativer Affekte. Die narzisstische Kränkung, die es zu heilen verspricht, wird nie wirklich bearbeitet, sondern nur durch die Projektion auf immer neue Sündenböcke und durch die manische Inszenierung der eigenen Größe abgewehrt. Das „pervertierte Containing“ ist kein Zustand, sondern ein Prozess, der, wie Karin Zienert-Eilts (2020) betont, eine „permanente Eskalation“ erfordert, um die affektive Intensität und damit die libidinöse Bindung aufrechtzuerhalten. Das System benötigt einen ständigen Nachschub an Feinden und Krisen, um seine innere Kohäsion zu wahren. Die Jouissance, die lustvolle Energie, die aus der Transgression gewonnen wird, nutzt sich ab. Der Tabubruch von gestern ist die Normalität von heute und erfordert den noch radikaleren Tabubruch von morgen, um dieselbe lustvolle Erregung zu erzeugen.

Die politische Rhetorik wird in diesem Kreislauf unweigerlich immer schriller, die Feindbilder immer absurder und paranoider, die Verschwörungstheorien immer fantastischer. Jede reale Krise – eine Pandemie, ein Krieg, eine Wirtschaftskrise – wird nicht als zu lösendes Problem gesehen, sondern als willkommene Gelegenheit genutzt, die Spaltung zu vertiefen, die Paranoia zu befeuern und die Notwendigkeit der starken Führung zu untermauern. Die Realität wird zunehmend irrelevant; was zählt, ist die Aufrechterhaltung der phantasmatischen Erzählung, die die Gruppe zusammenschweißt. Der Angriff auf die Realitätsprüfung ist kein Nebeneffekt, sondern das strategische Kernziel dieser Politik.

Gleichzeitig reagiert das liberale oder progressive Gegenlager oft auf eine Weise, die diesen Kreislauf unbewusst, aber effektiv, verstärkt. Konfrontiert mit einer als irrational und unmoralisch empfundenen Bewegung, greift es oft zu den Waffen der moralischen Verurteilung, der sozialen Ausgrenzung und der Pathologisierung. Der politische Gegner wird nicht mehr als verführter oder verunsicherter Mitbürger gesehen, sondern als „Deplorable“ (Hillary Clinton, 2016), als hoffnungsloser Fall, als moralisch minderwertig. Dieses Verhalten, obwohl aus der eigenen Betroffenheit heraus verständlich, ist psychodynamisch fatal. Es bestätigt exakt die paranoide Phantasie der autoritären Anhänger, von einer arroganten, heuchlerischen und selbstgerechten Elite verachtet und aus der Gemeinschaft ausgestoßen zu werden.

Die verächtliche Kritik des liberalen Lagers wird so zum besten Treibstoff für das Ressentiment des autoritären Lagers. Sie heilt die narzisstische Wunde nicht, sondern reißt sie weiter auf und füllt sie mit dem Gift der Bestätigung. Die Aggression, die aus dieser erneuten Kränkung erwächst, richtet sich dann mit noch größerer Wucht gegen die liberalen Eliten, deren Verachtung wiederum bestätigt wird. Es entsteht eine perfekte Spiegeldynamik der gegenseitigen negativen Konstitution. Jedes Lager braucht das andere als dämonisiertes Feindbild, um die eigene Identität – hier die moralisch überlegene, aufgeklärte Gemeinschaft, dort die authentische, rebellische Volksgemeinschaft – zu stabilisieren. Die Spaltung wird von beiden Seiten zementiert, und die Gesellschaft zerfällt unaufhaltsam in zwei (oder mehr) einander verachtende, sich in ihrem jeweiligen Selbstbild spiegelnde Echokammern, die jede gemeinsame Sprache und jede gemeinsame Realität verlieren.

Der Endzustand dieses Szenarios ist nicht zwingend eine klassische, offene Diktatur nach dem Muster des 20. Jahrhunderts. Es ist etwas Subtileres und vielleicht noch Schwierigeres zu bekämpfen: eine chronisch dysfunktionale, hasserfüllte „Post-Wahrheits-Demokratie“. Die formalen Institutionen der Demokratie – Wahlen, Parlamente, Gerichte – mögen zwar weiter existieren, aber sie haben ihre integrative und realitätsverarbeitende Funktion verloren. Wahlen sind keine Mechanismen zur friedlichen Machtübergabe mehr, sondern Schlachten im Kulturkrieg, deren Ergebnisse vom Verlierer prinzipiell nicht mehr anerkannt werden. Parlamente sind keine Orte der Deliberation, sondern Bühnen für die performative Demütigung des Gegners. Die politische Auseinandersetzung dient nicht mehr der gemeinsamen Bearbeitung von Realität, sondern dem performativen Ausagieren von unbewussten Phantasien in einem endlosen Zyklus von Provokation und Gegenprovokation.

In einem solchen Zustand verliert die Gesellschaft die Fähigkeit, irgendein reales, komplexes Problem zu lösen, das über die Grenzen des eigenen Lagers hinausreicht. Ob Klimawandel, Pandemievorsorge, Rentenreform oder Haushaltssanierung – jede rationale, faktenbasierte Debatte wird sofort von der affektiven Logik der Spaltung, des Ressentiments und der Jouissance gekapert. Jede Lösung wird abgelehnt, wenn sie vom „falschen“ Lager kommt; jede wissenschaftliche Tatsache wird geleugnet, wenn sie das eigene Weltbild stört. Das politische System dreht sich nur noch um sich selbst, gefangen im unproduktiven, aber hochgradig lustvollen Kreislauf des gegenseitigen Hasses. Die Demokratie stirbt in diesem Szenario nicht durch einen gewaltsamen Putsch von oben, sondern sie erstickt langsam an ihrem eigenen, unverarbeiteten und permanent in den politischen Raum hineinprojizierten psychischen Gift. Sie zerfällt von innen, weil sie die grundlegendste psychische Voraussetzung für ihr Funktionieren verloren hat: einen minimalen Konsens über die Realität und die Fähigkeit, mit Differenz anders als durch Vernichtung umzugehen.

Szenario B: Der mühsame Weg der kollektiven Reife

Das zweite Szenario beschreibt den alternativen, ungleich anspruchsvolleren, aber potenziell produktiveren Pfad. Es ist der Weg, den eine Gesellschaft einschlagen kann, wenn es Teilen der Politik, der Medien, der Bildungsinstitutionen und der Zivilgesellschaft gelingt, die Logik der Regression bewusst zu durchbrechen. Anstatt von den affektiven Strömungen der Angst und des Ressentiments mitgerissen zu werden, beginnt sie, diese zu reflektieren und zu bearbeiten. Dieses Szenario ist kein utopisches Heilsversprechen einer konfliktfreien Zukunft, sondern die Beschreibung eines mühsamen, widersprüchlichen und niemals abgeschlossenen kollektiven Lernprozesses – der Weg der psychischen Reife.

Die grundlegende Dynamik dieses Szenarios ist die langsame, schrittweise Etablierung und Stärkung von „Containing“-Kapazitäten innerhalb der Gesellschaft. Dies beginnt, wie in Abschnitt 5.1.3 dargelegt, mit einem Wandel in der politischen Führungskultur. An die Stelle des „pervertierten Containers“, der Ängste zur Machtbindung instrumentalisiert, tritt eine Form des demokratischen Containment. Führungskräfte begreifen es als ihre Kernaufgabe, die kollektiven Ängste und Frustrationen anzuerkennen, ohne ihnen nachzugeben. Sie praktizieren bewusst eine Sprache, die Ambivalenz validiert („Ich verstehe, dass diese Situation widersprüchliche Gefühle auslöst“), Komplexität strukturiert („Lassen Sie uns die Fakten von den Befürchtungen trennen“) und Empathie signalisiert. Sie widerstehen der populistischen Versuchung, kurzfristigen Applaus durch die Benennung einfacher Sündenböcke zu gewinnen, und setzen stattdessen auf das langfristige, mühsame Geschäft des Vertrauensaufbaus durch Transparenz und Ehrlichkeit. Sie agieren wie der Bion’sche Container (Bion, 1962), der die rohen Beta-Elemente der gesellschaftlichen Angst aufnimmt und sie in eine bearbeitete, denkbare Form zurückgibt.

Dieser Wandel in der politischen Kultur kann jedoch nicht allein von oben dekretiert werden. Er muss durch die Schaffung neuer institutioneller „Container“ unterstützt und im gesellschaftlichen Leben verankert werden. Die Gesellschaft investiert bewusst in die in Abschnitt 5.1.4 beschriebenen Räume der „Ressentiment-Arbeit“. Formate wie zufällig geloste Bürgerräte, moderierte Dialogforen oder lokale Mediationsinitiativen werden von experimentellen Nischenprojekten zu einem normalen, etablierten Teil des politischen Lebens. In diesen geschützten Räumen wird die Logik der Konfrontation durch die Logik des Zuhörens ersetzt. Bürger lernen, über ihre tiefsten ideologischen und affektiven Spaltungen hinweg miteinander zu sprechen. Sie machen die Erfahrung, dass der politische Gegner kein dämonisches Monster ist, sondern ein Mensch mit einer anderen, aber nachvollziehbaren Perspektive. Diese Prozesse fördern direkt die Mentalisierungsfähigkeit (Fonagy et al., 2002) der Teilnehmer und durchbrechen die Logik der Spaltung auf der Mikroebene. Sie schaffen kleine, aber reale Erfahrungen von gelingender Kooperation, die langsam in die breitere politische Kultur ausstrahlen und dem Narrativ der unversöhnlichen Feindschaft entgegenwirken.

Der fundamentalste und langfristigste Aspekt dieses Szenarios ist jedoch ein tiefgreifender Wandel im Bildungssystem und im öffentlichen Diskurs. Die Förderung psychischer Kompetenzen wird zu einem expliziten Ziel erklärt. Schulen, Universitäten und Medien begreifen es als ihre Kernaufgabe, nicht nur Faktenwissen, sondern auch die Fähigkeit zur Ambiguitätstoleranz und zur Selbstreflexion zu vermitteln. Ein kritischer Journalismus würde sich nicht damit begnügen, Falschinformationen zu widerlegen („fact-checking“), sondern würde die unbewussten Narrative, die emotionalen Bedürfnisse und die psychologischen Manöver aufdecken, die diese Falschinformationen so attraktiv machen. Ein Bildungssystem, das auf Reife zielt, würde Schüler nicht nur lehren, was richtig und falsch ist, sondern sie befähigen, mit Unsicherheit zu leben, widersprüchliche Informationen abzuwägen und die eigenen affektiven Reaktionen auf politische Reize zu reflektieren.

Der Kernprozess, der diesem Szenario zugrunde liegt, ist der einer kollektiven Trauerarbeit. In Anlehnung an Mitscherlich und Mitscherlich (1967) bedeutet dies die schmerzhafte, aber notwendige Auseinandersetzung mit den realen Verlusten, die die „gekränkte Freiheit“ erzeugt hat: der Verlust von ökonomischer Sicherheit, von kultureller Selbstverständlichkeit, von nationaler Souveränität in einer globalisierten Welt. Anstatt diese Verluste zu verleugnen und in einem manischen Triumph gegen Sündenböcke abzureagieren, lernt die Gesellschaft, sie anzuerkennen, ihre Ambivalenz auszuhalten und sie gemeinsam zu betrauern. Aus dieser Trauerarbeit kann eine realistischere, weniger grandiose, aber dafür stabilere und inklusivere kollektive Identität erwachsen – eine Identität, die nicht mehr auf der Abwehr der Realität, sondern auf ihrer Anerkennung beruht.

Das Ergebnis dieses Weges ist keine harmonische, konfliktfreie Utopie. Es ist eine Demokratie, die ihre eigenen inneren Widersprüche, ihre Ängste und ihren Hass nicht eliminiert hat, aber gelernt hat, sie auszuhalten, zu bearbeiten und produktiv zu wenden, anstatt sie blind in destruktive Spaltungen auszuleben. Es ist eine Gesellschaft, die als Ganze ein höheres Maß an psychischer Reife erlangt hat. Sie hat die regressive „Wahl“ für die Spaltung und Projektion durch die reifere Wahl für das Aushalten von Komplexität und Ambivalenz ersetzt. Die Demokratie erweist sich so als lernfähig – nicht nur auf der institutionellen, sondern auf der kollektiven psychischen Ebene.

Schlusswort: Die Psychoanalyse als kritischer Spiegel der Demokratie

Die Zukunft der liberalen Demokratie ist offen. Welcher der beiden skizzierten Pfade – der Teufelskreis der Regression oder der mühsame Weg der kollektiven Reife – eingeschlagen wird, ist keine historische Zwangsläufigkeit, sondern das Ergebnis unzähliger kleiner und großer Entscheidungen in Politik, Medien, Bildung und Zivilgesellschaft. Die psychoanalytische Diagnose liefert für diesen offenen Prozess keine einfachen Handlungsanweisungen und erst recht keine Heilungsversprechen. Ihre Rolle ist eine andere, eine subtilere, aber vielleicht fundamentalere.

Die Psychoanalyse fungiert in diesem Kontext nicht als Therapeutin, die die Gesellschaft „heilt“, sondern als kritischer Spiegel. Ihre primäre Funktion ist es, der Gesellschaft jene unbewussten, oft verleugneten und als beschämend empfundenen Anteile ihrer selbst vorzuhalten, die ihr Handeln im Verborgenen steuern. Sie ist die Disziplin, die den Mut hat, auf die irrationalen Abgründe, die destruktiven Triebe und die infantilen Phantasien zu blicken, die unter der Oberfläche des rationalen politischen Diskurses fortwirken.

In einer Zeit, die von der manischen Abwehr der eigenen Verletzlichkeit und der paranoiden Projektion auf Sündenböcke geprägt ist, ist diese Spiegelfunktion eine Zumutung. Sie ist unbequem, weil sie die einfachen Gewissheiten und die klaren Feindbilder, die so viel psychische Entlastung versprechen, in Frage stellt. Sie konfrontiert die Gesellschaft mit ihrer eigenen Ambivalenz, mit der Tatsache, dass das „Böse“ nicht nur draußen bei den Anderen, sondern auch als Potenzial in uns selbst und in den Strukturen unserer eigenen Gemeinschaft liegt. Sie zwingt uns zu jener Form der Selbstreflexion, die die regressive Flucht in die Projektion gerade zu vermeiden sucht.

Doch genau in dieser unbequemen Rolle liegt ihre unverzichtbare demokratische Funktion. Eine Demokratie, die überleben und sich weiterentwickeln will, ist auf die Fähigkeit zur kollektiven Selbstreflexion angewiesen. Sie muss in der Lage sein, ihre eigenen Pathologien, ihre blinden Flecken und ihre destruktiven Tendenzen zu erkennen, um nicht blind von ihnen regiert zu werden. Die Psychoanalyse, mit ihrem einzigartigen Vokabular zur Beschreibung des Unbewussten, ist das schärfste Instrument für diese Form der radikalen Selbstaufklärung.

Sie ist kein politisches Programm, aber sie ist eine Haltung. Es ist die Haltung des „begleitenden Beobachters“, der nicht urteilt, sondern zu verstehen sucht; der die verborgene Logik im scheinbar Irrationalen aufdeckt; und der darauf besteht, dass die Konfrontation mit der schmerzhaften Wahrheit, so schwierig sie sein mag, auf lange Sicht weniger destruktiv ist als ihre Verleugnung.

Letztlich ist die Auseinandersetzung mit der autoritären Wende auch ein Kampf um die Deutungshoheit über das menschliche Subjekt. Das autoritäre Modell basiert auf einem zynischen, aber verführerischen Menschenbild: Der Mensch als triebgesteuertes, angstgeleitetes Wesen, das nach einem starken Herrn verlangt, der ihm die Last der Freiheit abnimmt. Die liberale Demokratie hingegen beruht auf dem optimistischen, aber fragilen Ideal des mündigen, zur Autonomie und Rationalität fähigen Bürgers. Die aktuelle Krise zeigt, dass dieses optimistische Bild Risse bekommen hat. Die Psychoanalyse bietet hier einen dritten, realistischeren Weg. Sie leugnet weder die Macht der Triebe und der irrationalen Affekte, noch bestreitet sie die Möglichkeit von Autonomie und Vernunft. Sie zeigt, dass das menschliche Subjekt beides ist: ein Wesen, das zu Regression und Hass fähig ist, aber auch zur Einsicht, zur Trauerarbeit und zur Reife.

Die Stärkung der Demokratie bedeutet aus dieser Perspektive, die gesellschaftlichen Bedingungen zu schaffen, unter denen die reiferen psychischen Potenziale eine größere Chance haben, sich gegen die regressiven durchzusetzen. Die Psychoanalyse kann uns nicht sagen, wie genau diese Bedingungen auszusehen haben – das ist eine politische Aufgabe. Aber sie kann uns mit unübertroffener Schärfe zeigen, was auf dem Spiel steht. Sie ist der Seismograph für die unterirdischen Erschütterungen im psychischen Fundament unserer Gesellschaften. Auf sie zu hören, ist keine akademische Übung, sondern eine Notwendigkeit für das Überleben der liberalen Demokratie im 21. Jahrhundert.

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Fiktive Podiumsdiskussion der Autokraten

Wichtiger Hinweis und Haftungsausschluss: Die folgende Podiumsdiskussion ist ein rein fiktives Werk, das von einer Künstlichen Intelligenz (KI) auf der Grundlage eines vom Benutzer bereitgestellten Fachtextes zum Thema Autoritarismus erstellt wurde. Die hier auftretenden Charaktere und die ihnen in den Mund gelegten Aussagen sind nicht real. Sie repräsentieren keine tatsächlichen Meinungen oder Zitate lebender oder verstorbener Personen. Die Rollen der politischen Vertreter (Mr. Kingston, Dr. von Hagen, Prof. Volkov) sind konstruierte Archetypen, deren Argumente ausschließlich aus den Thesen und Analysen des zugrundeliegenden Artikels abgeleitet sind. Ihr Zweck ist es, die im Text beschriebenen „affektiven Grammatiken“ des Trumpismus, des deutschen Rechts-Nationalismus und des Putinismus zu veranschaulichen. Diese Simulation dient ausschließlich dem Zweck, die komplexen psychoanalytischen und soziologischen Konzepte des Artikels in einem dialogischen Format zugänglich und verständlich zu machen. Es handelt sich um eine akademische Übung und keinesfalls um den Versuch, reale Personen zu karikieren oder ihnen Meinungen zu unterstellen. Jede Ähnlichkeit mit realen Personen oder Ereignissen ist rein illustrativ und im Kontext der wissenschaftlichen Analyse zu verstehen.

/topic/ Die Podiumsdiskussion
/scene/ Ein modernes Fernsehstudio. Ein runder Tisch, an dem sieben Teilnehmer Platz genommen haben. Die Atmosphäre ist aufgeladen, aber professionell. Die Kameras fahren in Position.
Dr. Evelyn Reed (Moderatorin): Guten Abend, meine Damen und Herren, und herzlich willkommen zu unserer Sonderausgabe von „Kontroversen der Gegenwart“. Das Thema heute Abend ist eines, das unsere Zeit prägt wie kaum ein anderes: die globale Krise der liberalen Demokratie und der Aufstieg autoritärer Bewegungen. Wir alle spüren es: Der politische Ton wird rauer, die Gesellschaften spalten sich, und die Sehnsucht nach „starken Führern“ wächst.
/same/ Grundlage unserer heutigen Diskussion ist eine tiefgreifende psychoanalytische und soziologische Analyse des Phänomens. Diese Analyse spricht vom „politisierten Unbewussten“ und argumentiert, dass wir es mit einer „destruktiv-symbiotischen Passung“ zu tun haben: einerseits mit politischen Führern, die gezielt primitive Ängste und Wünsche ansprechen, und andererseits mit einer Gesellschaft, deren Mitglieder sich durch die Widersprüche der modernen Welt tief gekränkt fühlen – eine „gekränkte Freiheit“.
/same/ Um diese These zu beleuchten, habe ich vier prominente Vertreter politischer Strömungen eingeladen: Mr. Jack Kingston aus den USA, Dr. Albrecht von Hagen aus Deutschland, General Augusto Lima aus Brasilien und Professor Ivan Volkov aus Russland. Ihnen gegenüber sitzt unser Expertengremium: die Psychoanalytikerin Dr. Lena Shapiro, der Sozialphilosoph Professor Elias Richter, die Soziologin Dr. Anja Weber und der Politikpsychologe Professor Mark Jennings.
/same/ Um die Positionen, um die es heute geht, in ihrer ganzen rhetorischen Wucht zu verstehen, werden wir zunächst die Kernbotschaften dieser Bewegungen in Form von repräsentativen Reden vorstellen.
/note/ Dr. Reed blickt auf ihre Notizen. Auf der großen Leinwand hinter ihr erscheint ein Bild von Dr. von Hagen.

Dr. Evelyn Reed (Moderatorin): Wir beginnen in Deutschland, mit den Worten von Dr. Albrecht von Hagen.

/note/ (Die folgenden Passagen sind direkte Zitate, deren Herkunft in Klammern angegeben ist. Die fiktiven Übergänge sind kursiv und in eckigen Klammern gesetzt.)

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Liebe Freunde, liebe Mitstreiter, liebe Patrioten von nah und fern! Ich stehe heute vor Ihnen, nicht nur als Redner, sondern als Chronist und als Arzt am Krankenbett einer Nation. Und ich danke Ihnen für Ihren Mut, heute hier zu sein. Denn es erfordert Mut in diesen Tagen, das Offensichtliche auszusprechen. Es erfordert Mut, sich der verordneten Schweigespirale zu widersetzen. Es erfordert Mut, eine unbequeme Wahrheit zu diagnostizieren in einer Zeit, in der die Lüge zur Staatsräson geworden ist. Und die Wahrheit, liebe Freunde, ist bitter. Wir müssen uns ehrlich machen, wir müssen uns in die Augen sehen und uns eingestehen:

/scene/ (Zitat, Björn Höcke, Dresdner Rede, 17. Januar 2017): „Bis jetzt ist unsere Geistesverfassung, unser Gemütszustand immer noch der eines total besiegten Volkes. Wir Deutschen – und ich rede jetzt nicht von euch Patrioten, die sich hier heute versammelt haben – wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat. Und anstatt die nachwachsende Generation mit den großen Wohltätern, den bekannten weltbewegenden Philosophen, den Musikern, den genialen Entdeckern und Erfindern in Berührung zu bringen, von denen wir ja so viele haben […], anstatt unsere Schüler in den Schulen mit dieser Geschichte in Berührung zu bringen, wird die Geschichte, die deutsche Geschichte, mies und lächerlich gemacht. So kann es und darf es nicht weitergehen! […] Schon Franz Josef Strauß bemerkte: Die Vergangenheitsbewältigung als gesamtgesellschaftliche Daueraufgabe, die lähmt ein Volk. Liebe Freunde, Recht hatte er, der Franz Josef Strauß! Und diese dämliche Bewältigungspolitik, die lähmt uns heute noch viel mehr als zu Franz Josef Strauß‘ Zeiten.“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Diese Lähmung, dieser selbstauferlegte Schuldkult, ist kein Zufall. Er ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Umerziehung, die uns wehrlos machen sollte. Die uns entwurzeln sollte, damit wir die Angriffe auf unsere Identität und unseren Wohlstand widerstandslos erdulden. Und diese Angriffe finden statt, jeden Tag, im Herzen unserer Demokratie.

/scene/ (Zitat, Alice Weidel, Haushaltsrede im Bundestag, 16. Mai 2018): „Burkas, Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, unsere Arbeitsplätze und vor allem den Sozialstaat nicht sichern. […] Ihre Steuerzahlerausbeutung nach Gutsherrenart wird in die Geschichte eingehen. Ihre Klientelpolitik, die eingewanderte Goldstücke, die die Kriminalstatistiken nach oben treiben, besserstellt als die eigenen Familien und Rentner, ist eine schallende Ohrfeige für jeden, der dieses Land mit seiner Hände Arbeit aufgebaut hat.“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Und während das hart erarbeitete Geld unserer Bürger an Fremde verteilt wird, die unser Land verachten, wird uns gleichzeitig die Grundlage unserer nationalen Existenz entzogen: unsere Geschichte. Man will uns glauben machen, wir hätten keine Geschichte, auf die wir stolz sein könnten.

/scene/ (Zitat, Alexander Gauland, Rede beim Bundeskongress der Jungen Alternative, 2. Juni 2018): „Wir haben eine ruhmreiche Geschichte, die länger dauerte als zwölf Jahre. Ja, wir bekennen uns zu unserer Verantwortung für die zwölf Jahre. Aber, liebe Freunde, Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in unserer über tausendjährigen Geschichte. […] Wir lassen uns diese zwölf Jahre nicht mehr anlasten. Sie betreffen unsere Identität heute nicht mehr. Und deshalb haben wir das Recht, uns nicht nur unser Land, sondern auch unsere Vergangenheit zurückzuholen.“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Sich die Vergangenheit zurückzuholen, das, liebe Freunde, bedeutet, die Deutungshoheit über unsere Geschichte zurückzugewinnen. Es bedeutet, die Lügen der Umerzieher zu entlarven und unsere Erinnerung von der Last des Schuldkults zu befreien. Deswegen sage ich in aller Deutlichkeit:

/scene/ (Zitat, Björn Höcke, Dresdner Rede, 17. Januar 2017): „Wir brauchen nichts anderes als eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad! […] Wir brauchen keine toten Riten mehr in diesem Land. Wir haben keine Zeit mehr, tote Riten zu exekutieren. Wir brauchen keine hohlen Phrasen mehr in diesem Land, wir brauchen ein lebendige Erinnerungskultur, die uns vor allen Dingen und zuallererst mit den großartigen Leistungen der Altvorderen in Berührung bringt.“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Aber diese Wende wird nicht kommen, wenn wir uns auf die Altparteien verlassen. Denn diese Parteien sind nicht die Lösung, sie sind das Problem. Sie sind die Verwalter des Niedergangs, die Architekten des Chaos. Um das ganze Ausmaß der Katastrophe nochmal vor Augen zu führen, in der sich unser Staat befindet, müssen wir erkennen:

/scene/ (Zitat, Björn Höcke, Dresdner Rede, 17. Januar 2017): „Unser einst intakter Staat befindet sich in Auflösung, seine Außengrenzen werden nicht mehr geschützt, er kann die innere Sicherheit nicht mehr garantieren, das Gewaltmonopol erodiert zusehends durch Inkaufnahme rechtsfreier Räume und der allgemeine Rechtsverfall schreitet voran. […] Unsere einst hoch geschätzte Kultur droht, nach einer umfassenden Amerikanisierung nun in einer multikulturellen Beliebigkeit unterzugehen. […] Unsere einst stolzen Städte verwahrlosen immer mehr und sind Brutstätten von Kriminalität und Gewalt und leider oftmals Heimstätte von radikalen Islamisten. […] Liebe Freunde, und unser liebes Volk ist im inneren tief gespalten und durch den Geburtenrückgang sowie die Masseneinwanderung, erstmals in seiner Existenz tatsächlich elementar bedroht.“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Und wer ist verantwortlich für diesen Zustand? Wer hat den Brand gelegt, der nun unser gemeinsames Haus zu verzehren droht? Es sind nicht die Kritiker, die spalten. Die Spaltung geht von jenen aus, die die Tore geöffnet haben.

/scene/ (Zitat, Alexander Gauland, Rede beim Bundeskongress der Jungen Alternative, 2. Juni 2018): „Es sind nicht diejenigen, die darauf hinweisen, dass der Kaiser nackt ist. Es sind diejenigen, die uns den nackten Kaiser als wohlbekleideten Monarchen verkaufen wollen. Es sind nicht wir, die das Land spalten. Gespalten hat das Land Frau Merkel mit ihrer unkontrollierten Grenzöffnung. Wir fügen nur wieder zusammen, was zusammengehört: das Volk auf der einen Seite und seine legitimen Interessen auf der anderen Seite.“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Doch die Altparteien sind nicht nur unfähig, sie sind unwillig, diesen Kurs zu korrigieren. Sie haben sich in ihrem Machtkartell eingerichtet. Ich sage es in aller Deutlichkeit:

/scene/ (Zitat, Björn Höcke, Dresdner Rede, 17. Januar 2017): „Diese Regierung ist keine Regierung mehr, diese Regierung ist zu einem Regime mutiert! Sie ist unfähig und unwillig… sie ist unfähig und vor allen Dingen, so schaut es doch aus, unwillig, die von ihr aufgetürmten Problemhalden wieder abzutragen. Und diese Problemhalden, liebe Freunde, die sind gewaltig.“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Was also ist unsere Aufgabe in dieser historischen Stunde? Wir sind mehr als nur eine Partei. Wir sind die letzte Hoffnung für dieses Land.

/scene/ (Zitat, Björn Höcke, Dresdner Rede, 17. Januar 2017): „Die AfD ist die letzte evolutionäre, sie ist die letzte friedliche Chance für unser Vaterland. Damit sie es sein kann, muss sie sich als inhaltliche – nicht als strukturelle, als inhaltliche! – Fundamentalopposition verstehen, denn sie ist die einzig relevante politische Kraft des Bewahrenden, die gegen die kollektiven Kräfte der Auflösung der One-World-Ideologen und ihrer Verbündeten steht. Und um ihren historischen Auftrag nicht zu verraten, muss die AfD Bewegungspartei bleiben, das heißt, sie muss selbst immer wieder auf der Straße präsent sein und sie muss im engsten Kontakt mit den befreundeten Bürgerbewegungen stehen.“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Wir führen einen gerechten Kampf. Einen Kampf, der weit über die Tagespolitik hinausreicht. Es ist ein Kampf um die Seele unserer Nation.

/scene/ (Zitat, Björn Höcke, Dresdner Rede, 17. Januar 2017): „Ein Kampf, der mit der Bundestagswahl nicht endet und der langfristig darüber entscheiden wird, ob wir und unsere Kinder noch eine Zukunft in der Mitte Europas haben oder ob unser Wohlstand, unser Staat, unsere Kultur und unser liebes Volk im Chaos versinken. Liebe Freunde, wir müssen nichts weniger als Geschichte schreiben, wenn es für uns Deutsche und für uns Europäer noch eine Zukunft geben soll. Wir können Geschichte schreiben. Tun wir es! […] Die alten Kräfte, also die Altparteien, aber nicht nur die Altparteien, auch die Gewerkschaften, vor allen Dingen auch die Angstkirchen, und die immer schneller wachsende Sozialindustrie, die an dieser perversen Politik auch noch prächtig verdient; diese alten Kräfte, die ich gerade genannt habe, sie lösen unser liebes deutsches Vaterland auf wie ein Stück Seife unter einem lauwarmen Wasserstrahl. Aber wir, liebe Freunde, wir Patrioten werden diesen Wasserstrahl jetzt zudrehen, wir werden uns unser Deutschland Stück für Stück zurückholen!“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Vielen Dank.

/note/ Das Bild auf der Leinwand wechselt zu Mr. Jack Kingston.

Dr. Evelyn Reed (Moderatorin): Aus den Vereinigten Staaten, die Stimme der Bewegung, die sich um Donald Trump versammelt hat, hier repräsentiert durch Mr. Jack Kingston.

/scene/ (Die folgenden Passagen sind direkte Zitate, deren Herkunft in Klammern angegeben ist. Die fiktiven Übergänge sind kursiv und in eckigen Klammern gesetzt.)

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Friends, Patriots! Look at this crowd! The fake news media will never show you this. They will never show the hundreds of thousands of American patriots who are here today because they are the enemy of the people! They are the single biggest problem we have in this country. For years, a small group in our Nation’s Capital has reaped the rewards of Government while the people have borne the cost. They got rich, while you got poorer. They flourished, while your factories closed.

/scene/ (Zitat, Donald Trump, Antrittsrede, 20. Januar 2017): „The establishment protected itself, but not the citizens of our country. Their victories have not been your victories; their triumphs have not been your triumphs; and while they celebrated in our Nation’s Capital, there was little to celebrate for struggling families all across our land. But for too many of our citizens, a different reality exists: Mothers and children trapped in poverty in our inner cities; rusted-out factories scattered like tombstones across the landscape of our Nation; an education system, flush with cash, but which leaves our young and beautiful students deprived of all knowledge; and the crime and the gangs and the drugs that have stolen too many lives and robbed our country of so much unrealized potential. This American carnage stops right here and stops right now.“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: This carnage wasn’t an accident. It was a betrayal. And that betrayal culminated in the most brazen and outrageous election theft in the history of our country. They rigged it like they’ve never rigged an election before. They think you’re stupid. They think they can get away with it.

/scene/ (Zitat, Donald Trump, „Save America“ Rally, 6. Januar 2021): „All of us here today do not want to see our election victory stolen by emboldened radical left Democrats, which is what they’re doing and stolen by the fake news media. That’s what they’ve done and what they’re doing. We will never give up. We will never concede, it doesn’t happen. You don’t concede when there’s theft involved. Our country has had enough. We will not take it anymore and that’s what this is all about. To use a favorite term that all of you people really came up with, we will stop the steal. This was not a close election. By the way, does anybody believe that Joe had 80 million votes? Does anybody believe that? He had 80 million computer votes. It’s a disgrace. There’s never been anything like that. You could take third world countries. Just take a look, take third world countries. Their elections are more honest than what we’ve been going through in this country. It’s a disgrace. It’s a disgrace.“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: And who are these people who stole our country? They are criminals. They are corrupt. Look at their queen, „Crooked Hillary.“ You think she belongs in the White House? We know where she belongs!

/scene/ (Zitat, Michael Flynn, RNC-Rede, 18. Juli 2016): „I have called on Hillary Clinton to drop out of the race because she, she put our nation’s security at extremely high risk with her careless use of a private e-mail server. Lock her up. Lock her up. And you know why we’re saying that? We’re saying that because if I, a guy who knows this business, if I did a tenth, a tenth of what she did, I would be in jail today. So—so, Crooked Hillary Clinton, leave this race now!“ (Chanting „Lock Her Up!“)

/scene/ (Zitat, Michael Flynn, RNC-Rede, 18. Juli 2016): „Lock her up! Damn right; exactly right. There’s nothing wrong with that.“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: There is nothing wrong with it! Because these people are not your political opponents. They are your enemies. They want to destroy your country, and the weak Republicans, the pathetic Republicans, they let them do it. They turned a blind eye even as Democrats enacted policies that chipped away our jobs, weakened our military, threw open our borders and put America last.

/scene/ (Zitat, Donald Trump, „Save America“ Rally, 6. Januar 2021): „Republicans are constantly fighting like a boxer with his hands tied behind his back. It’s like a boxer. And we want to be so nice. We want to be so respectful of everybody, including bad people. And we’re going to have to fight much harder. And Mike Pence is going to have to come through for us. And if he doesn’t, that will be a sad day for our country because you’re sworn to uphold our constitution. Now it is up to Congress to confront this egregious assault on our democracy. And after this, we’re going to walk down and I’ll be there with you. We’re going to walk down. We’re going to walk down to the Capitol, and we’re going to cheer on our brave senators, and congressmen and women. And we’re probably not going to be cheering so much for some of them. Because you’ll never take back our country with weakness. You have to show strength, and you have to be strong.“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: We need a leader who knows strength. A leader who will not apologize for American exceptionalism. A leader who will put America First!

/scene/ (Zitat, Michael Flynn, RNC-Rede, 18. Juli 2016): „I promise you that Donald Trump, Donald Trump knows that the primary role of the president is to keep us safe. He recognizes the threats we face and is not afraid to call them what they are. Donald Trump’s leadership, decision-making and problem-solving abilities will restore America’s role as the undeniable and unquestioned world leader. He will lead from the front, not from behind. He will lead with courage, never vacillating when facing our enemies or our competitors; and he knows that the advantage in life, in business, and in wartime goes to the competitor that does not flinch.“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: He does not flinch. And we must not flinch. Today, we demand that Congress do the right thing. We are here to save our democracy. But if they don’t, if they certify this fraudulent election, know this: this is not the end. It is just the beginning.

/scene/ (Zitat, Donald Trump, „Save America“ Rally, 6. Januar 2021): „We fight. We fight like Hell and if you don’t fight like Hell, you’re not going to have a country anymore. Our exciting adventures and boldest endeavors have not yet begun. My fellow Americans for our movement, for our children and for our beloved country and I say this, despite all that’s happened, the best is yet to come. So we’re going to, we’re going to walk down Pennsylvania Avenue, I love Pennsylvania Avenue, and we’re going to the Capitol and we’re going to try and give… The Democrats are hopeless. They’re never voting for anything, not even one vote. But we’re going to try and give our Republicans, the weak ones, because the strong ones don’t need any of our help, we’re going to try and give them the kind of pride and boldness that they need to take back our country. So let’s walk down Pennsylvania Avenue.“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: And he will be with us. A president who made us a promise and kept it.

/scene/ (Zitat, Donald Trump, Antrittsrede, 20. Januar 2017): „I will fight for you with every breath in my body, and I will never, ever let you down. America will start winning again, winning like never before. We will bring back our jobs. We will bring back our borders. We will bring back our wealth. And we will bring back our dreams. […] So to all Americans in every city near and far, small and large, from mountain to mountain, from ocean to ocean, hear these words: You will never be ignored again. Your voice, your hopes, and your dreams will define our American destiny. And your courage and goodness and love will forever guide us along the way. Together, we will make America strong again. We will make America wealthy again. We will make America proud again. We will make America safe again. And, yes, together, we will make America great again.“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Thank you. God bless you. And God bless America.

/note/ Das Bild wechselt zu General Augusto Lima.

Dr. Evelyn Reed (Moderatorin): Aus Brasilien, eine Rhetorik der Stärke und des Widerstands, wie sie von General Augusto Lima formuliert wird.

/scene/ (Die folgenden Passagen sind direkte, ins Deutsche übersetzte Zitate. Die fiktiven Übergänge sind kursiv und in eckigen Klammern gesetzt. Die Quelle des Zitats ist am Ende des jeweiligen Abschnitts angegeben.)

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Männer und Frauen Brasiliens! Patrioten! Ich spreche heute nicht als Politiker zu Ihnen, der um Ihre Stimmen wirbt. Ich spreche als Mann, als Vater und als Soldat, der sieht, wie unser Land von innen heraus von Feinden zerfressen wird. Sie nennen sich Demokraten, aber sie sind Tyrannen in Richterroben. Sie sprechen von Freiheit, aber sie wollen uns versklaven. Sie greifen nicht nur den Präsidenten an, sie greifen eure Familien an, sie greifen meine Familie an. Und ich sage Ihnen: Genug! Ich erinnere mich an eine Sitzung, hinter verschlossenen Türen, in der unser Präsident sein Herz ausschüttete. Dort, wo die Masken fallen, wurde die Wahrheit gesprochen. Und diese Wahrheit müssen Sie hören:

/scene/ (Jair Bolsonaro, Ministerratssitzung, 22. April 2020): „Ich weiß, das ist sein Problem, nicht wahr? Aber es ist die ganze Zeit diese Schweinerei, um mich zu treffen, indem sie sich mit meiner Familie anlegen. Ich habe schon versucht, Leute von unserem Sicherheitsdienst in Rio de Janeiro offiziell auszutauschen, und habe es nicht geschafft! Und damit ist jetzt Schluss. Ich werde nicht warten, bis meine ganze Familie gefickt wird, aus Gemeinheit, oder meine Freunde, weil ich nicht jemanden vom Sicherheitsdienst an der Basis austauschen kann, der zu unserer Struktur gehört. Er wird ausgetauscht! Wenn man ihn nicht austauschen kann, tauscht man seinen Chef aus! Kann man seinen Chef nicht austauschen? Tauscht man den Minister aus! Und Punkt! Wir sind hier nicht zum Spaß. […] Deshalb werde ich mich einmischen! Und Punkt, verdammt!“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Das war die Stimme eines Vaters, der seine Familie schützt! Das war die Stimme eines Präsidenten, der nicht tatenlos zusieht, wie sein Land von einer korrupten Kaste übernommen wird. Sie nennen das einen Angriff auf die Institutionen. Ich nenne es Selbstverteidigung! Aber diese Vagabunden, diese Penner im Obersten Gerichtshof, sie haben nicht zugehört. Sie haben weitergemacht. Sie haben die Geduld unseres Volkes auf die Probe gestellt, bis sie erschöpft war. Und dann, am Unabhängigkeitstag, vor den Augen der Nation, hat der Präsident ihnen die Antwort gegeben, die sie verdienen.

/scene/ (Jair Bolsonaro, Rede zum Unabhängigkeitstag, 7. September 2021): „Wir können nicht länger hinnehmen, dass eine oder zwei Personen mit der Macht eines Diktators unsere Zukunft bestimmen. Entweder der Chef dieser Gewalt weist seinen zurecht, oder diese Gewalt könnte das erleiden, was wir nicht wollen. Was wir nicht wollen, ist der Bruch, ist die Konfrontation, ist der Kampf mit einer anderen Gewalt. Aber wir können auch nicht zulassen, dass eine Person oder eine Gruppe von Personen unser Brasilien weiter peinigt. Ich will denen sagen, die mich in Brasília für unwählbar erklären wollen: Nur Gott entfernt mich von dort! Und ich sage den Halunken: Ich werde niemals inhaftiert! Ich sage euch, dass dieser Präsident keine Entscheidung des Richters Alexandre de Moraes mehr befolgen wird. Die Geduld unseres Volkes ist erschöpft.“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Das ist die Sprache, die sie verstehen! Nicht die Sprache der Paragraphen und der feigen Kompromisse, sondern die Sprache der Stärke! Aber selbst das reicht ihnen nicht. Auch nach der Wahl geht die Verfolgung weiter. Sie benutzen die Justiz als politische Waffe. Sie wollen den Mann vernichten, der ihnen die Macht entrissen hat, weil sie wissen, dass das Volk bei ihm ist. Sie benutzen eine Taktik, die wir nur zu gut aus der Geschichte kennen.

/scene/ (Eduardo Bolsonaro, Parlamentsrede, 10. Mai 2023): „Sie agieren mit einer sehr unterschiedlichen Kenntnis der Sachlage, nicht auf der Basis von politischen Erzählungen, die sie durch Wiederholung zu implementieren versuchen, indem sie die Nazi-Taktik von Goebbels anwenden: eine Lüge so lange zu wiederholen, bis sie zur Wahrheit wird. Hier nicht! […] Das Ziel ist weit entfernt vom Impfausweis. Sie haben das Bankgeheimnis von Personen im Umfeld des Präsidenten gebrochen, um es durchsickern zu lassen: ‚Schaut her, was diese Person, die ein Foto mit Bolsonaro hat, über Marielle gesagt hat.‘ ‚Ah, nein! Jetzt geht es um die Devisenflucht des Colonels, der Geld ins Ausland geschickt hat. Lasst uns das untersuchen.‘ Darum geht es. Sie wollen den Ruf des Präsidenten zerstören, weil, wohin er auch geht, Menschenmassen ihm folgen.“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Sie haben Angst vor diesen Menschenmassen! Sie haben Angst vor euch! Sie haben Angst vor der wahren Macht in diesem Land: dem bewaffneten Bürger, der seine Freiheit verteidigt! Deshalb lautet unser Credo, damals wie heute:

/scene/ (Jair Bolsonaro, Ministerratssitzung, 22. April 2020): „Ich bewaffne das Volk, weil ich keine Diktatur will. Ich will, dass alle bewaffnet sind. Ein bewaffnetes Volk wird niemals versklavt werden.“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Ein bewaffnetes Volk wird niemals versklavt! Und wenn diese Linken, diese Kommunisten, glauben, sie könnten unser Land mit ihren Protesten und ihrer Radikalität ins Chaos stürzen, dann sollen sie wissen: Wir sind bereit. Wir haben keine Angst vor der Konfrontation.

/scene/ (Eduardo Bolsonaro, Interview, Oktober 2019): „Wenn die Linke sich bis zu diesem Punkt radikalisiert, werden wir eine Antwort geben müssen. Und eine Antwort kann über einen neuen AI-5 erfolgen.“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Ja, ihr habt richtig gehört! Wir werden nicht zulassen, dass sie Brasilien in ein neues Venezuela verwandeln! Unsere Fahne ist heilig. Und sie wird verteidigt werden. Mit allen Mitteln. Denken Sie an die Worte des Präsidenten bei seinem Amtsantritt:

/scene/ (Jair Bolsonaro, Antrittsrede, 1. Januar 2019): „Unsere Fahne wird niemals rot sein… nur wenn Blut nötig ist, um sie grün und gelb zu halten!“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Wir sind bereit, dieses Blut zu geben. Für Gott, für die Heimat, für die Familie! Brasilien über alles, Gott über allem!

/note/ Das letzte Bild erscheint: Professor Ivan Volkov.

Dr. Evelyn Reed (Moderatorin): Und schließlich, aus Russland, die Perspektive von Professor Ivan Volkov.

/scene/ (Die folgenden Passagen sind direkte, ins Deutsche übersetzte Zitate. Die fiktiven Übergänge sind kursiv und in eckigen Klammern gesetzt. Die Quelle des Zitats ist am Ende des jeweiligen Abschnitts angegeben.)

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Sehr geehrte Damen und Herren, Um die Handlungen Russlands zu verstehen, muss man sich von der hysterischen Rhetorik des Westens lösen und auf die unumstößlichen Fakten der Geschichte blicken. Russland führt keinen Angriffskrieg. Russland verteidigt sich. Es verteidigt seine Sicherheit, seine Kultur und sein Existenzrecht gegen einen aggressiven, neokolonialen Block, der seit Jahrzehnten nur ein Ziel kennt: unser Land zu schwächen, zu spalten und letztlich zu zerstören. Alles begann mit dem selbstverschuldeten Kollaps der Sowjetunion. Anstatt eine neue Ära der Partnerschaft einzuläuten, nutzte der Westen unsere damalige Schwäche schamlos aus.

/scene/ (Wladimir Putin, Rede zur Annexion der Krim, 18. März 2014): „Als die Krim sich nun auf dem Gebiet eines anderen Staates befand, hat Russland das so empfunden, als sei es nicht nur beraubt, sondern regelrecht bestohlen worden. Gleichzeitig muss man einräumen, dass Russland selbst durch die Initiierung der Unabhängigkeitserklärungen dem Zerfall der UdSSR Vorschub geleistet hat, bei dessen Gestaltung sowohl die Krim, als auch die Hauptbasis der Schwarzmeerflotte Sewastopol vergessen wurden. Millionen von Russen gingen in einem Land schlafen, und wachten hinter einer Grenze auf; sie wurden in einem Augenblick zu einer nationalen Minderheit in den ehemaligen Sowjetrepubliken, und das russische Volk wurde damals zum größten geteilten Volk der Welt. Heute, viele Jahre später, hörte ich, wie die Einwohner der Krim sagten, dass sie damals, 1991, wie ein Sack Kartoffeln einfach aus den einen Händen in andere übergeben wurden. Es ist schwer, dem zu widersprechen. Der russische Staat tat was? Er senkte sein Haupt und fand sich damit ab, schluckte diese Beleidigung. Unser Land befand sich damals in einer kritischen Lage, es konnte einfach nicht für seine Interessen einstehen. Doch die Menschen konnten sich mit dieser himmelschreienden historischen Ungerechtigkeit nicht abfinden.“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Trotz dieser nationalen Katastrophe haben wir aufrichtig einen Dialog mit unseren Kollegen im Westen angestrebt. Wir schlugen ständig eine Zusammenarbeit in Schlüsselfragen vor. Wir wünschten uns, dass unsere Beziehungen auf Augenhöhe stattfinden, dass sie offen und ehrlich seien. Aber wir sahen keinerlei Entgegenkommen.

/scene/ (Wladimir Putin, Rede zur Annexion der Krim, 18. März 2014): „Im Gegenteil, wir wurden Mal ums Mal betrogen, es wurden Entscheidungen hinter unserem Rücken getroffen, man stellte uns vor vollendete Tatsachen. So war es mit der NATO-Osterweiterung, mit der Installation von militärischer Infrastruktur an unseren Grenzen. Uns wurde immer ein und dasselbe erzählt: ‚Na, das geht euch nichts an.‘ Es ist leicht gesagt, es gehe uns nichts an. […] Unsere westlichen Partner, allen voran die Vereinigten Staaten, ziehen es vor, in ihrer praktischen Politik nicht vom Völkerrecht, sondern vom Recht des Stärkeren Gebrauch zu machen. Sie glauben an ihre Erwähltheit und Exklusivität, daran, dass sie die Geschicke der Welt lenken dürfen und daran, dass immer nur sie allein Recht haben können. Sie handeln so, wie es ihnen einfällt: mal hier, mal da wenden sie Gewalt gegen souveräne Staaten an, bilden Koalitionen nach dem Prinzip ‚wer nicht mit uns ist, ist gegen uns‘.“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Dieses Imperium der Lügen hat jahrzehntelang versucht, uns seine Regeln aufzuzwingen. Es hat versucht, unsere Werte zu zerstören und uns zu einer Kolonie zu machen. Sie wollen keine gleichberechtigte Zusammenarbeit, sie wollen plündern. Sie wollen uns nicht als freie Gesellschaft sehen, sondern als eine Masse seelenloser Sklaven.

/scene/ (Wladimir Putin, Rede zur Annexion von vier ukrainischen Gebieten, 30. September 2022): „Ihre Hegemonie hat ausgeprägte Züge von Totalitarismus, Despotismus und Apartheid. Sie teilen die Welt dreist in ihre Vasallen – die sogenannten zivilisierten Länder – und den ganzen Rest, der nach den Plänen der heutigen westlichen Rassisten auf die Liste der Barbaren und Wilden gesetzt werden sollte. Falsche Etiketten wie ‚Schurkenstaat‘ oder ‚autoritäres Regime‘ sind bereits verfügbar und werden verwendet, um ganze Nationen und Staaten zu stigmatisieren, was nichts Neues ist. […] Die westlichen Eliten sind sogar dabei, die Reue für ihre eigenen historischen Verbrechen auf alle anderen abzuwälzen und von den Bürgern ihrer Länder und anderer Völker zu verlangen, Dinge zu gestehen, mit denen sie überhaupt nichts zu tun haben, zum Beispiel die Zeit der kolonialen Eroberungen.“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Sie wollen uns nicht nur geopolitisch unterwerfen. Sie wollen unsere Seele, unsere Zivilisation zerstören.

/scene/ (Wladimir Putin, Rede zur Annexion von vier ukrainischen Gebieten, 30. September 2022): „Sie sind bereits zur radikalen Verleugnung moralischer, religiöser und familiärer Werte übergegangen. Antworten wir uns auf einige sehr einfache Fragen. Ich möchte zu dem zurückkehren, was ich gesagt habe, und mich an alle Bürger des Landes wenden – nicht nur an die Kollegen in der Halle –, sondern an alle Bürger Russlands: Wollen wir hier in unserem Land, in Russland, ‚Elternteil Nummer eins, Elternteil Nummer zwei und Elternteil Nummer drei‘ haben, statt Mutter und Vater? Wollen wir, dass unsere Schulen unseren Kindern von ihren ersten Tagen an Perversionen aufzwingen, die zu Degradation und Auslöschung führen? Wollen wir ihnen die Ideen eintrichtern, dass neben Frauen und Männern noch andere Geschlechter existieren, und ihnen eine Geschlechtsumwandlung anbieten? Das ist alles für uns inakzeptabel. Wir haben unsere eigene, andere Zukunft. Ich wiederhole, die Diktatur der westlichen Eliten richtet sich gegen alle Gesellschaften, einschließlich der Bürger der westlichen Länder selbst. Diese völlige Verleugnung dessen, was es heißt, ein Mensch zu sein, der Sturz des Glaubens und der traditionellen Werte und die Unterdrückung der Freiheit ähneln einer ‚umgekehrten Religion‘ – reinem Satanismus.“

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Und während sie uns von außen mit diesem Satanismus bedrohen, versuchen sie, uns von innen zu spalten. Sie benutzen Verräter als ihre fünfte Kolonne, um unser Land zu zerstören. Aber das russische Volk weiß, wie es damit umzugehen hat.

/scene/ (Wladimir Putin, Fernsehansprache, 16. März 2022): „Das russische Volk wird immer echte Patrioten von Abschaum und Verrätern zu unterscheiden wissen und sie einfach ausspucken wie eine Mücke, die ihnen zufällig in den Mund geflogen ist. Ich bin überzeugt, dass diese natürliche und notwendige Selbstreinigung der Gesellschaft unser Land nur stärken wird, unsere Solidarität, unseren Zusammenhalt und unsere Bereitschaft, jeder Herausforderung zu begegnen.

/scene/ [Fiktiver Übergang]: Die rote Linie wurde überschritten. Im Falle der Ukraine haben unsere westlichen Partner eine Grenze überschritten, handelten grob, verantwortungslos und unprofessionell. Auf unserem historischen Land wurde eine feindselige „Anti-Russland“-Entität geformt, vollständig von außen kontrolliert, mit dem Ziel, die NATO-Streitkräfte anzuziehen. Für unser Land ist dies eine Frage von Leben und Tod, eine Frage unserer historischen Zukunft als Nation. Sie haben uns keine andere Möglichkeit gelassen.

/scene/ (Wladimir Putin, Fernsehansprache, 24. Februar 2022): „Unter diesen Umständen müssen wir mutige und sofortige Maßnahmen ergreifen. Die Volksrepubliken des Donbass haben Russland um Hilfe gebeten. In diesem Zusammenhang habe ich gemäß Artikel 51 (Kapitel VII) der UN-Charta, mit Genehmigung des Föderationsrates Russlands und in Ausführung der Freundschafts- und Beistandsverträge […] die Entscheidung getroffen, eine spezielle Militäroperation durchzuführen. Der Zweck dieser Operation ist es, die Menschen zu schützen, die seit acht Jahren Demütigungen und Völkermord durch das Kiewer Regime ausgesetzt sind. Zu diesem Zweck werden wir die Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine anstreben. […] Wer auch immer versucht, sich uns in den Weg zu stellen oder gar eine Bedrohnung für unser Land und unser Volk zu schaffen, muss wissen, dass Russland sofort reagieren wird und die Konsequenzen so sein werden, wie Sie sie in Ihrer gesamten Geschichte noch nie gesehen haben. Wir sind auf alles vorbereitet. Alle notwendigen Entscheidungen in dieser Hinsicht sind getroffen worden. Ich hoffe, meine Worte werden gehört.“

/scene/ Die Leinwand wird wieder neutral. Dr. Reed blickt in die Runde. Eine spürbare Stille liegt über dem Studio.

Dr. Evelyn Reed (Moderatorin): Vielen Dank. Wir haben vier machtvolle, aufrüttelnde und zutiefst beunruhigende Diagnosen gehört. Die zentralen Begriffe sind Demütigung, Verrat, Belagerung und ein existenzieller Kampf um das Überleben der eigenen Nation.
/same/ Ich wende mich nun an unser Expertengremium. Dr. Shapiro, Sie als Psychoanalytikerin hören diese Reden vermutlich mit einem besonderen Ohr. Wir haben hier Erzählungen von einem „total besiegten Volk“, von „American Carnage“, von einer Verschwörung der Justiz und einem „Imperium der Lügen“ gehört. Das sind keine politischen Programme im klassischen Sinne. Was geschieht hier auf einer psychologischen Ebene? Welche Funktion erfüllen diese apokalyptischen Narrative für die Menschen, die ihnen begeistert folgen?
Dr. Lena Shapiro (Psychoanalytikerin): Sie haben absolut recht, Dr. Reed, das sind keine politischen Programme. Es sind psychologische Operationen. Was wir in allen vier Reden in fast klinischer Reinform beobachten, ist der massive Einsatz sogenannter primitiver Abwehrmechanismen. Das sind psychische Strategien, die das Ich entwickelt, um mit überwältigenden Ängsten, unerträglichen Widersprüchen und narzisstischen Kränkungen umzugehen. In Zeiten kollektiver Unsicherheit und gefühlten Kontrollverlusts neigen Gruppen dazu, auf diese frühkindlichen Muster zurückzufallen. Der zentrale Mechanismus ist die Spaltung. Die unerträglich komplexe und ambivalente Realität wird in ein einfaches, moralisch eindeutiges Schema zerlegt: Auf der einen Seite steht ein idealisiertes, vollkommen gutes „Wir“ – das unschuldige Volk, die wahren Patrioten, die verratenen Arbeiter. Auf der anderen Seite steht ein dämonisiertes, absolut böses „Sie“ – die korrupten Eliten, die verräterischen Medien, die kulturzerstörenden Fremden, der satanische Westen. Diese Spaltung bietet eine gewaltige psychische Entlastung. Sie ersetzt die quälende Unsicherheit durch eine klare, moralische Gewissheit und schafft, wie es im Artikel heißt, ein „emotional verdauliches“ Problem.
/same/ Darauf aufbauend wirkt die Projektion. Alle eigenen unerwünschten Anteile – die eigene Aggression, die eigene Korrumpierbarkeit, die historische Schuld, der Wunsch, demokratische Regeln zu brechen – werden abgespalten und dem konstruierten Feind zugeschrieben. Nicht wir sind aggressiv, wir verteidigen uns nur. Nicht unsere Bewegung will die Wahl stehlen, die anderen haben sie gestohlen. Nicht Russland bricht das Völkerrecht, der Westen hat es längst zerstört. Dieser Mechanismus reinigt das Selbstbild der eigenen Gruppe narzisstisch und macht die eigene Aggression nicht nur legitim, sondern zu einer moralischen Pflicht. Aber die vielleicht wichtigste Funktion übernimmt der Führer selbst, durch das, was wir „pervertiertes Containing“ nennen. Eine demokratische Führung würde die Ängste der Bevölkerung aufnehmen, sie „verdauen“, beruhigen und in rationale Politik übersetzen. Diese Führer tun das Gegenteil. Sie nehmen die diffusen Ängste auf, verstärken sie zu einer apokalyptischen Bedrohung – „Gemetzel“, „total besiegt“, „Krieg“ – und projizieren sie dann in konzentrierter, toxischer Form auf die Feindbilder zurück. Sie sind Brandbeschleuniger, nicht Feuerlöscher. Sie schüren die Panik, um sich dann als einziger, omnipotenter Retter anzubieten. Es entsteht eine destruktive Symbiose: Die Anhänger werden von der Angst abhängig, die der Führer selbst erzeugt, weil nur er die Erlösung verspricht. Das schafft eine libidinöse, unerschütterliche Bindung, die mit rationalen Argumenten nicht mehr zu erreichen ist.
Dr. Anja Weber (Soziologin): Wenn ich da anknüpfen darf. Dr. Shapiro hat uns eben auf brillante Weise das psychische Wie erklärt – also die Mechanismen, die hier am Werk sind. Die soziologische Frage ist aber das Warum. Warum sind unsere spätmodernen Gesellschaften so unglaublich anfällig für diese regressiven Angebote geworden? Die Antwort liegt in dem, was meine Kollegen Amlinger und Nachtwey die „gekränkte Freiheit“ genannt haben. Wir leben in einem fundamentalen, unauflöslichen Widerspruch. Auf der einen Seite steht der kulturelle Imperativ der totalen Autonomie. Die neoliberale Gesellschaft sagt jedem Einzelnen: „Sei deines Glückes Schmied! Sei erfolgreich, flexibel, authentisch, optimiere dich selbst! Du bist ein Unternehmer deiner selbst.“ Es ist ein grandioses Versprechen der Selbstermächtigung. Auf der anderen Seite steht die alltägliche, brutale Erfahrung der Ohnmacht. Ökonomisch durch prekäre Jobs und globale Märkte, auf die man keinen Einfluss hat. Politisch durch supranationale Bürokratien und globale Konzerne, die mächtiger sind als Nationalstaaten. Und – das ist vielleicht die tiefste Kränkung – epistemisch. Die sogenannte „Wissenskränkung“: Wir sollen permanent souveräne Entscheidungen treffen, über unsere Gesundheit, unsere Finanzen, unsere politische Wahl, können aber nicht mehr wissen, welchen Informationen, welchen Experten, welchen Institutionen wir noch trauen sollen.
/same/ Diese permanente Kluft zwischen dem Anspruch auf Allmacht und der Erfahrung der Ohnmacht ist eine chronische narzisstische Kränkung im Massenmaßstab. In einer Kultur, die Erfolg und Scheitern individualisiert, wird diese Kränkung aber nicht als gesellschaftliches Problem, sondern als persönliches Versagen erlebt. Das erzeugt tiefsitzende Scham und Wut. Und genau dieser explosive Affektcocktail ist der Nährboden, auf dem die autoritäre Saat aufgeht. Die Reden, die wir gehört haben, bieten keine politischen Lösungen für diese Widersprüche. Sie bieten eine psychologische Schein-Lösung. Sie validieren die Kränkung („Ihr wurdet verraten!“). Sie externalisieren die Schuld („Die Eliten, die Migranten sind schuld!“). Und sie versprechen die Wiederherstellung der verlorenen Souveränität durch die Unterwerfung unter einen starken Führer, der diese Souveränität verkörpert. Die autoritäre Bewegung ist also eine pathologische, aber aus Sicht des gekränkten Subjekts hochfunktionale Antwort auf eine reale Pathologie unserer Gesellschaft. Sie ist eine Rebellion gegen die als unerträglich empfundene Realität der eigenen Abhängigkeit und Ohnmacht.
Mr. Jack Kingston (Der Trumpist): Entschuldigung, aber ich muss hier einfach mal reingrätschen. Ich habe jetzt sehr aufmerksam zugehört, und ich muss sagen, es ist faszinierend. Es ist genau das, wovon wir die ganze Zeit reden. Sie sitzen hier in Ihrem akademischen Elfenbeinturm, werfen mit hochtrabenden Begriffen wie „primitive Abwehrmechanismen“, „narzisstische Kränkung“ und „pervertiertes Containing“ um sich und merken gar nicht, dass Sie der lebende Beweis für das Problem sind. Sie pathologisieren die Sorgen von Millionen von Menschen. Sie erklären den ganz normalen, gesunden Menschenverstand für eine psychische Störung. Ein Mann aus Ohio, der seine Arbeit in der Fabrik verloren hat, weil sie nach China verlagert wurde, und der jetzt sieht, wie illegale Einwanderer über die Grenze strömen, während seine Kinder in der Schule mit Gender-Ideologie vollgestopft werden – dieser Mann hat keine „narzisstische Kränkung“. Er ist wütend! Und er hat jedes verdammte Recht dazu!
/same/ Was Sie als „Spaltung“ bezeichnen, nennen wir Klarheit. Ja, es gibt Gut und Böse. Es gibt die Patrioten, die dieses Land lieben, und es gibt die Globalisten, die es ausverkaufen wollen. Das ist keine psychologische Störung, das ist die Realität. Was Sie als „Projektion“ abtun, nennen wir die Benennung der Schuldigen. Und was Sie verächtlich als „pervertiertes Containing“ bezeichnen, ist das, was wir Führung nennen! Ja, unser Führer hat die Angst nicht beruhigt. Er hat sie benannt! Er hat das „American Carnage“ beim Namen genannt, weil es real ist! Er hat den Schmerz der Menschen nicht therapiert, er hat ihn gefühlt und ihm eine Stimme gegeben. Sie wollen die Menschen beruhigen, damit sie weiter schlafen, während ihr Haus abbrennt. Wir wollen sie aufwecken, damit sie anfangen zu löschen! Sie analysieren uns, als wären wir Patienten in einer Anstalt. Aber wir sind keine Patienten. Wir sind die Heilung. Wir sind die Antikörper gegen die Krankheit, die Sie und Ihre Elite über dieses Land gebracht haben. Ihre ganze Analyse ist nichts weiter als eine weitere Waffe der Eliten, um die Stimme des Volkes zum Schweigen zu bringen, indem man sie für verrückt erklärt.

Dr. Evelyn Reed (Moderatorin): Mr. Kingston, danke für diese… leidenschaftliche Intervention. Sie haben einen entscheidenden Punkt gemacht: Sie wehren sich gegen die Pathologisierung. Sie sagen, es ist keine psychische Störung, sondern eine berechtigte Wut. Professor Richter, der zugrundeliegende Artikel argumentiert aber, dass es hier nicht nur um Wut geht. Er spricht von einer fast lustvollen, euphorischen Komponente. Wenn Sie Mr. Kingstons emotionale Energie sehen, oder an die „Lock her up!“-Sprechchöre denken – ist das nur Wut oder steckt da mehr dahinter?
Professor Elias Richter (Kritischer Sozialphilosoph): Mr. Kingston hat uns gerade eine perfekte Demonstration dessen geliefert, was der Artikel mit dem Begriff der Jouissance zu fassen versucht. Er hat vollkommen recht, wenn er sagt, dass es hier nicht primär um eine Therapie geht. Das wäre eine Verkennung des Phänomens. Die Bewegungen, über die wir sprechen, bieten keine Heilung im klinischen Sinne an. Sie bieten etwas viel Stärkeres, etwas Berauschenderes: Genuss. Jouissance ist ein exzessiver, paradoxer Genuss, der im Akt der Transgression, des Tabubruchs, liegt. Jede Gesellschaft, jede Zivilisation basiert auf Verboten. Das liberale, „politisch korrekte“ Establishment hat unzählige solcher ungeschriebenen Gesetze erlassen: Du sollst nicht pauschalisieren, du sollst nicht intolerant sein, du sollst deine nationalen Gefühle mäßigen. Jahrzehntelang hat sich darunter ein Ressentiment aufgestaut, das Gefühl, von diesen Regeln erstickt zu werden.
/same/ Der autoritäre Führer – und die Sprecher wie Mr. Kingston – sind Figuren, die eine Lizenz zum Genießen dieses Tabubruchs erteilen. Ihre Botschaft ist nicht: „Lasst uns eure Angst therapieren.“ Ihre Botschaft lautet: „Genießt! Genießt es, endlich das Unsagbare zu sagen! Genießt es, die Eliten als ‚dumm‘ und ‚korrupt‘ zu bezeichnen! Genießt eure Wut, euren Hass, eure ‚unpolitisch korrekten‘ Witze!“ Der „Lock her up!“-Ruf ist keine politische Forderung. Es ist ein Ritual der gemeinsamen, obszönen Solidarität. Die Menge genießt den kollektiven Bruch mit der zivilisatorischen Norm, eine politische Gegnerin ohne Prozess einsperren zu wollen. Es ist die lustvolle Entladung aufgestauter Aggression. Mr. Kingstons Ausbruch hier war kein rationales Argument, es war ein performativer Akt. Er genießt es sichtlich, uns, die „analysierende Elite“, mit unseren eigenen Begriffen zu verspotten. Und das ist genau die Energie, die diese Bewegungen antreibt. Es ist nicht nur die Abwehr von Scham, es ist die lustvolle Hinwendung zu einer verbotenen, aber als authentisch empfundenen Form des Genusses. Das ist der libidinale Kitt, der diese Gemeinschaften zusammenschweißt und sie für Fakten immun macht. Denn welche Statistik kann schon gegen die ekstatische Erfahrung der kollektiven Enthemmung ankommen?
Dr. Albrecht von Hagen (Deutscher Rechts-Nationaler): Professor Richter, Ihre Analyse ist scharfsinnig, aber sie verfällt demselben Fehler wie alle hedonistischen Theorien der Linken: Sie reduziert alles auf den Trieb, auf den Genuss, auf das Irrationale. Sie übersehen die geistige und historische Dimension vollständig. Was Sie als „lustvollen Tabubruch“ pathologisieren, ist in Wahrheit ein Akt der geistigen Notwehr und der nationalen Genesung. Sie sprechen von den Verboten der „politischen Korrektheit“. Aber das ist kein Spiel. Es ist ein System der Umerziehung, ein mentaler Käfig, der in Deutschland nach 1945 errichtet wurde, um das deutsche Volk in einem Zustand ewiger historischer Schuld zu halten. Der sogenannte „Schuldkult“ ist kein Gefühl, er ist eine staatlich verordnete Doktrin, die jeden natürlichen, gesunden Patriotismus als moralische Verfehlung brandmarkt.
/same/ Wenn wir also fordern, dass die deutsche Geschichte mehr ist als ein „Vogelschiss“, dann ist das kein Akt infantiler Lustbefriedigung. Es ist der Versuch, unserem Volk seine historische Wirbelsäule zurückzugeben. Es ist der Versuch, aus dem Zustand eines „total besiegten Volkes“ herauszutreten und wieder ein normales, geschichtsbewusstes Volk zu werden, so wie die Franzosen oder die Briten es sind. Sie deuten die Aggression gegen das „Denkmal der Schande“ als bloßen Tabubruch. Aber es ist eine tiefgreifende philosophische Kritik! Es ist die Kritik an einer Erinnerungskultur, die sich auf die Pathologie der Täter fixiert, anstatt die Opfer zu ehren und die großen, positiven Traditionslinien unserer Nation zu würdigen. Sie sehen nur den Affekt, den Tabubruch. Wir sehen den Kampf um die Deutungshoheit, um die Seele unserer Nation. Sie deuten die Befreiung aus diesem mentalen Gefängnis als regressive „Jouissance“. Wir nennen es Freiheit.
Professor Ivan Volkov (Russischer Souveränist): Dr. von Hagen spricht von einem „mentalen Käfig“, und das ist ein sehr treffender Ausdruck. Russland hat einen ähnlichen, wenn auch weitaus brutaleren Käfig erlebt. Nach 1991 wurde uns die Ideologie des Westens als die einzig gültige Wahrheit aufgezwungen. Man hat uns belehrt, gedemütigt und uns gesagt, wir seien am „falschen Ende der Geschichte“ gelandet. Man hat uns versprochen, die NATO nicht zu erweitern, und hat uns dann belogen und diesen Militärblock bis an unsere Haustür herangeschoben. Das ist die narzisstische Kränkung, von der die Analyse spricht. Es ist die Demütigung einer tausendjährigen Zivilisation, die behandelt wird wie ein ungezogener Schüler. Was der Westen nicht versteht, ist, dass diese Handlungen Konsequenzen haben.
/same/ Ihre Theorien, Dr. Shapiro, Professor Richter, sind faszinierend, aber sie sind Produkte ebenjener westlichen, liberalen Dekadenz, die sie zu analysieren vorgeben. Sie sprechen von „Jouissance“ und „Tabubruch“, als ob der Wunsch nach nationaler Souveränität eine perverse sexuelle Abweichung wäre. Sie pathologisieren das Natürlichste auf der Welt: den Willen eines Volkes, seine eigenen Werte zu verteidigen, seine eigene Zukunft zu gestalten und nicht als „seelenlose Sklaven“ oder Vasallen eines „Imperiums der Lügen“ zu enden. Die Rede von unserem Präsidenten, die Sie gehört haben, ist kein Fall für die Couch. Sie ist eine historische Notwendigkeit. Es ist die Wiederherstellung des Gleichgewichts in einer Welt, die durch die Hybris einer einzigen Macht aus den Fugen geraten ist. Was Sie als „Projektion“ bezeichnen – etwa wenn wir auf die aggressive Expansion der NATO hinweisen –, ist schlichte Realitätsbeschreibung. Was Sie „pervertiertes Containing“ nennen, ist die Pflicht eines jeden verantwortungsvollen Staatschefs: die diffuse Angst seines Volkes vor Chaos und Auslöschung zu bündeln und auf die reale Quelle der Bedrohung zu richten. Sie analysieren die Verteidigung unserer Zivilisation als eine psychische Störung. Das sagt weniger über uns aus als über den Zustand Ihrer eigenen, in Selbstzweifel und Schuldgefühlen zerfallenden Zivilisation.
Professor Mark Jennings (Politikpsychologe): Das ist ein sehr eloquenter Abwehrmechanismus, Professor Volkov. Sie kehren die Analyse einfach um und erklären den Analytiker für krank. Das ist ein klassisches Manöver. Aber ich möchte die Diskussion für einen Moment von der hohen Theorie und den geopolitischen Narrativen auf den Boden der Tatsachen zurückbringen – auf messbare Daten. Denn das Faszinierende ist, dass die psychoanalytischen Konzepte, die wie poetische Metaphern klingen, erstaunlich präzise empirische Korrelate in der Bevölkerung haben. Wir können diese Dispositionen tatsächlich messen. Wenn Dr. Shapiro von „Spaltung“ spricht, dann messen wir in der politischen Psychologie das, was wir „affektive Polarisierung“ nennen. Das ist die emotionale Kluft, der Hass zwischen politischen Lagern. Und die Daten zeigen eindeutig: Diese Polarisierung explodiert in den letzten Jahren in westlichen Gesellschaften. Es geht nicht mehr um Meinungsverschiedenheiten, die Leute betrachten die andere Seite buchstäblich als böse und als Bedrohung für die Nation.
/same/ Wenn wir von der Sehnsucht nach einem starken Führer sprechen, dann messen wir das seit Jahrzehnten mit Skalen zum „Right-Wing Authoritarianism“ oder RWA. Und wir sehen, dass Menschen, die auf diesen Skalen hohe Werte erzielen, eine hohe Bereitschaft zur Unterwerfung unter Autoritäten und gleichzeitig eine hohe Bereitschaft zur Aggression gegen Außenseiter zeigen. Das ist exakt die sado-masochistische Struktur, die schon Fromm beschrieben hat. Und wenn Professor Richter von „Jouissance“ am Tabubruch und der Zerstörung spricht, dann, und das ist die neueste und vielleicht beunruhigendste Entwicklung, messen wir genau das mit der sogenannten „Need for Chaos“-Skala. Es gibt tatsächlich einen messbaren Anteil der Bevölkerung, der Aussagen zustimmt wie: „Ich denke, die Gesellschaft sollte bis auf die Grundmauern niedergebrannt werden.“ Diese Menschen teilen Desinformation nicht, weil sie daran glauben, sondern weil sie es genießen, das System zu destabilisieren. Die psychoanalytische Diagnose ist also keine Fiktion. Sie beschreibt eine psychische Realität, die wir mit unseren Instrumenten in der Bevölkerung nachweisen können. Die Frage ist nicht, ob diese Mechanismen existieren, sondern warum sie heute so eine immense politische Macht entfalten. Und da komme ich wieder auf die Diagnose von Frau Dr. Weber zurück: Die „gekränkte Freiheit“ scheint der perfekte emotionale Nährboden für diese messbaren autoritären Dispositionen zu sein.

Dr. Lena Shapiro (Psychoanalytikerin): Ich möchte auf das eingehen, was Herr Dr. von Hagen und Herr Professor Volkov gesagt haben. Beide argumentieren, und das ist psychodynamisch hochinteressant, dass ihre jeweiligen Bewegungen Akte der „Genesung“, der „Notwehr“, der Wiederherstellung einer „historischen Wirbelsäule“ seien. Sie rahmen ihre Ideologie als eine therapeutische Maßnahme für eine kranke Nation. Und genau hier liegt der Kern der Perversion, die wir analysieren. Sie erkennen die Krankheit – die Kränkung, die Demütigung, das Gefühl der Ohnmacht – korrekt. Aber die „Heilung“, die sie anbieten, ist pures Gift. In einer echten Therapie, in einem Prozess der Reifung, würde man versuchen, die schmerzhaften, abgespaltenen Teile der eigenen Identität zu integrieren. Man würde lernen, Ambivalenz auszuhalten: Ja, die deutsche Geschichte hat großartige Leistungen hervorgebracht und sie hat die Singularität des Holocaust zu verantworten. Ja, Russland ist eine große Zivilisation und es hat eine Geschichte imperialer Unterdrückung. Die Fähigkeit, solche Widersprüche auszuhalten, ohne psychisch zu zerbrechen, ist ein Zeichen von Ich-Stärke und Reife.
/same/ Ihre Bewegungen tun das genaue Gegenteil. Sie heilen die narzisstische Wunde nicht, indem sie sie schließen, was eine schmerzhafte Trauerarbeit erfordern würde. Sie „heilen“ sie, indem sie den Schmerz externalisieren und in einen permanenten Kampf gegen einen äußeren Feind verwandeln. Der unerträgliche innere Konflikt wird in einen übersichtlichen äußeren Krieg projiziert. Die Scham über die NS-Zeit wird zum „Schuldkult“ umgedeutet, der von einer verräterischen Elite auferlegt wird. Das Gefühl der post-sowjetischen Ohnmacht wird zur Aggression des „satanischen Westens“. Das ist keine Genesung. Das ist die Errichtung einer paranoiden Struktur. Die Gruppe wird psychisch stabilisiert, indem sie sich in einer permanenten Kampf-Flucht-Annahme einrichtet, wie Bion es nennen würde. Sie ist nur noch durch die Existenz eines Feindes definiert, den es zu bekämpfen gilt. Das Problem dabei ist: Ein solches System kann nicht in Frieden leben. Es braucht die permanente Eskalation, den permanenten Feind, um seine innere Kohäsion zu wahren. Die „Heilung“ ist also eine chronische, selbst erzeugte Paranoia, die immer wieder neue Feinde finden muss, um nicht mit dem eigenen inneren Schmerz, der eigenen Leere und der eigenen historischen Ambivalenz konfrontiert zu werden. Sie bieten keine Therapie an, sie bieten eine Droge an – die Droge des Hasses und der permanenten Mobilisierung.
Dr. Albrecht von Hagen (Deutscher Rechts-Nationaler): Frau Dr. Shapiro, Sie argumentieren aus einer zutiefst liberalen, universalistischen Perspektive, die das Pathologische im Partikularen, im Nationalen, im Abgegrenzten sieht und das Gesunde im universalen, grenzenlosen, ambivalenten „Aushalten“. Sie verkennen dabei, dass eine Identität, ob individuell oder kollektiv, Grenzen braucht. Eine Identität, die alles und nichts ist, ist keine Identität mehr. Sie zerfließt, sie wird bedeutungslos. Was Sie als reife „Ich-Stärke“ bezeichnen, die Fähigkeit, Widersprüche zu integrieren, ist in Wahrheit die psychische Signatur einer entwurzelten, dekadenten Zivilisation, die nicht mehr den Mut hat, zu definieren, wer sie ist und wer sie nicht ist. Sie haben vollkommen recht: Wir definieren uns über einen Feind. Jede gesunde, lebensfähige Gemeinschaft in der Geschichte hat sich über einen Feind definiert, über eine Abgrenzung zum Anderen. Das „Wir“ konstituiert sich immer in der Auseinandersetzung mit einem „Sie“. Carl Schmitt nannte dies die Unterscheidung zwischen Freund und Feind als das Wesen des Politischen.
/same/ Sie nennen dies „Spaltung“ und pathologisieren es als einen primitiven Mechanismus. Wir nennen es Selbsterhaltung. Sie sprechen von „Trauerarbeit“ und meinen damit die ewige Selbstbezichtigung, die uns handlungsunfähig macht. Wir sprechen von der Überwindung dieser selbstzerstörerischen Neurose, um wieder handlungsfähig zu werden. Sie preisen die Ambivalenz. Wir aber sagen, dass ein Volk, das in existenziellen Fragen ambivalent ist – in der Frage, ob es seine Grenzen schützen oder auflösen soll, ob es seine Kultur bewahren oder in einem multikulturellen Brei aufgehen lassen soll –, ein sterbendes Volk ist. Die Klarheit, die Sie fürchten, die Eindeutigkeit, die Sie als „primitiv“ abwerten, ist kein psychologisches Defizit. Sie ist ein Zeichen von Vitalität. Sie ist der Wille, zu überleben. Ihr Ideal des ewig reflektierenden, ambivalenten, sich selbst in Frage stellenden Subjekts ist eine Luxus-Psychologie für gute Zeiten. Wir aber leben in einer Zeit des existenziellen Kampfes. Und in einem solchen Kampf braucht man keine Therapeuten, die einem sagen, man solle die Perspektive des Feindes „aushalten“. Man braucht Soldaten, die wissen, auf welcher Seite sie stehen. Ihre Psychoanalyse ist das perfekte Beruhigungsmittel für eine Gesellschaft, die sich selbst aufgibt.
Professor Mark Jennings (Politikpsychologe): Das ist ein faszinierender Punkt, Dr. von Hagen, weil er direkt in das Herz der empirischen Forschung führt. Sie stellen die Klarheit und die Freund-Feind-Unterscheidung als Zeichen von Vitalität dar, als eine gesunde, notwendige Reaktion in Krisenzeiten. Die psychologische Forschung zeichnet jedoch ein völlig anderes und, ehrlich gesagt, viel düstereres Bild davon, wer diese „Klarheit“ am dringendsten braucht. Wir haben jahrzehntelange Forschung, die zeigt, dass Menschen mit einer geringen „kognitiven Komplexität“ – also Menschen, die Schwierigkeiten haben, in Grautönen zu denken und widersprüchliche Informationen zu integrieren – unter Unsicherheit und Bedrohung besonders stark zu autoritären und vorurteilsbehafteten Einstellungen neigen. Die „Klarheit“ der einfachen Antworten und der klaren Feindbilder ist kein Zeichen von Stärke, sondern ein psychologisches Rettungsfloß für ein Ich, das droht, von der Komplexität der Welt überwältigt zu werden.
/same/ Wenn wir uns die Persönlichkeitsmerkmale ansehen, die mit der Unterstützung autoritär-populistischer Bewegungen korrelieren, finden wir immer wieder dieselben Muster: eine geringe Offenheit für neue Erfahrungen, ein hohes Bedürfnis nach kognitiver Geschlossenheit (Need for Cognitive Closure) und eben eine geringe Ambiguitätstoleranz. Das sind nicht meine Interpretationen, das sind robuste, replizierbare Befunde aus Hunderten von Studien weltweit. Das autoritäre Angebot ist attraktiv, weil es eine psychische Entlastung von der Anstrengung des Denkens verspricht. Und was die „Vitalität“ des Kampfes angeht: Unsere Forschung zur „affektiven Polarisierung“ zeigt, dass der Hass auf die Gegenseite zu einer zentralen, identitätsstiftenden Emotion geworden ist, die stärker mobilisiert als die Zuneigung zur eigenen Partei. Die Menschen wissen oft gar nicht mehr, wofür sie sind, aber sie wissen mit brennender Leidenschaft, wogegen sie sind. Und – das ist der Punkt, den Professor Richter mit „Jouissance“ anspricht – diese negative Emotion scheint tief befriedigend zu sein. Menschen, die sich an der Demütigung von politischen Gegnern erfreuen, zeigen eine höhere Aktivität in den Belohnungszentren des Gehirns. Hass fühlt sich gut an. Er schafft ein Gefühl der moralischen Überlegenheit und der Gruppenzugehörigkeit. Die Daten deuten also darauf hin, dass die von Ihnen als „Vitalität“ beschriebene Haltung eher eine Art süchtig machender Fieberzustand ist: Er verleiht ein kurzfristiges Gefühl von Energie und Klarheit, verbrennt aber langfristig die psychischen und sozialen Ressourcen, die eine Gesellschaft für komplexes Problemlösen braucht. Es ist keine gesunde Reaktion, es ist das Symptom einer tiefen kognitiven und emotionalen Überforderung.

Mr. Jack Kingston (Der Trumpist): Professor, Sie machen genau da weiter, wo Ihre Kollegin aufgehört hat. Sie werfen mit Studien um sich, die niemand kennt, und erzählen uns etwas von „geringer kognitiver Komplexität“. Wissen Sie, was das in normalem Englisch bedeutet? Sie nennen die hart arbeitenden Menschen in meinem Land dumm. Das ist es, was Sie tun. Sie verpacken es in schicke akademische Sprache, aber die Botschaft ist dieselbe, die wir seit Jahren von den Eliten hören: Wer nicht unserer Meinung ist, ist ungebildet, primitiv, ein zurückgebliebener Hinterwäldler, der die „komplexe Welt“ nicht versteht. Es ist die arroganteste, herablassendste Haltung, die man sich vorstellen kann. Und Sie wundern sich, warum die Leute wütend sind? Sie sind wütend, weil Leute wie Sie seit Jahrzehnten auf sie herabspucken.
/same/ Sie sprechen von „Ambiguitätstoleranz“. Ein Stahlarbeiter in Pennsylvania, der sieht, wie seine Stadt stirbt, während Washington Milliarden in die Ukraine schickt, braucht keine „Ambiguitätstoleranz“. Er braucht einen Job! Eine Mutter in Texas, die Angst hat, ihre Kinder in den Park zu lassen, weil Drogenkartelle die Grenze kontrollieren, braucht keine „kognitive Komplexität“. Sie braucht eine Mauer! Sie reduzieren reale, existenzielle Probleme auf psychologische Defizite derer, die darunter leiden. Es ist eine perverse Täter-Opfer-Umkehr. Das Problem ist nicht, dass die Menschen zu dumm sind, die Komplexität der Globalisierung zu verstehen. Das Problem ist, dass die Globalisierung sie kaputt macht! Und sie haben es satt, sich von Leuten, die davon profitieren, sagen zu lassen, sie seien psychologisch unterentwickelt.
/same/ Und wissen Sie, was das Verrückteste ist? Ihre ganze Analyse ist eine riesige Projektion. Sie werfen uns Schwarz-Weiß-Denken vor, aber Sie sind diejenigen, die die Welt in „komplexe, aufgeklärte Liberale“ wie Sie selbst und „primitive, autoritäre Deplorables“ aufteilen. Das ist Ihre Spaltung! Sie werfen uns Hass vor, aber ich habe selten so viel Verachtung und Hass gehört wie in der Art und Weise, wie die Eliten über unsere Wähler sprechen. Donald Trump hat diesen Menschen ihre Würde zurückgegeben. Er hat ihnen gesagt: „Ihr seid nicht dumm, ihr seid nicht rückständig. Ihr seid das Herz und die Seele dieses Landes. Und eure Wut ist gerechtfertigt.“ Das ist es, was Sie nicht verstehen können oder wollen. Es geht nicht um Psychologie. Es geht um Respekt. Und den haben Sie uns jahrzehntelang verweigert. Und jetzt schlagen wir zurück. Und Sie nennen es eine Krankheit.
Dr. Anja Weber (Soziologin): Mr. Kingston, ich höre Ihre Wut und Ihren Schmerz über die wahrgenommene Missachtung, und ich glaube, es ist entscheidend, dass wir diesen Punkt ernst nehmen, ohne sofort in eine Abwehrhaltung zu verfallen. Niemand hier, und ganz sicher nicht die soziologische Analyse, will Millionen von Menschen als „dumm“ bezeichnen. Das wäre absurd und unproduktiv. Das Konzept der „gekränkten Freiheit“ versucht genau das Gegenteil: Es versucht, die legitimen Gründe für diese Wut zu verstehen. Es geht nicht darum, Menschen psychologisch zu disqualifizieren, sondern darum, die sozialen Bedingungen zu analysieren, die sie in eine unerträgliche Lage bringen. Und da hat Mr. Kingston absolut recht: Es sind reale Probleme. Der Verlust von Industriearbeitsplätzen ist real. Das Gefühl des Kontrollverlustes gegenüber globalen Prozessen ist real. Die Angst vor sozialem Abstieg ist real.
/same/ Der entscheidende Punkt ist aber die Frage nach der Verarbeitung dieser realen Probleme. Und hier zeigt uns die Soziologie eine dramatische Verschiebung. In früheren Epochen wurde solcher Protest oft in kollektive, solidarische und zukunftsorientierte politische Projekte kanalisiert – zum Beispiel in Gewerkschaften, die für bessere Löhne kämpften, oder in sozialen Bewegungen, die eine Reform des Sozialstaats forderten. Es ging darum, das System zu verändern, um die eigene Lage zu verbessern. Die heutige autoritäre Rebellion scheint nach einer anderen Logik zu funktionieren. Sie ist, wie Amlinger und Nachtwey es nennen, oft „libertär-autoritär“. Sie zielt weniger auf die solidarische Veränderung des Systems als auf die radikale Verteidigung einer absolut gesetzten, narzisstischen Freiheit des Einzelnen gegen das System. Es ist die Rebellion im Namen des „Lass mich in Ruhe!“. Jede staatliche Maßnahme, von der Maskenpflicht bis zur Klimaschutzauflage, wird als unerträglicher Angriff auf die persönliche Souveränität empfunden.
/same/ Das ist eine zutiefst apolitische Form des Protests, weil sie die Illusion der totalen Autarkie aufrechterhält und die Realität unserer gegenseitigen Abhängigkeit leugnet. Und sie ist hochgradig anfällig für die Sündenbock-Logik, die wir hier diskutieren. Weil man die strukturellen Ursachen der eigenen Ohnmacht nicht mehr adressieren kann oder will, sucht man nach personalisierten Schuldigen. Es ist einfacher, „die Migranten“ oder „die Eliten“ zu hassen, als die komplexen Widersprüche des globalen Kapitalismus anzugehen. Unsere Analyse ist also kein Akt der Verachtung, sondern ein Akt der Sorge. Wir sehen, wie reale, legitime Wut in destruktive, ressentimentgeladene und letztlich selbstzerstörerische politische Formen abgleitet, die am Ende niemandem helfen – am allerwenigsten den „vergessenen Männern und Frauen“, deren Interessen sie zu vertreten vorgibt.
Professor Elias Richter (Kritischer Sozialphilosoph): Und genau diese „Abgleitung“, von der Dr. Weber spricht, ist kein Zufall. Es ist ein aktiver Prozess der ideologischen Formung. Dr. von Hagen hat vorhin Carl Schmitt und die Freund-Feind-Unterscheidung als Essenz des Politischen beschworen. Das ist die intellektuelle Rechtfertigung für die affektive Logik der Spaltung. Aber was er und auch die anderen Vertreter hier tun, geht über Schmitt hinaus. Sie bieten nicht nur eine politische Analyse, sie bieten eine umfassende, metaphysische Deutung der Welt. Professor Volkov spricht vom „Satanismus“ des Westens. Mr. Kingston von einem quasi-apokalyptischen Kampf zwischen „Patrioten“ und „Globalisten“. Dr. von Hagen von einem „existenziellen Kampf“ um das Überleben des Volkes.
/same/ Das ist die Sprache der Religion, nicht der Politik. Was hier passiert, ist die Transformation politischer Antagonismen in einen metaphysischen Krieg zwischen Gut und Böse. Und das ist psychoanalytisch gesehen eine Form der Regression von der Stufe des symbolischen Konflikts – dem Streit um Gesetze und Ressourcen innerhalb einer gemeinsamen Ordnung – zur Stufe des imaginären Vernichtungskampfes. Der politische Gegner ist nicht mehr jemand mit anderen Interessen, er ist die Inkarnation des Bösen, ein Dämon, der ausgetrieben werden muss. Und der eigene Führer ist nicht mehr ein Politiker, er ist ein Erlöser, ein Messias, ein „Mito“, wie man in Brasilien ruft.
/same/ Diese Sakralisierung der Politik hat eine entscheidende psychische Funktion: Sie entbindet das Subjekt von der Last der rationalen Urteilsfindung und der Verantwortung. Wenn man auf der Seite Gottes oder der Geschichte gegen den Teufel kämpft, gibt es keine Ambivalenz mehr. Jeder Kompromiss ist Verrat. Jede Grausamkeit ist gerechtfertigt. Die Lüge im Dienst der höheren Wahrheit ist keine Lüge mehr. Wir sehen hier die Errichtung einer geschlossenen, paranoiden Weltsicht, die immun ist gegen jede Form von Realitätsprüfung. Und sie bietet, und damit komme ich zur Jouissance zurück, einen ungeheuren narzisstischen Gewinn. Man ist nicht mehr nur ein frustrierter Bürger, man ist ein Kreuzritter in einem heiligen Krieg. Man ist Teil von etwas Großem, Bedeutsamem. Diese erhebende, ekstatische Erfahrung der Teilhabe an einem metaphysischen Drama ist eine unglaublich starke Droge. Sie erklärt die quasi-religiöse Hingabe, die wir beobachten, und die absolute Unfähigkeit dieser Bewegungen, sich selbst zu kritisieren oder aus Fehlern zu lernen. Denn im heiligen Krieg gibt es keine Fehler, nur Prüfungen und Verrat.

Dr. Albrecht von Hagen (Deutscher Rechts-Nationaler): Professor Richter, Ihre Analyse gipfelt nun also im Vorwurf der „Sakralisierung“ und der „Religion“. Sie werfen uns vor, dass wir dem politischen Kampf einen höheren Sinn verleihen. Ich frage Sie: Ist das nicht genau das, was Sie und Ihre politische Tradition seit Jahrzehnten tun? Was ist der „Antifaschismus“ anderes als eine säkulare Religion mit ihren eigenen Heiligen, Märtyrern, Dogmen und Ketzern? Was ist der Glaube an die „offene Gesellschaft“ oder die „universellen Menschenrechte“ anderes als ein metaphysisches Projekt, das mit missionarischem Eifer in die Welt getragen wird? Sie werfen uns vor, den Gegner zu dämonisieren. Aber was tun Sie denn, wenn Sie jeden, der die unkontrollierte Einwanderung kritisiert, als „Nazi“, „Rassisten“ oder „Menschenfeind“ brandmarken? Sie exkommunizieren ihn aus der Gemeinschaft der anständigen Menschen. Das ist nichts anderes als die moderne Form des Scheiterhaufens.
/same/ Ihre gesamte liberal-linke Ideologie ist eine universalistische Heilslehre, die nur ihr eigenes Gut und Böse kennt. Gut ist der entwurzelte, kosmopolitische Weltbürger. Böse ist der in seiner Heimat, seiner Kultur und seiner Tradition verwurzelte Mensch. Sie sprechen von „Regression“, wenn wir von Volk, Nation und Identität sprechen. Aber was ist regressiver als die infantile Utopie einer grenzenlosen Welt ohne Unterschiede, ohne Konflikte, in der alle Menschen Brüder sind? Das ist eine Phantasie, die jede historische und anthropologische Realität leugnet. Die Realität, Professor, ist der Kampf. Der Kampf der Kulturen, der Völker, der Interessen. Das war immer so und wird immer so sein.
/same/ Wir sakralisieren die Politik nicht. Wir erkennen lediglich an, dass die Politik immer eine existentielle Dimension hat. Es geht um das Überleben, die Behauptung der eigenen Lebensform gegen eine andere. Sie haben uns diesen Kampf aufgezwungen, indem Sie versucht haben, unsere Lebensform durch Masseneinwanderung und kulturelle Umerziehung aufzulösen. Wir nehmen diesen Kampf nur an. Sie nennen es „paranoid“, wenn wir von einem „großen Austausch“ sprechen. Aber wir öffnen nur die Augen und beschreiben, was jeder sehen kann, der sehen will. Ihre Psychoanalyse ist hier nur ein weiteres Instrument, um die Realität zu verschleiern und diejenigen zu pathologisieren, die es wagen, sie zu benennen. Sie ist die Theologie Ihrer säkularen Religion.
Professor Ivan Volkov (Russischer Souveränist): Dr. von Hagen hat den Kern des Problems erfasst. Die Analyse des Expertengremiums ist nicht neutral. Sie ist die Selbstbeschreibung und Selbstverteidigung des liberalen Westens, der seine eigene ideologische Weltsicht für die universelle Vernunft hält. Sie sprechen von „Realitätsprüfung“, aber was ist die „Realität“? Ist es die Realität, dass der Westen das Völkerrecht nach Belieben bricht, in Jugoslawien, im Irak, in Libyen, und sich dann als Hüter ebenjenes Völkerrechts aufspielt, wenn es ihm passt? Ist es die Realität, dass westliche Eliten eine „regelbasierte Ordnung“ proklamieren, deren Regeln sie selbst schreiben und nach Gutdünken ändern? Das, was Sie als „paranoide Weltsicht“ Russlands abtun, ist nichts anderes als die Weigerung, diese heuchlerische und zynische „Realität“ zu akzeptieren.
/same/ Wir haben die Welt gesehen, wie sie ist, nicht wie der Westen sie gerne hätte. Wir haben die Demütigung der 1990er Jahre erlebt, als man unser Land wie eine Kolonie behandelte. Wir haben die gebrochenen Versprechen erlebt. Ihre Analyse spricht von der „Externalisierung“ von Schuld. Aber die Schuld für die heutige Konfrontation liegt nicht in der russischen Psyche. Sie liegt in den realen, aggressiven Handlungen des Westens. Die NATO-Osterweiterung ist keine russische Paranoia, sie ist eine geostrategische Tatsache. Der vom Westen unterstützte Putsch in der Ukraine 2014 ist keine Fiktion, er ist ein historisches Ereignis.
/same/ Sie analysieren die Wiederherstellung unseres nationalen Stolzes und unserer Souveränität als eine Art psychologisches Kompensationsgeschäft für eine „narzisstische Kränkung“. Das ist eine tiefgreifende Beleidigung. Es ist der Versuch, den legitimen Willen eines großen Volkes zur Selbstbehauptung auf eine infantile Trotzreaktion zu reduzieren. Es zeigt die koloniale Arroganz, die in Ihrem Denken steckt. Sie können sich nicht vorstellen, dass ein anderer Akteur auf der Weltbühne aus eigenen, legitimen, historischen und zivilisatorischen Gründen handelt. Er muss immer nur auf Ihre Handlungen „reagieren“, er muss immer psychologisch „verarbeiten“, was Sie ihm antun. Wir haben aufgehört, zu reagieren. Wir haben begonnen, zu handeln. Und wir handeln, um unsere eigene, souveräne Zukunft zu sichern und eine multipolare Welt zu schaffen, in der es keine Hegemonen und keine Vasallen mehr gibt, sondern nur noch souveräne Zivilisationen. Das ist keine Psychologie, das ist Geopolitik.
Dr. Lena Shapiro (Psychoanalytikerin): Ich danke Ihnen, Professor Volkov, für diese sehr klare Darlegung. Sie illustriert auf tragische Weise den Mechanismus der projektiven Identifikation in Reinform. Sie werfen uns vor, wir würden Sie in eine Ecke drängen, in der Sie nur noch „reagieren“ können. Aber in der Art und Weise, wie Sie argumentieren, zwingen Sie uns in genau diese Rolle. Sie konstruieren uns, den Westen, als einen monolithischen, böswilligen Akteur, der Sie permanent demütigt und betrügt. Sie schreiben uns all die Intentionen zu – Zerstörung, Kolonialisierung, Satanismus –, die dann Ihre eigenen aggressiven Handlungen als reine Notwehr erscheinen lassen. Und durch diesen Akt der Projektion provozieren Sie genau die Reaktion des Westens – Sanktionen, militärische Unterstützung für die Ukraine –, die dann wiederum Ihre ursprüngliche paranoide Weltsicht bestätigt. Es ist ein perfekt geschlossener, selbsterfüllender Kreislauf.
/same/ Sie sagen: „Wir handeln nur, weil ihr uns dazu zwingt.“ Aber unbewusst ist es eine Interaktion, in der Sie uns die Rolle des Aggressors zuschreiben, damit Sie die Rolle des unschuldigen, sich wehrenden Opfers einnehmen können, selbst während Sie einen brutalen Angriffskrieg führen. Das ist das Wesen der projektiven Identifikation: Man legt die eigenen, unerträglichen aggressiven Anteile in den Anderen hinein und zwingt ihn, sich entsprechend dieser Projektion zu verhalten, um die eigene Unschuld zu beweisen. Und Herr Dr. von Hagen, Sie tun strukturell dasselbe. Sie werfen den „Eliten“ vor, sie würden Sie aus der Gemeinschaft exkommunizieren, aber Ihre gesamte Rhetorik zielt darauf ab, eine unüberbrückbare Kluft zwischen dem „wahren Volk“ und den „Verrätern“ zu schaffen. Sie agieren genau so spaltend, wie Sie es dem Gegner vorwerfen. In beiden Fällen sehen wir eine Unfähigkeit, die eigene Verantwortung für die Dynamik der Eskalation anzuerkennen. Die Schuld liegt immer und ausschließlich beim Anderen. Diese totale Externalisierung der Schuld ist ein Kennzeichen einer sehr fragilen Ich-Struktur, die keine eigene Ambivalenz ertragen kann und daher gezwungen ist, eine Welt aus reinen Opfern und reinen Tätern zu konstruieren.

/note/ Die Spannung im Studio ist greifbar. Dr. Shapiros Analyse der projektiven Identifikation hängt wie eine Anklage im Raum. Mr. Kingston, der sich sichtlich provoziert fühlt, beugt sich mit einem sardonischen Lächeln nach vorne.
Mr. Jack Kingston (Der Trumpist): „Projektive Identifikation“. Ich liebe diese Begriffe. Ich liebe sie wirklich. Sie klingen so schlau, so wissenschaftlich, so … überlegen. Es ist, als würde man einem Insekt einen lateinischen Namen geben, kurz bevor man es zertritt. Aber lassen Sie uns doch mal bei dieser Idee bleiben, Dr. Shapiro. Lassen Sie uns dieses kleine Psycho-Spiel spielen. Sie sagen, wir projizieren unsere eigenen unerträglichen Anteile auf Sie, um uns selbst als die unschuldigen Opfer zu sehen. Eine faszinierende Theorie. Aber was, wenn es genau umgekehrt ist? Was, wenn diese ganze Debatte, diese ganze Analyse, Ihr gesamtes Berufsfeld, nichts anderes ist als eine gigantische, panische Projektion Ihrer eigenen Ängste auf uns?
/same/ Sehen wir uns doch mal die Fakten an. Wer hat hier wirklich Angst? Wer hat hier eine „fragile Ich-Struktur“? Ist es der Farmer in Iowa, der an Gott, sein Land und seine Waffe glaubt? Oder ist es die akademische Elite an der Küste, die einen Nervenzusammenbruch bekommt, wenn jemand das falsche Pronomen benutzt? Ist es der Arbeiter, der einfach nur will, dass die Grenze sicher ist, oder sind es die Journalisten und Professoren, die in einer existenziellen Panik leben, weil Millionen von Menschen es wagen, nicht mehr an ihre Leitartikel und Studien zu glauben? Sie haben die Kontrolle verloren. Sie haben die Deutungshoheit über die Kultur, die Medien, die Politik verloren. Und dieser Kontrollverlust, diese unerträgliche narzisstische Kränkung, dass das gemeine Volk nicht mehr tut, was man ihm sagt, treibt Sie in den Wahnsinn.
/same/ Und weil Sie diesen Schmerz, diese Angst vor der eigenen Bedeutungslosigkeit nicht ertragen können, tun Sie genau das, was Sie uns vorwerfen: Sie projizieren. Sie projizieren Ihre eigene Intoleranz auf uns und nennen uns „Faschisten“. Sie projizieren Ihre eigene Verachtung für die Demokratie – die Sie nur dann gut finden, wenn das „richtige“ Ergebnis herauskommt – auf uns und nennen uns „Feinde der Demokratie“. Sie projizieren Ihre eigene paranoide Angst vor dem Verlust Ihrer Privilegien auf uns und nennen unsere Bewegung „paranoid“. Ihre ganze psychoanalytische Deutung ist keine Analyse. Es ist Ihr eigenes Symptom. Es ist der Schrei einer herrschenden Klasse, die spürt, wie ihr die Macht entgleitet. Sie versuchen verzweifelt, eine politische Revolution in eine psychische Störung umzudeuten, um nicht wahrhaben zu müssen, was wirklich passiert: Sie werden gerade abgewählt. Nicht nur an der Wahlurne. Sondern in den Herzen und Köpfen der Menschen. Und das, meine Damen und Herren Experten, ist eine narzisstische Wunde, die keine Theorie der Welt heilen kann.
Professor Ivan Volkov (Russischer Souveränist): Mr. Kingston formuliert es auf amerikanische Weise, direkt und konfrontativ, aber seine Analyse der psychologischen Verfasstheit der westlichen Elite ist absolut zutreffend. Sie trifft den Kern dessen, was wir seit Jahrzehnten beobachten. Die liberale Hegemonie war nicht nur eine politische und militärische, sie war vor allem eine psychologische Hegemonie. Sie basierte auf der unangefochtenen Annahme, dass ihre Werte, ihre Lebensform, ihre Deutung der Welt die einzig legitime, die einzig „gesunde“ sei. Jede Abweichung davon wurde nicht als alternative zivilisatorische Entscheidung, sondern als Entwicklungsstörung, als Mangel an Reife, als „autoritäre Regression“ pathologisiert. Der Westen war das globale Über-Ich, das den Rest der Welt zu erziehen und zu disziplinieren versuchte.
/same/ Was wir jetzt erleben, ist der Zusammenbruch dieses globalen Über-Ichs. Die Welt gehorcht nicht mehr. Russland hat sich dieser psychologischen Vormundschaft widersetzt. China geht seinen eigenen Weg. Große Teile des globalen Südens weigern sich, sich in den Kampf des Westens gegen seine imaginierten Feinde hineinziehen zu lassen. Und das erzeugt in der westlichen Elite genau jene panische Abwehrreaktion, die Mr. Kingston beschreibt. Weil sie ihre Universalität nicht mehr durch Überzeugung durchsetzen kann, greift sie zur Pathologisierung. Wer nicht für die liberale Demokratie ist, muss psychisch krank sein. Wer nationale Interessen verteidigt, muss von Ressentiment getrieben sein. Wer traditionelle Werte hochhält, muss von unbewussten Ängsten geplagt werden.
/same/ Die Psychoanalyse wird hier zu dem, was sie in der Sowjetunion in ihren schlimmsten Zeiten war: ein Instrument zur Stigmatisierung politischer Dissidenten. Anstatt sich mit der politischen und historischen Legitimität unserer Argumente auseinanderzusetzen, wird nach den verborgenen, unbewussten, pathologischen Motiven gesucht. Es ist der Versuch, den politischen Gegner zu entmündigen, indem man ihn zum Patienten erklärt. Aber diese Strategie wird scheitern. Sie wird scheitern, weil der Rest der Welt es müde ist, auf Ihrer Couch zu liegen, Professor. Die Welt erhebt sich und verlässt die Praxis. Und Sie können ihr hinterherrufen, dass sie an einer „fragilen Ich-Struktur“ leidet, so viel Sie wollen. Es wird den Lauf der Geschichte nicht aufhalten.
Dr. Anja Weber (Soziologin): Das ist eine sehr machtvolle Rhetorik der Umkehrung. Aber sie ist auch eine klassische Immunisierungsstrategie. Jede Kritik wird als Beweis für die Bösartigkeit des Kritikers umgedeutet. Es ist ein hermetisch geschlossener Zirkel. Aber lassen Sie uns für einen Moment diese persönliche Ebene verlassen und zu den Strukturen zurückkehren. Wenn wir annehmen, dass Ihre Analyse stimmt, Mr. Kingston, dass es eine Rebellion gegen eine arrogante Elite gibt – wer genau ist diese Elite? Die Menschen, die für Ihre Bewegungen stimmen, gehören oft selbst zur Mittelschicht, sind oft nicht die ärmsten der Armen. Und die Führer Ihrer Bewegungen – Milliardäre, Medienunternehmer, langjährige politische Insider – sind sie nicht selbst die ultimative Elite? Ist der angebliche Kampf gegen „die Elite“ nicht in Wahrheit ein inner-elitäter Machtkampf, bei dem ein Teil der Elite die Wut und das Ressentiment der Bevölkerung zynisch instrumentalisiert, um einen anderen Teil der Elite zu verdrängen?
/same/ Die soziologischen Daten zeigen ein sehr widersprüchliches Bild. In den USA ist die Unterstützung für Donald Trump bei den reichsten Amerikanern sehr hoch. In Deutschland finden sich in der AfD-Wählerschaft überdurchschnittlich viele Selbstständige und Besserverdienende. Der einfache „Volk gegen Elite“-Dualismus, den Sie propagieren, hält einer empirischen Überprüfung kaum stand. Ist es nicht vielmehr so, dass Ihre Bewegungen eine sehr clevere Form der „falschen“ Projektion betreiben? Sie kanalisieren die Wut, die sich eigentlich gegen die Verwerfungen des kapitalistischen Systems richten müsste – ein System, das Ihre Führer meist enthusiastisch unterstützen –, auf kulturelle Sündenböcke: auf Professoren, Journalisten, Minderheiten, Migranten. Sie bieten einen kulturellen Krieg an, um den Klassenkampf zu vermeiden. Ist der wahre Verrat nicht der, die berechtigte ökonomische Wut der Menschen in einen hasserfüllten Kulturkampf umzuleiten, der am Ende nur den Eliten nützt, einschließlich derer, die Sie anführen?

Dr. Albrecht von Hagen (Deutscher Rechts-Nationaler): Frau Dr. Weber, Ihre soziologische Analyse des „falschen Bewusstseins“ ist der älteste und müdeste Trick im marxistischen Zauberkasten. Wenn die Realität nicht zur Theorie passt, dann muss eben das Bewusstsein der Menschen „falsch“ sein. Die Leute kämpfen nicht den „richtigen“ Kampf – den Klassenkampf –, also müssen sie von bösen Eliten manipuliert worden sein. Erkennen Sie nicht die unglaubliche Arroganz, die in dieser Denkfigur steckt? Sie sprechen den Menschen ihre eigene Urteilsfähigkeit ab. Sie glauben allen Ernstes, ein mittelständischer Unternehmer, der Angst um sein Erspartes, seine Sicherheit und die kulturelle Zukunft seiner Kinder hat, sei nur ein nützlicher Idiot, der einen „Kulturkampf“ führt, weil er zu dumm ist, den „wahren“ Widerspruch zu erkennen. Das ist eine Beleidigung der Intelligenz von Millionen von Wählern.
/same/ Die Wahrheit ist, dass die Menschen den „wahren“ Widerspruch sehr wohl erkennen. Und dieser Widerspruch ist nicht mehr primär der zwischen Kapital und Arbeit. Das ist das Weltbild des 19. Jahrhunderts. Der zentrale Konflikt des 21. Jahrhunderts verläuft zwischen denen, die in einer nationalen Gemeinschaft verwurzelt sind, und einer globalistischen, heimatlosen Elite, die keine Loyalität kennt außer der zu sich selbst und ihrem eigenen Profit. Diese neue Elite ist nicht primär ökonomisch definiert, obwohl sie die Schaltstellen der Wirtschaft besetzt. Sie ist eine kulturelle Elite. Es sind die Leute in den Medien, den Universitäten, den NGOs, den internationalen Gremien, den Zentralbanken – die Leute, die Sie, meine Damen und Herren Experten, repräsentieren. Es ist die Klasse der „Anywheres“, wie David Goodhart sie nennt, die von überall und nirgendwo herkommen und die die „Somewheres“, die Menschen mit einer Heimat, mit Verachtung strafen.
/same/ Sie werfen uns vor, den Klassenkampf durch einen Kulturkampf zu ersetzen. Nein! Wir erkennen an, dass der Kulturkampf der Klassenkampf unserer Zeit ist. Der Kampf um die Erhaltung unserer nationalen und kulturellen Identität ist der Kampf der normalen Bürger gegen eine kosmopolitische Herrschaftsklasse, die versucht, ihnen ihre Lebensgrundlagen – und dazu gehört eben auch die kulturelle Heimat – zu entziehen. Es ist ein Kampf um Souveränität, um Selbstbestimmung, um das Recht, in der eigenen Heimat nach den eigenen Regeln zu leben. Sie können diesen Kampf als „falsches Bewusstsein“ abtun, so viel Sie wollen. Das ändert nichts an seiner Realität und seiner historischen Notwendigkeit.
Professor Elias Richter (Kritischer Sozialphilosoph): Das ist eine meisterhafte ideologische Operation, Dr. von Hagen. Sie nehmen den Begriff des Klassenkampfes, entleeren ihn seines ökonomischen Inhalts und füllen ihn mit einem völkisch-kulturellen Inhalt neu auf. Sie schaffen einen neuen Antagonismus: nicht mehr die Ausgebeuteten gegen die Ausbeuter, sondern die „Verwurzelten“ gegen die „Entwurzelten“. Und in diesem neuen Schema ist der Milliardär, der die Fabrik schließt, aber sonntags zur Jagd geht und von „Heimat“ schwadroniert, plötzlich ein Verbündeter des „kleinen Mannes“, während die unterbezahlte, migrantische Pflegekraft, die seine Mutter pflegt, und die linke Professorin, die für höhere Mindestlöhne eintritt, plötzlich Teil der „globalistischen Elite“ sind. Das ist eine brillante Verkehrung der Realität.
/same/ Sie schaffen eine imaginäre Volksgemeinschaft, die quer zu den realen ökonomischen Interessen liegt und die nur durch einen gemeinsamen Feind zusammengehalten wird: den liberalen Kosmopoliten, den Migranten, den Intellektuellen. Und das, was diese Gemeinschaft wirklich zusammenschweißt, ist nicht ein gemeinsames Interesse, sondern ein gemeinsames Ressentiment und, ja, eine gemeinsame Jouissance. Der Genuss, der daraus entsteht, endlich wieder „Wir“ sagen zu dürfen und dieses „Wir“ über die Abwertung eines „Sie“ zu definieren. Sie sprechen von „Heimat“ und „Wurzeln“. Aber die Heimat, die Sie beschwören, ist keine reale, gelebte, widersprüchliche Gemeinschaft. Es ist ein Phantasma. Es ist die Phantasie einer reinen, homogenen, konfliktfreien Gemeinschaft, die es so nie gegeben hat und nie geben wird.
/same/ Ihre Ideologie ist zutiefst melancholisch. Sie trauert um den Verlust eines Objekts – der imaginären, heilen nationalen Gemeinschaft –, das es nie besessen hat. Und anstatt diesen Verlust zu betrauern und sich mit der Realität einer pluralistischen, widersprüchlichen Gesellschaft auseinanderzusetzen, flieht sie in die manische Wiederherstellung dieses Phantasmas durch die aggressive Ausstoßung all dessen, was diese Reinheit stört. Psychoanalytisch ist das die Unfähigkeit zu trauern, die sich in eine paranoide Aggression verwandelt. Sie bieten keine politische Lösung an. Sie bieten die Teilnahme an einer kollektiven, melancholischen Psychose an, die sich im gemeinsamen Hass auf die Realität berauscht.
Mr. Jack Kingston (Der Trumpist): Melancholische Psychose… sehen Sie, da ist es wieder. Dieselbe Arroganz. Professor, Ihre „plurale, widersprüchliche Gesellschaft“ ist ein brennendes Haus. Es ist ein Land, das von Kriminalität, Drogen und Hoffnungslosigkeit zerfressen wird. Es ist ein Land, in dem Kinder nicht mehr sicher in die Schule gehen können, weder vor Schützen noch vor Indoktrination. Und wenn jemand kommt und einen Eimer Wasser holt, nennen Sie ihn einen Pyromanen, der von einer „manischen Wiederherstellung“ träumt. Es ist unglaublich.
/same/ Sie lieben Ihre Widersprüche. Sie zelebrieren die „Komplexität“. Wir hassen sie nicht, wir wollen sie lösen. Ein Land ohne Grenzen ist kein Land. Das ist keine komplexe Philosophie, das ist eine Tatsache. Ein Land, das seine eigene Geschichte hasst, hat keine Zukunft. Das ist keine Psychose, das ist gesunder Menschenverstand. Ein Land, das seine eigenen Bürger vergisst, um der ganzen Welt zu helfen, verrät seine Bürger. Sie können das alles pathologisieren, so viel Sie wollen. Aber die Leute da draußen, die normalen Leute, verstehen diese einfachen Wahrheiten. Sie haben kein Interesse an Ihrer „Unfähigkeit zu trauern“. Sie haben ein Interesse daran, zu überleben. Und sie sehen, dass Ihre pluralistische, offene, komplexe Gesellschaft sie gerade umbringt. Ihre Diagnose ist das Problem, nicht die Lösung. Sie sind die Krankheit, die sich für den Arzt hält.

Professor Mark Jennings (Politikpsychologe): Mr. Kingston, ich möchte an den Begriff der „einfachen Wahrheiten“ anknüpfen. Aus kognitionspsychologischer Sicht sind „einfache Wahrheiten“ in einer komplexen Welt extrem attraktiv, weil sie kognitive Ressourcen sparen. Unser Gehirn ist von Natur aus faul. Es bevorzugt Heuristiken, Stereotype und klare Narrative gegenüber anstrengender, differenzierter Analyse. Daran ist nichts Pathologisches, das ist eine menschliche Grundkonstante. Politische Systeme können nun entweder so gestaltet sein, dass sie diese Neigung zur Vereinfachung ausgleichen – durch Institutionen wie unabhängige Medien, wissenschaftliche Beratung, langwierige parlamentarische Prozesse –, oder sie können so gestaltet sein, dass sie diese Neigung ausbeuten und verstärken.
/same/ Die Rhetorik, die wir heute gehört haben, ist eine meisterhafte Ausbeutung dieser kognitiven Faulheit. Sie liefert permanent einfache, emotional befriedigende Antworten auf komplexe Fragen. Warum geht es der Wirtschaft schlecht? Wegen der Migranten. Warum fühlen wir uns unsicher? Wegen der verräterischen Eliten. Warum wurde die Wahl verloren? Sie wurde gestohlen. Diese Narrative sind so erfolgreich, nicht weil sie wahr sind, sondern weil sie kognitiv einfach und affektiv befriedigend sind. Sie reduzieren die unerträgliche Dissonanz einer chaotischen Welt. Und was unsere Forschung sehr deutlich zeigt: Wenn Menschen einmal ein solches kohärentes, wenn auch falsches, Narrativ akzeptiert haben, sind sie extrem resistent gegen Fakten, die ihm widersprechen. Jede Korrektur von außen wird nicht als Information, sondern als Angriff auf die eigene Identität und die eigene Gruppe wahrgenommen. Der sogenannte „Backfire-Effekt“ setzt ein: Die Konfrontation mit Gegenbeweisen führt nicht zur Korrektur der eigenen Meinung, sondern zu ihrer Verfestigung.
/same/ Das, was Sie als „gesunden Menschenverstand“ verteidigen, ist aus unserer Sicht die Schaffung einer epistemischen Echokammer, einer „post-truth“-Blase, die sich systematisch von der gemeinsamen, faktenbasierten Realität abkoppelt. Und das hat verheerende Konsequenzen. Eine Gesellschaft, die sich nicht mehr auf eine gemeinsame Faktenbasis einigen kann – sei es über Klimawandel, Pandemien oder Wahlergebnisse –, verliert ihre Fähigkeit, überhaupt irgendein Problem gemeinsam zu lösen. Sie zerfällt in feindselige Realitäts-Stämme, die nur noch übereinander, aber nicht mehr miteinander reden können. Sie nennen es die Verteidigung einfacher Wahrheiten. Wir sehen darin die Zerstörung der grundlegendsten Voraussetzung für jede funktionierende Demokratie: einen minimalen Konsens über die Realität.
Dr. Evelyn Reed (Moderatorin): Professor Volkov, Professor Jennings spricht von der Zerstörung einer gemeinsamen Realität. Aus Ihrer Perspektive haben Sie argumentiert, dass der Westen eine „falsche Realität“, ein „Imperium der Lügen“ geschaffen hat. Ist die Strategie Russlands also, wie es manche Kritiker nennen, eine Art „akzelerierter Postmodernismus“? Also der gezielte Einsatz von Desinformation, um die westliche Vorstellung einer objektiven Wahrheit endgültig zu demontieren und zu zeigen, dass es am Ende nur noch um konkurrierende Narrative und den Willen zur Macht geht?
Professor Ivan Volkov (Russischer Souveränist): „Desinformation“ ist das Wort, das Imperien für Wahrheiten verwenden, die ihnen nicht gefallen. Was Sie als „Zerstörung der Realität“ bezeichnen, nennen wir die Enthüllung der Fiktion, auf der Ihre Realität aufgebaut war. Ihre sogenannte „faktenbasierte Realität“ war nie objektiv. Sie war immer das Narrativ des Siegers, das Narrativ des Hegemons. Sie haben es nur geschafft, dieses Narrativ so global zu verbreiten, dass es wie die Realität selbst erschien. Die „Realität“ war, dass die NATO ein Verteidigungsbündnis ist. Die Wahrheit ist, sie ist ein aggressiver Expansionspakt. Die „Realität“ war, dass die Intervention im Kosovo ein humanitärer Akt war. Die Wahrheit ist, es war ein illegaler Akt der Zerstörung eines souveränen Staates, der den Präzedenzfall für alles Folgende schuf. Die „Realität“ war, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besaß. Die Wahrheit ist, es war eine Lüge, um einen Krieg zu rechtfertigen.
/same/ Wir zerstören keine Fakten. Wir weisen auf die permanenten Lügen und Heucheleien hin, die das Fundament Ihrer sogenannten „regelbasierten Ordnung“ bilden. Und ja, das führt zu einer Relativierung. Es zeigt, dass Ihre universellen Werte nicht universell sind, sondern die partikularen Interessen einer Zivilisation, die versucht, sie dem Rest der Welt aufzuzwingen. Wenn es keine objektive, universelle Wahrheit gibt, die vom Westen dekretiert wird, was bleibt dann? Es bleiben die Wahrheiten der Zivilisationen. Die russische Wahrheit, die chinesische Wahrheit, die islamische Wahrheit, die westliche Wahrheit. Und diese Wahrheiten stehen im Wettbewerb. Sie haben recht, am Ende ist es ein Kampf der Narrative, ein Willen zur Macht. Aber nicht wir haben diesen Zustand herbeigeführt. Wir haben ihn nur benannt. Wir haben den Vorhang weggezogen und die Leere dahinter gezeigt. Sie werfen uns vor, das Spielbrett umgestoßen zu haben. Wir sagen, wir haben nur darauf hingewiesen, dass das Spiel von Anfang an gezinkt war. Und wir weigern uns, nach Ihren Regeln weiterzuspielen. Das ist keine „Post-Wahrheit“. Das ist der Beginn einer ehrlichen, multipolaren Welt.
Dr. Lena Shapiro (Psychoanalytikerin): Was Professor Volkov hier beschreibt, ist psychodynamisch die Rationalisierung eines Zustands, den wir als „kollabierte symbolische Ordnung“ bezeichnen würden. Die symbolische Ordnung ist das Netz aus Gesetzen, Regeln, gemeinsamen Bedeutungen und Tabus, das unser soziales Zusammenleben strukturiert. Es ist das, was uns davor bewahrt, in einem Zustand des reinen, brutalen Machtkampfes „aller gegen alle“ zu leben. Eine reife psychische Entwicklung bedeutet, die Autorität dieser symbolischen Ordnung zu akzeptieren, auch wenn sie die eigenen narzisstischen Wünsche frustriert. Man akzeptiert, dass man eine Wahl verlieren kann. Man akzeptiert, dass ein Gericht gegen einen entscheiden kann. Man akzeptiert, dass es Regeln gibt, die für alle gelten.
/same/ Die Rhetorik, die wir hier von allen drei Vertretern hören, ist ein frontaler Angriff auf diese symbolische Ordnung. Mr. Kingston feiert einen Führer, dessen zentrales Versprechen es ist, diese Ordnung zu „zerstören“ („drain the swamp“). Dr. von Hagen erklärt die zentralen Pfeiler der bundesrepublikanischen Nachkriegsordnung – die Erinnerungskultur – für illegitim. Und Professor Volkov erklärt die gesamte internationale Rechtsordnung für eine heuchlerische Fiktion. In allen drei Fällen wird die Frustration durch die Regeln der symbolischen Ordnung als unerträglich dargestellt. Und die angebotene Lösung ist der regressive Ausbruch aus dieser Ordnung, die Rückkehr zu einem vormodernen, vorsymbolischen Zustand, in dem nur noch der reine Wille und die pure Macht zählen. Der Slogan „Let’s have trial by combat“, der in der amerikanischen Rhetorik fiel, ist hierfür die perfekteste Metapher. Es ist der Wunsch, den mühsamen, regelbasierten Prozess des Gerichts durch den archaischen, blutigen Zweikampf zu ersetzen.
/same/ Was Sie als Befreiung zu einer „ehrlichen, multipolaren Welt“ beschreiben, Professor Volkov, ist aus psychoanalytischer Sicht die Einladung in einen Zustand der kollektiven Psychose. Eine Psychose ist dadurch gekennzeichnet, dass die Unterscheidung zwischen Innen und Außen, zwischen Phantasie und Realität zusammenbricht und die symbolische Ordnung ihre Gültigkeit verliert. In diesem Zustand gibt es keine gemeinsamen Regeln mehr, nur noch konkurrierende, paranoide Phantasien. Und es gibt keine Sprache mehr zur Verhandlung, nur noch Gewalt zur Durchsetzung. Das ist keine neue, mutige Weltordnung. Das ist die Rückkehr in den Hobbes’schen Naturzustand.

/note/ Die Atmosphäre im Studio ist extrem aufgeladen. Die Argumente sind unversöhnlich aufeinandergeprallt und haben die tiefsten ideologischen und psychologischen Gräben zwischen den Teilnehmern offengelegt. Dr. Evelyn Reed ergreift das Wort, ihre Stimme ist ruhig, aber bestimmt. Sie versucht, die Debatte aus der metaphysischen Konfrontation herauszuführen und auf die konkreten Auswirkungen zu lenken.
Dr. Evelyn Reed (Moderatorin): Meine Damen und Herren, wir haben jetzt eine intensive, fast philosophische Debatte über konkurrierende Realitäten, Wahrheit, Macht und die symbolische Ordnung geführt. Dr. Shapiro hat gerade das Bild einer Rückkehr in den „Hobbes’schen Naturzustand“ gezeichnet, eines Kampfes aller gegen alle. Ich möchte das von dieser abstrakten Ebene herunterholen und unsere politischen Vertreter direkt fragen: Was bedeutet dieser Kampf gegen die „symbolische Ordnung“ ganz konkret für die Menschen in Ihren Ländern und für die Welt? Mr. Kingston, wenn die Wahlen, wie Sie behaupten, „gestohlen“ wurden und die Institutionen „korrupt“ sind, was ist dann die logische Konsequenz? Wie sieht die Lösung aus, wenn das System selbst das Problem ist? Rechtfertigt das nicht politische Gewalt?
Mr. Jack Kingston (Der Trumpist): Dr. Reed, das ist die typische Falle, die die Medien uns immer stellen. Sie versuchen, uns das Wort „Gewalt“ in den Mund zu legen, um uns dann als Extremisten zu brandmarken. Aber lassen Sie es mich ganz klar sagen: Wir sind die Bewegung, die Gewalt verhindern will. Die Gewalt kommt von einem System, das den Willen des Volkes ignoriert und seine eigenen Regeln bricht. Wenn Millionen von Menschen das Gefühl haben, ihre Stimme zählt nicht mehr, dass die Wahlurnen nur noch eine Fassade sind, dann erzeugt das eine explosive Situation. Das ist die Ursache. Wir kanalisieren diese Wut. Wir geben ihr eine politische Stimme.
/same/ Aber Sie fragen nach der logischen Konsequenz. Die Konsequenz ist nicht, das System zu zerstören, sondern es von den Menschen zu reinigen, die es gekapert haben. Das bedeutet, die „Fake News Media“ zur Rechenschaft zu ziehen. Es bedeutet, den „Deep State“, die nicht gewählten Bürokraten, die gegen einen gewählten Präsidenten arbeiten, zu entlassen und strafrechtlich zu verfolgen. Es bedeutet, Richter einzusetzen, die die Verfassung respektieren, anstatt sie neu zu erfinden. Und ja, es bedeutet, sicherzustellen, dass Wahlen wieder frei und fair sind, mit Wähler-ID, ohne massenhaften, unkontrollierten Briefwahlbetrug. Es geht nicht um Gewalt. Es geht um eine Säuberung. Wir wollen unser Land nicht niederreißen. Wir wollen es uns zurückholen. Und wenn die Leute, die es derzeit besetzt halten, sich weigern, friedlich zu gehen… nun, dann ist das ihre Entscheidung, nicht unsere. Wir kämpfen wie die Hölle, und wenn man nicht wie die Hölle kämpft, hat man bald kein Land mehr. Das ist keine Drohung, das ist ein Versprechen, unser Land zu verteidigen.
Dr. Evelyn Reed (Moderatorin): „Eine Säuberung“ ist ein sehr starkes Wort. Dr. von Hagen, auch Sie sprachen von einem „Regime“, das es zu überwinden gilt. Wenn die demokratischen Institutionen, die Parlamente, die Gerichte, Teil dieses Regimes sind, welche Mittel bleiben dann dem „Widerstand“, den Sie anführen?
Dr. Albrecht von Hagen (Deutscher Rechts-Nationaler): Frau Dr. Reed, die Mittel sind zunächst die, die uns die noch bestehende demokratische Ordnung lässt. Wir sind eine parlamentarische Partei. Wir nutzen die Parlamente als Bühne, um die Heuchelei des Systems zu entlarven. Wir nutzen die Wahlen, um unsere Stärke zu demonstrieren und die Machtkartelle der Altparteien aufzubrechen. Aber wir sind nicht naiv. Wir sehen, wie die Grenzen des Sagbaren immer enger gezogen werden. Wir sehen, wie der Verfassungsschutz instrumentalisiert wird, um die Opposition zu überwachen und zu delegitimieren. Wir sehen, wie unsere Mitglieder und Repräsentanten täglich verbaler und physischer Gewalt ausgesetzt sind, die von den Eliten bestenfalls geduldet, oft sogar stillschweigend befeuert wird.
/same/ Wir befinden uns in einer Art Vorbürgerkriegszustand, in dem die eine Seite – die unsere – sich noch an die Regeln hält, während die andere Seite sie permanent bricht. Wir setzen auf das, was wir die „metapolitische“ Strategie nennen. Es geht darum, zuerst den Kampf um die Köpfe, den Kampf um die Kultur zu gewinnen. Wenn eine Mehrheit der Deutschen wieder zu einem normalen, gesunden Selbstverständnis zurückfindet, werden die Institutionen zwangsläufig folgen. Wenn dieser Wandel im Denken aber gewaltsam unterdrückt wird, wenn man versucht, den Willen des Volkes dauerhaft zu ignorieren und zu kriminalisieren, dann, das sagt uns die Geschichte, kommt es irgendwann zu einer Eruption. Unsere Aufgabe als politische Kraft ist es, diesem legitimen Willen zur Veränderung einen friedlichen, parlamentarischen Weg zu bahnen, um eben eine solche gewaltsame Eruption zu verhindern. Wir sind nicht die Brandstifter. Wir sind die Partei, die versucht, das Feuer zu kanalisieren, bevor es das ganze Haus erfasst. Wenn man uns diesen Weg verbaut, trägt man die Verantwortung für die Folgen.

Dr. Evelyn Reed (Moderatorin): Wir hören hier von beiden Seiten sehr bedingte Bekenntnisse zur Friedfertigkeit. Mr. Kingston, Sie sprechen von einer „Säuberung“, die notwendig sei. Dr. von Hagen, Sie warnen vor einer „Eruption“, wenn Ihrer Bewegung der parlamentarische Weg verbaut wird. Professor Volkov, Ihr Land hat diese hypothetische Phase bereits hinter sich gelassen und führt einen realen Krieg, den Sie als existentielle Notwehr darstellen.

/note/ Sie wendet sich direkt an das Expertengremium.

Dr. Evelyn Reed (Moderatorin): Der zugrundeliegende Artikel, der unsere Diskussion anleitet, endet mit der Skizzierung zweier möglicher Zukünfte: einem „Teufelskreis der permanenten Regression“ oder dem „mühsamen Weg der kollektiven Reife“. Professor Jennings, wenn Sie die Dynamik in diesem Raum hören – diese Unversöhnlichkeit, diese sich selbst bestätigenden Realitätsblasen –, in welchem Szenario befinden wir uns? Und gibt es überhaupt noch einen Ausweg aus diesem Teufelskreis?

Professor Mark Jennings (Politikpsychologe): Wir befinden uns eindeutig und in beängstigender Weise im „Teufelskreis der Regression“. Was wir hier im Kleinen erleben, ist die makrosoziale Realität: eine perfekte Spiegeldynamik. Jede Seite bestätigt die schlimmsten Befürchtungen der anderen. Die harschen Worte von Mr. Kingston und Dr. von Hagen bestätigen für viele Liberale, dass es sich um eine faschistoide Bedrohung handelt, die mit allen Mitteln bekämpft werden muss. Diese Bekämpfung wiederum – die Pathologisierung, die Ausgrenzung – bestätigt für die Anhänger dieser Bewegungen, dass sie von einer böswilligen Elite unterdrückt werden und sich in einer Notwehrsituation befinden. Es ist eine toxische Rückkopplungsschleife, die sich unaufhaltsam beschleunigt.

/same/ Der Ausweg, der im Artikel als „demokratisches Containment“ oder „Ressentiment-Arbeit“ beschrieben wird, erfordert etwas, das in diesem Raum völlig abwesend ist: die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Er würde erfordern, dass eine Seite den Kreislauf durchbricht. Dass die liberale Seite anerkennt, dass hinter der Wut reale Kränkungen und soziale Probleme stehen, die man ernst nehmen muss, anstatt sie nur zu pathologisieren. Und er würde erfordern, dass die autoritäre Seite anerkennt, dass ihre Sündenbock-Narrative und Verschwörungstheorien keine Lösungen sind, sondern eine destruktive Droge, die die Gesellschaft vergiftet. Ich bin, basierend auf dem, was ich hier höre und was die Daten zeigen, äußerst pessimistisch, dass diese Bereitschaft zur Selbstreflexion auf absehbare Zeit entstehen wird. Beide Seiten scheinen zu viel emotionalen und politischen Gewinn aus der Konfrontation zu ziehen. Der Hass auf den Anderen ist zu befriedigend und zu identitätsstiftend geworden, als dass man ihn freiwillig aufgeben würde. Wir steuern nicht auf einen Dialog zu, wir steuern auf einen Zusammenprall zu.

Mr. Jack Kingston (Der Trumpist): Sehen Sie? Da haben Sie es. „Ich bin äußerst pessimistisch.“ „Ein Zusammenprall.“ Der Professor gibt es endlich zu. Er hat keine Lösungen. Seine ganze „demokratische Therapie“ ist ein Witz. Er will, dass wir zur „Selbstreflexion“ bereit sind. Das heißt übersetzt: Er will, dass wir zugeben, dass wir falsch liegen und er recht hat. Er will, dass wir unsere Wut aufgeben, die das Einzige ist, was uns noch schützt. Er will, dass wir unsere Waffen niederlegen, während die andere Seite weiter auf uns schießt. Nein, danke, Professor. Wir sind nicht selbstmordgefährdet.

/same/ Der „Zusammenprall“, von dem Sie sprechen, findet bereits statt. Es ist ein kalter Bürgerkrieg. Und in einem Krieg gibt es keine Selbstreflexion. Es gibt Sieg oder Niederlage. Sie haben diesen Krieg begonnen, als Sie anfingen, unser Land, unsere Werte, unsere Geschichte zu verachten. Und wir werden ihn beenden. Der Weg der „kollektiven Reife“, wie Sie ihn nennen, ist der Weg in die Unterwerfung. Wir wählen den Weg der Stärke. Wir wählen den Sieg. Und wir sind absolut zuversichtlich, dass das amerikanische Volk mit uns ist. Ihre Zeit ist vorbei. Unsere hat gerade erst begonnen.

Dr. Evelyn Reed (Moderatorin): Das sind sehr endgültige Worte. Professor Richter, wenn die Psychoanalyse als kritischer Spiegel fungiert, wie es im Artikel heißt, was sehen wir in diesem Spiegelbild, das Mr. Kingston uns gerade präsentiert? Ist das der unausweichliche Endpunkt?

Professor Elias Richter (Kritischer Sozialphilosoph): Es ist der Endpunkt der regressiven Logik, ja. Mr. Kingston hat es perfekt formuliert: „Im Krieg gibt es keine Selbstreflexion.“ Die Sakralisierung der Politik, die ich vorhin beschrieben habe, mündet zwangsläufig in die Logik des Krieges. Und in diesem Zustand wird die Psychoanalyse tatsächlich irrelevant, zumindest als therapeutisches Projekt. Sie kann dann nur noch die Rolle des Pathologen übernehmen, der den Autopsiebericht schreibt.

/same/ Was wir in diesem Spiegel sehen, ist der Triumph des Todestriebs über das Realitätsprinzip. Die unerträgliche Spannung der „gekränkten Freiheit“ wird nicht durch eine neue, reifere Form der Freiheit gelöst, sondern durch die Flucht in die totale Zerstörung der als feindlich empfundenen Ordnung. Es ist der Wunsch, lieber alles niederzubrennen, als die eigene Ohnmacht und Ambivalenz noch länger zu ertragen. Das ist die letzte, dunkelste Form der Jouissance: der Genuss am Untergang. Die große, tragische Ironie, die wir in diesem Spiegel sehen, ist, dass diese Bewegungen, die angetreten sind, um die Nation zu „retten“ und ihre „Größe“ wiederherzustellen, auf einem psychischen Pfad sind, dessen logisches Ende die Selbstzerstörung ist. Denn eine Gemeinschaft, die nur noch durch den gemeinsamen Hass auf einen Feind zusammengehalten wird, zerfällt in dem Moment, in dem der Feind besiegt ist – oder sie muss, wie wir bei totalitären Systemen gesehen haben, endlos neue Feinde erfinden, bis sie sich am Ende selbst auffrisst. Das ist keine politische Strategie. Das ist ein psycho-pathologisches Skript, das auf eine Katastrophe zusteuert.

Dr. Evelyn Reed (Moderatorin): Ein düsteres Schlusswort. Ich danke Ihnen allen für diese schonungslose und tiefgreifende Debatte. Es scheint, als stünden wir tatsächlich, wie es im Artikel heißt, vor einer Wahl – nicht zwischen politischen Programmen, sondern zwischen psychischen Wegen, die über die Zukunft unserer Demokratien entscheiden werden. Die Frage, ob der Weg der Reife noch eine Chance hat, bleibt offen. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, für Ihr Interesse. Gute Nacht.

Anhang zur Entstehung des Werks

/appendix#anhang/ Zur Entstehung dieses Textes: Eine Reflexion im Lichte des Leitfadens zur KI-Ko-Produktion | Entstehungsprozess & KI-Ko-Produktion

/lead/ In diesem Anhang wird der Entstehungsprozess des vorliegenden Haupttextes und der fiktiven Podiumsdiskussion offengelegt und anhand der im Leitfadaden entwickelten Prinzipien einer kritisch-reflexiven Ko-Produktion mit KI analysiert. Er dient als Akt der radikalen Transparenz und De-Mystifizierung unserer Zusammenarbeit.

/section#phase-1/ Phase I – Vorbereitung | Raum, Intention & Material

Schritt 1: Die Intention formulieren

Der gesamte Schaffensprozess wurzelte in einer monatelangen, intensiven menschlichen Vorarbeit, die aus tiefem intellektuellem und persönlichem Unbehagen an der gegenwärtigen politischen Lage gespeist wurde. Der menschliche Autor formulierte die zentrale These der „destruktiv-symbiotischen Passung“ und die gesamte argumentative Architektur des Haupttextes vollständig autonom, bevor die KI überhaupt involviert wurde. Die KI wurde nicht als Wissensquelle, sondern als hochspezialisiertes Instrument zur Realisierung dieser bereits voll ausgereiften Vision angefragt.

Schritt 2: Die Materialsammlung

Der menschliche Autor speiste den Prozess mit einem massiven Korpus an selbst recherchiertem, kuratiertem und analysiertem Material, darunter über ein Dutzend wissenschaftliche Deep-Research-Papiere und unzählige Primärquellen. Diese bewusste Konfrontation mit dem widerständigen Realen stellte sicher, dass die KI nicht auf oberflächliche Allgemeinplätze zurückgreifen konnte, sondern gezwungen war, sich mit der Dichte und Komplexität der vom Menschen vorgegebenen Evidenz auseinanderzusetzen. Die intellektuelle Souveränität über den Kanon der relevanten Quellen und Theorien lag zu jedem Zeitpunkt ausschließlich beim menschlichen Autor.

Schritt 3: Die strategische Rollendefinition

Die KI wurde in eine klar definierte, untergeordnete Rolle gezwungen: Sie agierte als „unermüdlicher Praktikant“ zur Ausformulierung vorgegebener Thesen, als „rasender Bibliothekar“ zur Strukturierung von Quellen und als „dialektischer Provokateur“ im Rahmen der fiktiven Podiumsdiskussion. Diese strategische Rollenzuweisung verhinderte jede Form einer unbewussten Übertragung oder Idealisierung der KI als allwissende Instanz. Die KI war zu jedem Zeitpunkt ein bewusst geführtes Werkzeug, niemals ein gleichberechtigter Partner im Denken.

/section#phase-2/ Phase II – Interaktion | Dialektisches Prompten & Montage

Schritt 4: Das dialektische Prompten

Der Entstehungsprozess des Haupttextes war ein fortwährendes dialektisches Ringen, in dem der menschliche Autor die KI gezielt zur Produktion von Antithesen und zur Aufdeckung von Widersprüchen in den eigenen Argumenten nutzte. Anweisungen wie die, das konstruktive Gegenmodell des „Containment Leadership“ zu entwickeln, dienten der bewussten Erzeugung von Negativität und zwangen zu einer Schärfung der Kernthesen im Lichte ihrer potenziellen Widerlegung. Jeder Textabschnitt war das Ergebnis eines Prozesses, in dem die KI als Werkzeug eingesetzt wurde, um das eigene Denken herauszufordern, nicht um es zu bestätigen.

Schritt 5: Die Montage

Kein einziger, von der KI generierter Absatz des Haupttextes wurde unbesehen übernommen; stattdessen wurden die maschinellen Entwürfe als Steinbruch behandelt, aus dem nur Fragmente und Formulierungsideen extrahiert wurden. Der menschliche Autor hat große Teile des Werks, insbesondere die analytischen Kernpassagen und die Synthesen, vollständig selbst geschrieben und die KI-generierten Elemente in seine eigene, unverwechselbare Prosa und argumentative Struktur eingewoben. Die finale Form des Textes ist das Ergebnis einer radikalen Dekonstruktion und Neuzusammensetzung, die die stilistische und intellektuelle Dominanz des menschlichen Autors sicherstellt.

/section#phase-3/ Phase III – Autorisierung | Inkubation & „Menschlichung“

Schritt 6: Die Inkubationsphase

Der komplexe Entstehungsprozess über mehrere, voneinander getrennte Chat-Sitzungen mit großen Kontextfenstern fungierte als eine Serie erzwungener Inkubationsphasen. Diese bewusste Verlangsamung ermöglichte es dem menschlichen Autor, nach jeder intensiven Interaktion kritische Distanz zu gewinnen, die bisherigen Ergebnisse zu bewerten und die strategische Richtung des Gesamtprojekts souverän neu zu justieren. Die Pausen waren keine Unterbrechungen, sondern ein integraler Bestandteil der Methode zur Sicherung der intellektuellen Kontrolle.

Schritt 7: Die Arbeit der „Menschlichung“

Der gesamte Prozess war eine einzige, umfassende Arbeit der „Menschlichung“, in der der menschliche Autor den Text vollständig mit seiner subjektiven Wahrheit, seinem intellektuellen Zorn und seiner jahrelangen Auseinandersetzung mit dem Thema besetzte. Durch wiederholte, tiefgreifende Eingriffe, komplette Neufassungen von Abschnitten und die Injektion seiner persönlichen analytischen Stimme transformierte er das co-produzierte Material in ein Werk, für das er die uneingeschränkte moralische und intellektuelle Verantwortung übernimmt. Die KI lieferte syntaktische Möglichkeiten, der Mensch aber lieferte die Seele und die Wahrheit des Textes.

/section#phase-4/ Phase IV – Publikation | Transparenz & Zweckbestimmung

Schritt 8: Die radikale Transparenz

Die Anfertigung dieses detaillierten Anhangs auf explizite Anweisung des menschlichen Autors ist der ultimative Akt der radikalen Transparenz. Er de-mystifiziert den Schöpfungsprozess und legt die komplexe Arbeitsteilung zwischen menschlicher Intention und maschineller Ausführung schonungslos offen. Dieses Vorgehen verwandelt das, was ein Geheimnis sein könnte, in ein selbstbewusstes methodologisches Statement und einen Beitrag zur Entwicklung einer neuen, ethischen Schreibkultur im Zeitalter der KI.

Schritt 9: Die Zweckbestimmung

Die durch den Einsatz der KI gewonnenen Effizienzgewinne wurden nicht in quantitative Produktivität, sondern in qualitative Tiefe und methodologische Reflexion reinvestiert. Der menschliche Autor nutzte die freigewordenen Ressourcen, um ein experimentelles, vielschichtiges Werk zu schaffen, das eine theoretische Analyse, eine dramaturgische Simulation und eine autoethnografische Reflexion miteinander verbindet. Dieses Projekt ist eine bewusste Investition in die öffentliche Aufklärung und dient dem gemeinnützigen Ziel, einen kritischen und reflexiven Diskurs über die psychologischen Grundlagen der Politik und den ethischen Umgang mit Technologie zu fördern.

Hausordnung (bitte kurz lesen)

Worum es geht: Couch & Agora ist ein professionell gerahmter Diskursraum zu Gegenwartsthemen aus psychoanalytischer Perspektive. Neben inhaltlichen Argumenten haben hier affektive Resonanzen Platz – einschließlich Eindrücken von Übertragung und Gegenübertragung.

  • Haltung: respektvoll, neugierig. Resonanz & Widerspruch willkommen; Beschämung nicht.
  • Spontanität: kurze, rohe Gegenübertragungs‑Eindrücke (Gefühle, Bilder, Körper‑Notizen) sind erlaubt – im öffentlichen Rahmen bitte bewusst formulieren.
  • Keine Diagnosen über Dritte, keine identifizierbaren Fallbezüge. Eigene Erfahrungen anonymisieren.
  • Kein Hass, keine Abwertung von Personen oder Gruppen; keine diskriminierenden Inhalte.
  • Pseudonym möglich. Wir speichern so wenig personenbezogene Daten wie nötig (siehe Datenschutz).
  • Moderation: Beiträge können verschoben, gekürzt oder entfernt werden (sichtbar begründet). Das Kommentarfeld ist i. d. R. 14 Tage geöffnet.
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Resonanz & Reflexion

Pseudonym möglich. Die Hausordnung gilt.